Seite:Die Gartenlaube (1858) 201.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 15. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Iffland.
Biographische Novelle von A. v. Sternberg.


I.

Durch die einsamen Gänge des Thiergartens schritt in heller Mondscheinnacht ein Mann in einen Mantel gehüllt und näherte sich einem Hause, das, abgesondert von den andern Häusern, in einer Gruppe von Bäumen stand. Die Bäume waren entlaubt, der Balkon des Hauses und die Stufen des Eingangs mit Schnee bedeckt. Es war im März und ein ungewöhnlich reichlicher Schnee gefallen. In der Vertiefung der Hausthüre kauerte eine Gestalt in Lumpen, die sich erhob, als der Mann sich näherte, und die ihm entgegen trat, um ein Almosen bittend.

„Du bist dieselbe Kleine, die ich bereits zwei Mal beschenkt habe; zu oft darfst Du mir nicht kommen,“ sagte der Herantretende und wollte vorübereilen, allein das Bettelkind erfaßte seinen Mantel.

„Herr! Die Mutter hat mich hinausgetrieben, mit leeren Händen darf ich nicht zurückkommen, es ist spät, es schenkt mir Niemand etwas in dieser abgelegenen Gegend; erbarmt Euch meiner!“

Der Herr stand auf der Treppenstufe still. Der Mantel war zurückgeschlagen und der Mond schien in ein bleiches, wohlgebildetes, ernstes Mannesantlitz, die Blicke waren auf die Kleine gerichtet und mit einer Stimme, der es nicht an Weichheit und Wohlklang mangelte, sagte er:

„Deine Mutter war früher beim Theater, hast Du mir gesagt. Wenn es wahr ist, komm’ morgen gegen Mittag, wenn ich in die Stadt gehe, und zeige mir den Weg zu dem Hause, in dem sie wohnt; ich will sie sehen und sprechen. Jetzt geh’ und nimm das. Die Kleine empfing das Geld dankend und lief frierend in die Mitternacht hinaus. Der Mann trat in das Haus, auf den Ton einer Klingel erschien eine alte Magd, die ihn in sein Zimmer leuchtete, in welchem der Ofen brannte und in welchem es wohnlich und behaglich aussah. Bilder hingen an der Wand, ein Teppich deckte den Boden und gegenüber dem Schreibtische, der in der Nähe der beiden hohen, mit Vorhängen geschlossenen Fenster stand, bildeten ein Flügel und eine Harfe eine geschmackvolle Verzierung. An der Harfe hing ein frischer Blumenkranz. In der Nähe des Ofens stand ein hoher Lederstuhl, in welchem eine Katze lag, die sich in ihrem Schlummer durch das Erscheinen des Lichtes und des Hausherrn nicht stören ließ. Alles in diesem Zimmer drückte Stille, Frieden und poetische Zurückgezogenheit aus.

Nur in dem Geiste und Gemüthe des Bewohners dieser Räume, schien es, war dieser Friede und diese Ruhe nicht zu finden. Er setzte sich an den Schreibtisch, überlas flüchtig die Adressen der angekommenen Briefe und versank dann, das Haupt auf den Arm gestützt, in Träumereien.

Es schlug zehn Uhr. Ungewöhnlich früh war diesmal das Schauspiel beendet gewesen. Die Alte kam, um das Abendbrod aufzutragen, sie setzte eine Flasche Wein und einen Teller mit kalter Wildpretpastete auf das Tischchen, das vor einem Sopha stand, das die Wand gegenüber dem Flügel einnahm. Die Katze erwachte beim Geruch der Speisen aus dem Schlummer und kam, ihrem Herrn die Aufwartung zu machen, eigentlich aber aus der egoistischen Absicht, an dessen Abendmahl Theil zu nehmen. Es meldete sich hierzu noch ein Gast. Die Thür öffnete sich und ein ältlicher Herr in einem Pelz, dessen Kragen ihm über die Mütze hoch hinaufragte, trat ein und ward lebhaft und herzlich bewillkommnet. Der Hausherr schob einen Stuhl an das Sopha heran und befahl, ein zweites Glas zu bringen. Bevor jedoch der Gast sich setzte, öffnete er den Vorhang des einen Fensters und, den vollen Mondstrahl über sich herübergleiten lassend, sagte er:

„Ich will zuerst sehen, ob wir schon Vollmond haben, denn Du weißt, beim Vollmond fängt das gichtische Ziehen in meinem linken Beine an.“

Der Hausherr erwiderte nichts, aber er lächelte und zertheilte die Stücke der Pastete. Dann kam der Gast und setzte sich an seine Seite.

„Das Schauspiel schon zu Ende?“ begann er.

„Wir fangen jetzt früher an wegen des Unwohlseins der Königin. Sie bleibt nur kurze Zeit und geht bald wieder fort,“ erwiderte der Hausherr.

„Wie war’s?“

„Frostig.“

„Wie? Eine Deiner besten Rollen? Der Shylock und – frostig?“

„Man hat mich satt. Ich bin ihnen nichts Neues mehr. Die Kritik hat mich zum Krüppel geschlagen und Krüppel mag man nicht sehen.“

Eine Pause herrschte. Der Collaborator Roland, so hieß der Gast, kostete an seinem Weine, prüfte ihn, fand ihn gut und setzte das Glas bedächtig hin, indem er sagte:

„Das freut mich.“

„Das freut Dich?“

„Ja, denn es ist Hoffnung da, daß Du in diesem Falle an den Rhein zurückgehst, von wo Du gar nicht hättest weggehen sollen.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_201.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)