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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Der Hausherr seufzte. Sein Blick glitt unwillkürlich auf die Harfe und den daran befestigten Kranz.

„Hast Du nichts von Laura gehört?“ fragte er.

„Sie muß noch immer das Zimmer hüten, allein an Deinem Benefiztage hofft sie das Theater besuchen zu können.“

„An meinem Benefiztage? Man wird diesen Tag benutzen, um mich vollends niederzuwerfen. Es wird daran gearbeitet, mir eine Demüthigung besonderer Art zu bereiten. Ich weiß es, aber ich fürchte mich nicht. Man darf diesem Volke nicht Kleinmuth zeigen, dann ist man verloren. Soweit kenne ich denn doch nun schon meine Leute. Stolz, dreist und zuversichtlich will ich ihnen bis zu der letzten entscheidenden Stunde entgegentreten. Sie sollen mir den Kranz von der Stirne reißen, anders bekommen sie ihn nicht. Es sind ohnedies Lorbeeren, die in diesem märkischen Sandboden nicht gewachsen sind. Man soll nicht sagen: der Iffland ist an den Mückenstichen der Berliner Kritik gestorben.“

„An den Rhein, an den Rhein mit Dir!“

„Nun soll es mir an Kälte, an Schärfe, an Objectivität fehlen; nun soll ich zu weich sein, zu sehr mich selbst spielen! Und beim König Lear hieß es wieder, ich vergäße gänzlich, daß der Grundzug im Charakter jenes Unglücklichen Weiche und Gefühlstiefe sei. O, man möchte selbst wahnsinnig werden einem Publicum gegenüber, das den Genuß tödtet in der Kritik!“

„An den Rhein mit Dir, zurück an den Rhein!“

„Und immer werden mir Fleck’s Verdienste vorgehalten, weil er der Abwesende ist und ich der Gegenwärtige! Sie gleichen dem Hunde in der Fabel, der den Bissen, den er im Munde hat, fallen läßt, um nach einem Schatten zu haschen. Doch immerhin, sie mögen so toll, so unverständig sein, als sie immer wollen und können, weiß ich doch, daß Eine da ist, die mich versteht, die, wenn ich meine ganze Seele hingebe, sie entgegennimmt mit jener weichen Liebeshand, die sich hütet, mir hier eine kaum vernarbte Wunde, dort einen vibrirenden Nerv zu berühren. Wenn ich mein suchendes Auge zu ihrem Platze sende und ich finde ihn leer, entsinkt mir sogleich der Muth, und das hundertäugige Ungeheuer, Publicum, das ich vor mir gelagert sehe, preßt mir ein Beben der Angst und des Entsetzens ab. Finde ich aber Sie, dann ist das Spiel ein Spiel, dann gleiten mir, wie von unsichtbaren Händen mir abgefordert, die köstlichsten Perlen aus dem Liebesreichthum der Seele. Ich empfinde, und was ich empfinde, ist – Sie! Sie ist’s, die mir den Athem versetzt, wenn ich auf die Bühne stürze als Franz Moor; ich zittere, indem ich die Schrecken der Hölle ihr vor das Auge bringen soll, ihr, der Reinen, und wenn ich als Wallenstein die ewigen Sterne befrage, ist’s wieder Sie, die mich an die Wahrheit des ewigen Himmels glauben lehrte. Ach, daß diese Frau eine Frau ist, daß dieses süße Gebilde kein geschlechtsloser Genius ist, dann wäre er mein, ich könnte ihm Altäre bauen, und Niemand dürfte mir verargen, wenn ich laut vor allem Volke mich mit dem Göttlichen vermählte. Der Künstler mit seiner Gottheit! Was wollt ihr? Ist das nicht ganz in der Ordnung? So aber steht sie auf einer unnatürlichen Höhe, sie, die Liebenswerthe, ist dem Liebesbedürfniß entrückt, die irdisch Fühlende ist mit einer kalten Glorie des Standes umgeben. Kann man einen ärgern Hohn aussprechen, als das Geschick ihn sich hier ungestraft erlaubt: das allgemein Begehrte ist zugleich das Allen Versagte! Mein Auge füllt sich mit Thränen – ich muß schweigen.“

„Wenn das Theater nur nicht so zugig wäre,“ hub der Collaborator nach einer Pause an, während der Schauspieler, sein Haupt auf die Hand stützend, vor sich hinsah – „ich sage Dir, Freund, es gibt da Thüren, Thüren ohne Vorhänge, die Dante in seiner Hölle nicht passender hätte anbringen können, um eine neue Qual seiner Verdammten, einen teuflischen Rheumatismus beizubringen. Das ist auch der Grund, weshalb ich so selten in’s Theater gehe. Es thäte der alten Bude gut, wenn eine wohlthätige Feuersbrunst sie mit einem Schlage vom Leben zum Tode brächte. Anders werden wir den Jammer nicht los. Im Zugwinde zu sitzen ist aber das Schlimmste, was einem armen Adamskinde begegnen kann.“

„Alter,“ fuhr Iffland zornig empor, „Du wirst mir auch gar zu philisterhaft! Hast Du denn gar kein Wort für meine Leiden? Mann der Jämmerlichkeit, ist denn Deine Seele wie Dein Ohr mit Kampherstöpselchen verpfropft? Sonst wußtest Du doch zu schwärmen. Erinnere Dich, wie wir in Mannheim an den Ufern des Rheins bis spät in die Nacht Arm in Arm dahinflogen? Wie ich, auf der Rheinbrücke stehend, einst den Fiesco mit Dir spielte, Dich, den Fiesco, von der Brücke stieß, so daß Du mit einem Beine bereits in der Fluth zappeltest!“

„Ach, und ich hatte Nankingbeinkleider an,“ jammerte der Collaborator – „Du Entsetzlicher, das rührte Dich nicht!“

„Wenn der Mantel fällt, muß der Herzog nach!“ declamirte Iffland und brach dann in ein schallendes Gelächter aus. „O, das waren Zeiten! Man sollte das jetzt mit Dir versuchen, Du Liebling des Apothekers, Du Sohn des Rhabarbers, Du Buhle der Wärmflasche, Du im Geheim mit der Flanelljacke Getrauter! Geh – geh! Wenn ich nicht wüßte, daß unter Deinen Pflastern und Umschlägen noch eine Seele steckt, ich würde Dich als wurmzerfressenes altes Möbel längst in die Plunderkammer geworfen haben.“

„Was wirst Du zu Deinem Benefiz geben?“ fragte der Gescholtene, indem er lächelnd sein Glas leerte und nach dem Ofen sah, um sich zu überzeugen, daß er noch in voller Gluth sich befinde.

„Ich habe da einen Gedanken,“ entgegnete Iffland. „Ich will die Hand daran legen, ein neues Jugendproduct wieder in’s Leben zu rufen.“

„Ein Jugendproduct?“

„Ja, meine Jäger. Es ist mir in diesen Tagen ein wunderliches Ereigniß zugestoßen. Allein es will sich nicht schicken, daß ich jetzt schon davon spreche. Alles liegt noch in der Knospenhülle. Aber, so viel sage ich, Leid und Lust früherer Tage ist wieder wach in dieser Brust geworden. Ich habe in ein redlich Herz geschaut, in ein Herz, wie Gott es liebt, in ein Herz, das seine Schmerzen brav erträgt, männlich mit der Sünde kämpft, mit einem Worte, einen Jüngling hab’ ich geschaut, gerade wie ich ihn damals suchte und ihn nicht fand, als ich den treuen Anton seiner Mutter an’s Herz und seiner Liebsten in die Arme legte. Du sollst sehen, wie ich jetzt ganz anders den Oberförster spielen werde. Ich freue mich darauf, wie auf ein Fest.“

„Deine alten Jäger? Aber, das ist ja keine Neuigkeit, wunderlicher Mann!“

„Meine alten Jäger! Ich sage Dir, sie sollen Dir so jung erscheinen, als wären sie erst in dieser Nacht aus dem gährenden Becher der Phantasie gestiegen. Aber, wie gesagt, vorzeitig Plaudern liebt die Muse nicht. Du wirst sehen, und wenn Du wirst gesehen haben, wird Dir der Glaube in die Hand kommen. Und übrigens, hat man mir wohl Zeit gelassen, etwas Neues zu dichten? Angespannt an den Karren, wie ich die letzten Wochen über war, stets fertig dastehend, wenn die Pfeife des Intendanten erscholl und irgend ein fremder Prinz sich vor den Thoren blicken ließ. Ich will und muß Ruhe haben, wenn ich auf’s Neue von den Himmlischen ein Geschenk erbitte. Was ich die letzte Zeit geschaffen, ist ohnedies halb und halb eine Versündigung gegen meinen Genius.“

„Ja, Du hast Teltower Rüben geschaffen,“ schaltete der Gast ein, „aber für den märkischen Sand, sollte da etwas Besseres taugen?“

Iffland war von Neuem in Träumereien versunken. „Morgen zum Minister,“ sprach er vor sich hin; „ich will Urlaub haben zu einer Reise. Der Intendant schlägt ihn mir ab, das weiß ich, aber die Excellenz, die Frau Ministerin, meine schöne Gönnerin und Schülerin, hinter die muß ich mich stellen, dann wird’s gehen. Ich muß ein paar Athemzüge frische Luft schöpfen, ich muß meinen Anton besuchen bei den Seinigen. Im Walde wird mir wohl, im Walde bin ich gern. Wenn das Waldhorn tönt! – Ah – diese Klänge! Und dann am Bachesufer liegen, zurückgelehnt dem Zuge der Wolken nachsehen und der Tage gedenken, die dahin sind! Und eine junge, warme, volle Brust an der meinigen! Das ist etwas für den alten Stadtmenschen, für die Häusermilbe, für den Lampenburschen, dessen Welt sich allabendlich hinter den gemalten Rosenhecken aufbaut, der hinter Pappendeckeln schwärmt und in einen ölgetränkten Mond hinaufschaut. Alter Bursch, alter Spaßmacher, da geh’ und weine Dein Thränlein, daß nichts Besseres aus Dir geworden.“

„Jetzt im Walde!“ rief der Collaborator entsetzt, „im Walde im Schnee liegen an einem gefrornen Waldbach! Welch’ ein Gedanke. Mensch, Du weißt nicht, was ein Rheumatismus ist.“

„Der Frühling ist ja bald da!“ rief der Freund, „wir sind im März und darum hinaus, ihm entgegen. Kommst Du nicht mit?“

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