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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Hier ist ein Brief, der gnädige Herr hat ihn wohl aus der Tasche verloren.“

Der Graf erblickt erstaunt sein Empfehlungsschreiben, das er so eben dem Minister abgegeben, und das dieser in die Tasche gesteckt hat, in der Hand des Bedienten. Er weiß durchaus nicht, wie das zusammenhängt, indessen ist nicht Zeit, darüber nachzudenken, er gibt das Schreiben dem Diener mit dem Auftrage, es Seiner Excellenz einzuhändigen. Johann steckt den Brief ein. Die Dame hält das Taschentuch vor den Mund, entweder leidet sie an Zahnweh, oder sie versteckt ein Lachen. Johann legt ihr den Mantel um, sie enteilt mit einem flüchtigen Gruße, und durch die andere Thüre entfernt sich der Diplomat. Der Kutscher des Miethwagens ist auf einen Augenblick abgestiegen, jetzt kommt er aus dem nahen Keller hervor, wie es den Anschein hat, völlig berauscht, denn er kann kaum einen festen Schritt thun. Der junge Mann will in eine gewisse Gegend der Stadt fahren, der Kutscher fährt in die entgegengesetzte. Es gibt Zank, mehr als einmal will der Fahrgast aussteigen, aber der Kutscher, der jetzt laut auf dem Bocke zu singen anfängt und hin und her wankt, verhindert es. Endlich langt man vor dem Hause an, in dem der Graf wohnt. Gegenüber auf der anderen Seite der Straße hält, durch einen sonderbaren Zufall veranlaßt, der Wagen der Ministerin, sie sieht aus dem Fenster und scheint sich, der Himmel weiß, worüber, vortrefflich zu belustigen. Ja, sie klatscht sogar ein paar Mal Beifall, als säße sie im Schauspiel. Unterdessen zankt der Graf mit seinem Tölpel von einem Miethkutscher, der immer die Summe zu gering findet, die ihm geboten wird. Endlich schließt sich der Handel ab, und der Graf will in sein Haus.

„He, da hat der Herr eben etwas aus der Tasche verloren!“ ruft der Zudringliche, und gibt ein geöffnetes Schreiben ab.

Welch eine Scene nun! Der Graf erkennt abermals sein Empfehlungsschreiben, das er gewiß ist, dem Diener des Ministers übergeben zu haben, der es vor seinen Augen einsteckte, um es seinem Herrn zu übergeben. Dieser Brief ist jetzt wieder da und zwar in den Händen des Droschkenkutschers! Welch ein Teufel macht hier sein Spiel! Was ist das? Wie hängt das zusammen? Er sieht mit weit geöffneten Augen den Kutscher an, der dumm und ehrlich ihm sein breites Antlitz und darin die geröthete Nase zeigt, jetzt den Mund öffnet und ein höhnendes Grinsen zum Besten gibt. Die beiden Gesichter, das verblüffte des Grafen, das spottende des Trunkenbolds sind vortrefflich, keine Scene auf dem Theater kann mehr von Wirkung sein, und dieser Ansicht scheint auch die Dame in der Kutsche zu sein, vor lauter Entzücken wirft sie ein Kußhändchen – dem Kutscher zu. Der Diplomat sieht und hört nichts, er nimmt erröthend sein Empfehlungsschreiben und eilt die Treppe seines Hauses hinauf, indem er die Thür hinter sich zuschlägt.

Am andern Tage erzählt sich der Hof, erzählt sich die Stadt eine sehr belustigende Geschichte. Mit veränderten Namen rollt das Anekdötchen hierhin und dorthin. Iffland ist der Held der Geschichte, Iffland der Minister, Iffland der Kammerdiener, Iffland der Droschkenkutscher. Der Gesandte ist nicht der Letzte, der das Abenteuer erfährt. Da der König lacht, der Minister lacht, die Ministerin und auch der Gesandte lacht, so findet der Attaché es am passendsten, auch zu lachen, im Geheimen schwört er jedoch dem Komödianten eine eclatante Rache.

Drei Wochen später kündigte der Generalintendant dem Schauspieldirector Iffland an, daß auf hohe Verwendung ihm ein Urlaub auf zwei Monate bewilligt sei. Wer zuletzt lacht, lacht am besten, und dies war Iffland.


III.

In einem Hause in der Köpenicker Vorstadt saß im ärmlichen Zimmer eine kranke Frau im Bette und vertrieb sich die Zeit, bei einem Stümpfchen Licht Briefe zu lesen, die sie aus einem Kästchen nahm und, wenn sie sie durchgelesen, sauber gefaltet wieder hinein legte. Ein Mann saß zu Füßen des Bettes im Schatten, das Haupt an die Wand gelehnt, und aus einer kleinen Thonpfeife Rauchwolken vor sich hin blasend. Es war stille im Zimmer, man hörte das Picken einer alten Uhr, die im Winkel am Fenster stand. Der Mond sah durch einen zerrissenen Vorhang in’s Dachzimmer.

Der Mann stand verdrießlich auf:

„Was hast Du nur für ein Vergnügen, Sophie, diese alten Briefe zu lesen!“ rief er. „Ich verstehe das nicht. Wenn man so alt ist und dazu so krank, könnte Einem wohl etwas Besseres einfallen, was zur Zerstreuung diente.“

Die Frau sah über ihre Brille hinüber den Fragenden an, und sagte dann mit einem höhnischen Lächeln:

„So alt? Wie alt bin ich denn! Und gerade, wenn man nicht mehr jung ist, hört man gerne von den Tagen sprechen, wo man sich bald auf diese, bald auf jene Weise belustigte. Diese Briefe ersetzen mir meine Freunde, die ich nicht mehr habe.“

„Rechnest Du mich für nichts?“ fragte gereizt der Mann.

Die Lesende gab ihm keine Antwort, sie durchflog wieder mit forschendem Auge die Linien eines sehr unleserlich geschriebenen Briefes, dessen vergilbtes Papier von seinem Alter und seinem langen Liegen im Kästchen Kunde gab.

„Dieser Brief ist von Iffland,“ sagte die Frau.

„Nenne mir diesen Namen nicht.“

„Er schreibt mir nach meinem ersten Auftreten auf der kleinen Bühne im Badeorte Birkenstein, wo ich die Agnes Bernauerin spielte. Wie lange ist das her! Willst Du hören, was er über mich sagt? Er prophezeit mir eine glänzende Zukunft, und sagt, daß ich einst die deutsche Clairon sein würde. Hier, diese Stelle ist rührend: Wenn wir uns einst wiedersehen nach langen Jahren, so wünsche ich nichts, als daß ich es sein dürfe, der den Kranz des Ruhms auf Ihre schöne Stirn drückt! – Du lieber Himmel – wenn er mich jetzt sähe – in dieser Umgebung! Gefurcht die Stirn, die er einst schön und eines Kranzes würdig nannte! O, Schicksal, Schicksal, wie spielst Du mit Deinen Geschöpfen!“

„Deshalb,“ hub der Mann wieder an, „finde ich’s thöricht, seine alten Briefe wieder hervorzusuchen.“

„Aber was soll ich denn sonst beginnen, um mit meinen traurigen Tagen zu Ende zu kommen?“ fragte die Kranke mit übler Laune. „Soll ich etwa stets und immer wieder Deine Klagen anhören? Dich bedauern, daß man Dich verkennt, Deinen Werth mißachtet, Dich in einem Winkel vermodern läßt? Glaube mir, ein schwacher Mann ist etwas Miserables.“

„Ich – schwach!“ rief der Gescholtene und erhob die dürre, zusammengedrückte Gestalt zu ihrer möglichsten Höhe. „Ich – der größte Mime Deutschlands und seiner Zeit – ein schwacher Mann? Sophie, versündige Dich nicht. Du bist schwach, warst immer schwach, und obgleich man sagt, die schwachen Weiber seien liebenswürdig, so machtest Du eine Ausnahme. Wie gut hättest Du Dich versorgen, wie trefflich und auf die Dauer die Männer, die sich Dir ergaben, an der Nase umherführen können! Aber Du wolltest immer ehrlich sein, und das nenne ich die erbärmlichste Schwäche.“

(Fortsetzung folgt.)




Gefährliche Rast.

„Halte Dein müdes Rößlein an,
Trabe vorbei nicht, blanker Reiter,
Staubig und durstig Roß und Mann,
Rastet und trinkt und dann zieht weiter!“

5
Schwül ist die Luft, und die Sonne sticht,

Und der Reiter schaut mit Behagen
In der Dirne rosig Gesicht,
Läßt sich den Spruch nicht zweimal sagen.

Tiefer Zug und frischer Trank

10
Labet das Herz und stärkt die Glieder,

Unter dem Baum auf schatt’ger Bank
Streckt sich gemächlich der Reiter nieder.

Rößlein stehet im Sonnenstrahl,
Stechende Mücken es umschwärmen,

15
Ob des geduld’gen Rößleins Qual

Muß des Mägdleins Herz sich härmen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_204.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)