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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

dem oberflächlichen Strom zu schwimmen. Er verschmähte es, dem Geschmack der Menge zu huldigen, und gefiel sich auch hier in einer fast gänzlich isolirten Stellung. Aber weit mächtiger war sein Schmerz um das Vaterland, welches damals unter Napoleon’s kriegerischem Despotismus die Tage seiner größten Schmach erduldete, und ohne Aussicht schien, sich jemals wieder daraus zu erheben. Kein Wunder, daß der Unglückliche verzweifelte und vom Ekel des Daseins tief erfüllt war.

Ernst und fast düster hatte er nach seiner Gewohnheit an jenem Abende neben der Freundin gesessen, als diese, um dem beängstigenden Schweigen zu entgehen, vom Sopha aufstand und an das Clavier trat. Mit wohltönender Stimme sang sie einen Psalm, die Composition eines alten italiänischen Meisters.

Als sie geendet hatte, sprang er plötzlich von seinem Stuhle auf.

„O!“ rief er mit einem aus seiner militairischen Carriere überbliebenem Ausdrucke uniformirter Begeisterung; „das war zum Erschießen schön.“

Henriette sah ihn einen Augenblick bedeutungsvoll an, und erwiderte kein Wort; nur um ihre feinen, blassen Lippen spielte ein eigenthümliches Lächeln.

Bei seinem nächsten Besuche kam sie in einer einsamen Stunde auf diese ihm entschlüpfte Aeußerung zurück. „Erinnern Sie sich,“ fragte sie ihn, „daß Sie mir ihr ernstes Versprechen gegeben haben, im Falle, daß ich Sie darum bitten sollte, jeden, selbst den größten Freundschaftsdienst zu leisten?“

Heinrich von Kleist.


„Gewiß erinnere ich mich,“ antwortete er mit einem Anstriche von galanter Ritterlichkeit. „Ich bin auch heut wie jeder Zeit bereit, Alles zu thun, was Sie von mir fordern.“

„Wohlan!“ rief das unglückliche Weib, „so tödten Sie mich! Meine Leiden haben mich dahin geführt, daß ich das Leben nicht mehr zu ertragen vermag.“

Er antwortete nicht und schien, in tiefe Gedanken versunken, kaum zu hören, was die Freundin sprach. Sie hielt sein Stillschweigen für eine Weigerung, auf die sie auch gefaßt war.

„Es ist freilich nicht wahrscheinlich,“ setzte sie mit leisem Spott hinzu, „daß Sie dies thun werden, da es keine Männer mehr auf Erden gibt; – allein – – –“

„Ich werde es thun,“ fiel der Dichter ihr in’s Wort, „ich bin ein Mann, der sein Wort hält!“

„Und Sie?“ –

„Ich werde mit Ihnen sterben. Wunderbar! Ich ging schon lange Zeit mit demselben Gedanken um, und zögerte nur mit der Ausführung, weil mir das Leben so vollkommen gleichgültig geworden ist, daß ich nicht einmal das Pulver daran verschwenden wollte. Auch täuschte ich mich noch immer mit der Hoffnung, für irgend eine große Idee mich aufzuopfern. Doch wo ist eine solche auf der Welt zu finden? – Wäre das Vaterland aufgestanden, so hätte ich wenigstens Gelegenheit gefunden, mein Blut für dasselbe zu verspritzen. Aber dies erbärmliche Geschlecht wird sich nie zu einer bedeutenden That aufraffen. Es verdient, noch mehr geknechtet zu werden, als es bereits ist.“ Eine unnennbare Trauer schwebte wie eine dunkle Wolke über das nicht unschöne Gesicht, welches einen fast kindlichen Ausdruck annehmen konnte, wenn der Dichter in heiterer Stimmung, was freilich selten geschah, einmal lächelte.

Nach dieser merkwürdigen Unterredung stand in Beiden der Entschluß fest, freiwillig ihrem Leben ein Ende zu machen. Der Dichter, welcher kein anderer, als der Verfasser des „Käthchen von Heilbronn“ und „des Prinzen von Homburg“, der später gefeierte Heinrich von Kleist war, verließ seine Freundin, und begab sich nach seiner Wohnung, um hier die nöthigen Vorbereitungen zu treffen, und seine irdischen Angelegenheiten zu ordnen.

Das Zimmer war klein und ärmlich, denn Kleist befand sich damals in der drückendsten Lage. Sein kleines Vermögen war auf Studien und Reisen draufgegangen; er besaß kaum so viel, um sein Leben kümmerlich zu fristen; auch war er zu stolz, um seine Freunde anzusprechen, oder seine Muse zum Sclavendienste um das tägliche Brod zu erniedrigen. Zu allen seinen Leiden kam noch das Gefühl der drohenden Noth. Was sollte ihm ein Leben, das er nicht zu ertragen, was nützte ihm das Genie, welches ihn vor dem Elend der Armuth nicht zu schützen vermochte? Er hatte den Versuch gemacht, und war in den Staatsdienst getreten, aber sein Geist schien nicht dazu geeignet, die unausbleiblichen Beschränkungen eines Amtes und die geforderte regelmäßige Thätigkeit eines solchen auf die Länge zu dulden. Eine Unterstützung von Seiten des Staates, welche Freunde für ihn vermittelten, stieß auf mannichfache Hindernisse und verzögerte sich, weil der damalige Staatskanzler Hardenberg Gründe zu haben glaubte, diese Wohlthat vorläufig zu verweigern. Mit seiner Familie war Kleist zerfallen, und seine ihm auch geistig verwandte Schwester Ulrike, ein Mädchen von ausgezeichneten Eigenschaften, früher seine stete Begleiterin auf vielfachen Reisen, hatte sich von ihm getrennt.

Er stand allein, fast dem Mangel preisgegeben.

Dieser Umstand war zwar nicht die Ursache seines schrecklichen Vorhabens, aber es wurde wenigstens dadurch bestärkt.

Mit einem bittern Lächeln musterte er sein übrig gebliebenes Eigenthum, das zum großen Theile in einigen Büchern und in seinen Manuskripten bestand. Darunter befanden sich zwei unvollendete Trauerspiele, „Leopold von Oesterreich“ und „Robert Guiscard“, seine liebste Schöpfung, die er drei Mal umgearbeitet und immer wieder, sich selber am wenigsten genügend, vernichtet hat. Bei einem Besuche, den er in Osmannstädt dem alten Wieland abgestattet, las er dem greisen Dichter einige Bruchstücke dieser Tragödie vor, über die sich der Dichter des „Oberon“ folgendermaßen äußerte:

„Wenn die Geister des Aeschylus, Sophokles und Shakespeare sich vereinigten, eine Tragödie zu schaffen: sie würde das sein, was Kleist’s Tod Guiscards des Normannen, sofern das Ganze demjenigen entspräche, was er mich damals hören ließ. Von diesem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_221.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)