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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

will ich erinnern, es ist auch hier bekannt – jener junge, leichtsinnige Mann aus den vornehmen Ständen, der sich dem Spiele ergeben hatte, durch meinen „Spieler“ ist er geheilt und den Seinigen, die ihn bereits verloren gaben, wiedergegeben worden.“

„Und ich könnte noch mehr solche Exempla anführen,“ nahm der Collaborator das Wort. „Man muß alte Vorurtheile fallen lassen, wo sie nichts nützen.“

„Und nun vollends das Mädchen! Hm, hm!“ murrte der Alte. „Das hübsche junge Ding! Die lange Zeit hin, denn der Anton kann jetzt doch nicht an’s Heirathen denken; er muß seine Dienstzeit vor allen Dingen überstehen und dann – nach einem einträglichen Amte sehen.“

„Das Mädchen bleibt unterweilen in meinem Schutze.“

„Wie gesagt, es wird nichts daraus; gebt Euch nur keine Mühe.“

Die Frau stand auf, schenkte die Tasse ihres Eheherrn wieder voll und sagte dabei:

„Alter, wenn sich die jungen Leutchen nun aber lieben?“

„Ei, es liebt sich in diesen Jahren allerorts. Laßt das Mädchen von der Bühne fort und ich gebe flugs meine Einwilligung.“

„Das soll nimmermehr geschehen,“ rief Iffland hastig; „das Kind hat Talent, es wird eine brave Künstlerin werden und sie soll bleiben, wo sie ist. Das sage ich.“

Eine Pause entstand, während sämmtliche Mitglieder des kleinen Familienkreises verstimmt und Jedes seinen Gedanken nachgehend, von seinem Nachbar keine Notiz zu nehmen schien. Der Collaborator mahnte zuerst an die Heimfahrt, denn es wurde spät und Nebel stiegen auf. Iffland trennte sich von seinem alten Freunde, indem er ihm nochmals das Versprechen abnahm, morgen im Schauspiel nicht zu fehlen.

Unterwegs war von der Weigerung des Alten die Rede, seine Zustimmung zur Heirath zu geben.

„Ich erwarte viel von dem morgenden Abend,“ sagte Iffland, „wenn er, der das Theater seit undenklichen Zeiten nicht besucht hat, das Mädchen wird spielen gesehen haben, wird er andern Sinnes werden. Ich werde als sein Ebenbild auf der Bühne schon das rechte Wort finden, ihm zu Herzen zu reden. Er wird, er muß sich fügen.“

„Das gebe der Himmel.“

„Er wird es geben.“

„Ein glückliches altes Pärchen das!“ fing der Collaborator nach einer Pause an, „wie sie so still und friedlich in ihrem Waldhause beisammenwohnen! Die Vögel singen ihnen vor den Fenstern und von den grünen Zweigen weht es kühl herein.“

„Nicht wahr, das gefällt Dir, alter Hagestolz?“

„Die Medaille wird indessen auch ihre Kehrseite haben.“

„Freilich, die Kehrseite ist, daß alles Glück auf Erden keine Dauer hat. Auch unser Philemon und Baucis werden im Verlauf einiger Jahre unter dem Schatten des Dorfkirchhofs ruhen.“

„Das meine ich nicht.“

„Eine andere Kehrseite hat die Medaille nicht. Es sind ein paar kreuzbrave, alte Leute, die drei gutgeartete Kinder haben und die dreißig Jahre glücklich miteinander leben.“

„Ach!“

„Fehlt Dir etwas? Sticht’s Dir im Bein?“

„Nein. Soll’s mir denn immer im Bein stechen? Es scheint, Du hältst mich für gar nichts mehr im Leben nütze. So ganz miserabel bin ich denn auch nicht!“ – Der Collaborator schob hier seine Pelzmütze keck auf ein Ohr und munter aus seinem Pelzkragen hervorsehend, rief er plötzlich: „Ich könnte noch heirathen.“

„Alle gute Geister!“ rief Iffland und fuhr entsetzt in die Höhe.

„Ja – ja, mach’ nur Deine Possen! Ich sage, ich könnte noch heirathen, und ich will heirathen. Das Bild im Försterhause hat mich auf Gedanken gebracht.“

„Eine der Töchter des Oberförsters?“

„Nein. Wo paßte ich wohl zu diesen Mädchen? Und übrigens immer im Walde wohnen könnte ich auch nicht. Das Haus muß feucht sein! Ich glaube, in dem Winkel, wo ich saß, Schwämme bemerkt zu haben.“

„Pilze, willst Du sagen, und unter den Pilzen Molche und junge Ottern.“

„Mit Dir ist über nichts Ernstes zu sprechen.“

„Wie willst Du heirathen? Du hast ja so wenig Frauenbekanntschaften. So einsam wie Du lebst, oder vielmehr vegetirst, siehst Du Niemand.“

„Es braucht auch keine zu sein, die ich erst jetzt kennen gelernt.“

„Ach so!“ rief Iffland, und ein Zug von froher Ueberraschung malte sich in seinem Antlitz. „Also eine alte Bekanntschaft.“

„Gerade keine alte Bekanntschaft, nur eine Bekanntschaft aus alter Zeit.“

„Ich verstehe. Die Tochter des Buchhändler Bernhard in Mannheim.“

„Ach was, dieses gelehrte und verbildete Geschöpf, die überdies drei Jahre älter ist wie ich. Ich meine eine Andere.“

„Eine Andere?“

„Nun ja doch. Wie Du schwer von Begriffen bist! Eine Andere, Eine, die halb und halb bereits meine Zusage hat. Kann ich überhaupt mit einem Weibe glücklich werden, so ist es die. Darüber habe ich bereits nachgedacht.“

„Nimm es mir nicht übel, Du denkst ziemlich lange nach – zwanzig Jahre und darüber. Wer weiß, was aus der Armen geworden ist.“

„Ja, wer weiß das! Sie irrt vielleicht umher – wahrscheinlich ist sie jetzt glücklich verheirathet. Mit einem Worte, ich will nur ihren Namen aussprechen: es ist Florine, die ich meine. Aber wir wollen nun dieses Gespräch abbrechen, es führt zu nichts. Die kalte Luft dringt Einem beim Sprechen in den Mund.“

Iffland wandte sich ab und halb lachend, halb ärgerlich rief er bei Seite: „Verdammter Egoist! Es genirt Dich, von ihr zu sprechen! Selbst das Bischen kalten Lufthauch willst Du ihretwegen nicht dulden.“

„Was sagtest Du da?“ fragte der Collaborator neugierig.

„Ich bewunderte die alte Tanne dort,“ entgegnete der Gefragte; „steht sie nicht sehr malerisch da?“

„So ziemlich. Hast Du keine Nachrichten von Florinen?“

„Nein.“

Die Freunde schwiegen, und bei völliger Dunkelheit fuhr man in die Stadt ein. Iffland begab sich in seine Wohnung, um Vorkehrungen zu der morgenden Festvorstellung zu treffen.




VI.

Fräulein Erland, die der Leser unter dem Namen Florine kennt, kehrte früher, als sie gewollt, nach Hause zurück, da sie die Bekannte, welche sie in Moabit hatte besuchen und bei ihr den Tag verbringen wollen, nicht zu Hause gefunden. Sie nahm ihren Weg durch das Brandenburger Thor, die „Linden“ entlang und blieb, da sie eben keine Eile hatte, bei einer Gruppe Leute stehen, die den Theaterzettel lasen, der an einem der Bäume angeklebt war. Schon lange hatte Florine sich nicht um das Theater gekümmert, ja geflissentlich vermieden, einen Zettel anzusehen, jetzt blickte sie hin, weil sie wissen wollte, weshalb die Leute so eifrig sprachen. Sie erfuhr, daß diesen Abend Iffland seine Benefizvorstellung habe, und daß „die Jäger“ gegeben würden. Das Stück regte alle trübe Erinnerungen in ihrer Seele auf, und sie wollte rasch vorüber eilen, als das heftige Gezänk, das immer lauter wurde, sie aufhielt und machte, daß sie auf die lärmend ausgestoßenen Worte lauschte. Augenscheinlich waren die Sprechenden Arbeitsleute, die einen Mann in ihrer Mitte hatten, dessen Kleidung zeigte, daß er den höheren Ständen angehörte. Er theilte Geld aus, und da Einige nicht so viel erhielten, als sie beanspruchten, machten sie Lärm.

„Ich kann zehn Mann stellen,“ rief ein breitschulteriger Mann mit einer Lederschürze, „und sie sollen ihre Sache gut machen, aber freilich kann ich unter einem halben Thaler für den Mann nicht zufrieden sein. Das sieht Jeder ein. Warum sollen meine Leute weniger bekommen, als der Jude dort? Pfeife ist Pfeife und ich wüßte nicht, daß eine christliche Lunge weniger Luft hätte, als die eines Mauschels! Hinausgeworfen von der Polizei wird man am Ende doch, das riskirt man! Also zwanzig Groschen für den Mann, denk ich.“

„Warum nicht gar, Meister Bartels, bedenkt, daß es dem Grafen alsdann zu theuer kommt.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_231.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)