Seite:Die Gartenlaube (1858) 232.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


„I, so laßt ihn selbst sich hinstellen und pfeifen. Uebrigens ist der Herr Director ein braver Mann, wie die Leute sagen, und bei meinem Vetter, dem Schuhmacher, läßt er seit Jahr und Tag arbeiten und bezahlt pünktlich; also ist’s mir nicht einmal ganz lieb, mich in die Sache einzulassen; es geschieht, weil es meinen Gesellen Plaisir macht, und sie sich ein paar Kannen Bier verdienen.“

„Nun, seid still, Meister,“ – rief der Mann mit der Börse; „geht Alles nach Wunsch, so sollt Ihr an dem Herrn Grafen keinen Geizhals finden. Nur rechten Lärm gemacht und zur rechten Zeit, Ihr müßt auf die Loge Nr. 8 merken, sobald Ihr ein weißes Tuch über die Brüstung herabhängen seht, so seid flugs bei der Hand. Jetzt geht, um fünf Uhr findet Ihr Euch zusammen seitwärts am Schauspielhause, da trefft Ihr auf mich, und wenn Einer oder der Andere noch etwas wissen will, ich sag es.“

Florine setzte kopfschüttelnd ihren Weg fort. Es schmerzte sie, zu hören, daß man ihrem Freunde und Gönner eine so unwillkommene Ueberraschung an seinem Feststage bereiten wollte, und sie beklagte, zu schwach zu sein, um es hindern zu können.

Wie sie in ihre Wohnung trat, fand sie die Thüre angelehnt, und in dem Vorzimmer eine junge Dame im Schleier sitzen, die aufstand, als sie sich zeigte, und ihr einen Wink gab, leise aufzutreten, und die Thüre nur lose wieder anzulehnen. Die Eigenthümerin der Wohnung sah verwundert den Gast an, der sich gebehrdete, als wäre er hier zu Hause. Sie vernahm mit Staunen die Frage, was sie wolle und wen sie suche.

„Was ich hier will?“ entgegnete Fräulein Erland, „ich könnte, wie es scheint, mit größerem Rechte diese Frage an Sie richten, meine schöne Dame, ich wohne hier.“

„Ach“ – rief der Gast leise flüsternd, „so sind Sie die Frau, von der der edle Mann, der mich hierher geführt, gesprochen hat.“

„Hierher geführt? Und weshalb?“

„O sprechen Sie leiser. Hier, dicht neben uns in jenem Zimmer liegt ein Mann todtkrank auf dem Lager.“

„Ein Mann? Und wer?“

„Es ist der beste, der edelste Mann, mit einem Worte, es ist mein Beschützer, mein väterlicher Freund. Ein plötzlicher Krankheitsanfall hat ihn auf der Straße getroffen und Herr Fellmer – heißt Ihr Verwandter nicht so?“

„Ja, Herr Fellmer. Er ist übrigens nicht mein Verwandter.“

„Gleichviel, dieser brave Mann hat meinen väterlichen Freund auf der Straße erkrankt gefunden, hat ihn hierher gebracht, und zugleich mich aufgesucht, um mich zu dem Kranken zu führen. O, wie danke ich ihm diese Vorsorge! Ich habe Gelegenheit, meinen edlen Freund zu pflegen. Herr Fellmer ist gegangen, um den Arzt zu bringen. Ich zähle die Minuten, bis er wieder kommt, und wo es mir vergönnt sein wird, in das Zimmer zu gehen.“

„Aber, meine Liebe, wie heißen Sie?“

„Sophie Seelfeld.“

„Hab nicht die Ehre, Sie zu kennen. Und jener Mann drinnen, der erkrankt ist?“

„Der Schauspieldirector Iffland.“

„O, was Sie sagen! Der arme Mann! Und gerade heute, an seinem Benefiztage! Welch ein Unglück!“

„Jawohl, und auch ich sollte heute spielen –“

„Sie, meine schöne Dame? Also Sie sind Schauspielerin?“

„Schülerin unseres großen Meisters.“

„Hm! Wollen wir denn hineingehen und nachsehen.“

„O, nicht doch! Das leide ich nicht; es darf Niemand in’s Zimmer.“

„Warten Sie schon lange hier?“

„Eine halbe Stunde. Still! ich höre Tritte. Das wird Herr Fellmer mit dem Arzte sein.“

Florine, die Thür ein wenig öffnend, lispelte: „Richtig, es kommen zwei Herren die Treppe herauf! Der Eine kehrt um, als er mich erblickt. Was bedeutet das?“

„O Himmel! ich zittre, weshalb geht der Arzt wieder fort?“

„Mein Kind, es ist kein Arzt. Zufällig kenne ich jenen Herrn. Es ist ein vornehmer Officier, der in der Nachbarschaft wohnt. Doch da ist Fellmer.“

Der ehemalige Schauspieler trat mit Zeichen der Bestürzung und des Verdrusses in’s Zimmer. Er rief mit heller Stimme seiner Gefährtin zu: „Weshalb zurückgekehrt? Was soll das? Du wolltest ja den ganzen Tag und den Abend fortbleiben.“

Florine trat an ihn heran und sagte ebenfalls flüsternd: „Was geht hier vor? Was ist mit dieser jungen Dame und dem kranken Manne da drinnen?“

Fellmer lachte, ballte die Faust gegen Florinen und rief drohend: „Schweig, Närrin! Mußt Du nach Hause kommen, um einen Spaß zu verderben? Mach, daß Du fortkommst – geh – geh!“

„Ich bleibe!“

Sophie trat an die Beiden heran und lauschte, plötzlich stieß sie einen lauten Schrei aus, und stürzte in das bis jetzt verschlossen gehaltene Zimmer, sie fand es leer.

„Wo bin ich?“ rief die Arme händeringend, „wo hat man mich hingeführt? Alles Täuschung! Es ist kein Kranker da.“

Florine zog die Jammernde zu sich, Fellmer hatte sich fortgeschlichen. Ein kurzer, heftiger Wortwechsel hatte zwischen den Beiden stattgefunden. „Der Elende! Das wagt er mir zu bieten! In meiner Wohnung, wo ich ihn aus Barmherzigkeit aufgenommen! Hier will er sein Bubenstück ausführen! Schändlich! Und hätte ein glücklicher Zufall mich nicht nach Hause geführt – was dann? Armes, armes Kind, wie verrucht hat man mit Ihnen gespielt! Ich bin Ihr rettender Engel!“ so rief, laut und mit mildem Klageton die unglückliche Florine, die mit ihrem Gaste inniges Mitgefühl hatte.

Scheu und aufgeregt blickte Sophie sie an, doch in Ton und Miene der Sprechenden lag etwas, das Vertrauen einflößte.

„Lassen Sie mich fort“ – bat das Mädchen – „o Gott, wie hab’ ich so leicht diesem fremden Manne folgen können! Allein seine Lüge klang so sehr nach Wahrheit! Mein theurer Beschützer krank, ich zu seiner Pflege nöthig! O, der Gedanke hätte mich bis an’s Ende der Welt gelockt.“

Florine überhäufte das schöne Mädchen mit Liebkosungen. „O, beruhigen Sie sich, liebes Kind – jetzt ist die Gefahr vorüber. Sie sind in meinen Händen und sicher. Aber der Plan war teuflisch! Sie sollten hier mit einem Wüstling zusammengeführt werden, der Ihnen wahrscheinlich schon lange vergebens nachgestellt, und sich jetzt der Hülfe jenes Elenden bedient hat, um zu seinem Zweck zu gelangen. Unbelauscht und ungestört wollte der Abscheuliche Sie hier sehen. Man wußte, daß ich den Tag und den Abend ausbleiben würde! Sie hätten vergebens nach Hülfe geschrieen, denn meine Wohnung liegt abgelegen. O, und noch ein schändlicher Beweggrund trieb ihn, gerade den heutigen Tag zu wählen; er beabsichtigte zugleich, da Sie auf der Bühne beschäftigt sind, die Darstellung zu hindern, und dadurch seinem Feinde Iffland, den er haßt, einen empfindlichen Streich zu spielen. Ich durchschaue Alles klar! Aber dem Himmel Dank, das Werk des Bösen ist vereitelt. Kind, theures Kind – kommen Sie zu sich! Erholen Sie sich. Eine mütterliche Freundin hält Sie in Ihren Armen. O, auch ich habe Aehnliches erlebt, auch ich habe auf derselben Laufbahn, die Sie jetzt zu betreten Willens sind, grausame Schicksale zu überstehen gehabt. Theure junge Freundin, fassen Sie Muth! Lassen Sie uns überlegen, wie wir Sie den Ihrigen wieder zuführen, ohne daß ein Wort von diesem unglücklichen Abenteuer verlautet. Es ist am besten, man schweigt von dergleichen. Wo wohnen Sie? Ich selbst will Sie hingeleiten, denn der Schreck hat Ihre Kräfte gelähmt, Sie können ohne Hülfe nicht über die Straße gehen. Kommen Sie. Aber mir soll der Elende nur wieder vor’s Auge kommen! Von heute an sind wir geschiedene Leute! Sie haben mir nicht geantwortet – wo Sie wohnen?“

Sophie nannte die Straße und das Haus der Präsidentin.

„Bei alledem,“ setzte Florine hinzu, „freuen Sie sich, daß es demnach mit der Erkrankung Ihres Freundes nichts ist.“

„Gewiß, dies ist ein großer Trost für mich. Aber ach – wie spät ist es?“

„Nahe an sechs, mein liebes Fräulein.“

„Himmel, da soll ich ja längst schon im Theater sein! Er wird auf mich warten! Er wird nicht wissen, wo ich geblieben bin. Ich kenne seine Unruhe, seine Besorgniß um mich. Man wird mich überall gesucht haben! Gott – welch einen Kummer, welch einen Schreck bereite ich den guten Menschen, die sich meiner angenommen!“

(Schluß folgt.)




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_232.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)