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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Fragen wir nun nach dem Capitalwerth, den die Herstellung dieser Massenproduktion in Anspruch nimmt, so können wir natürlich ebenfalls nur eine Wahrscheinlichkeits- oder Durchschnittsrechnung aufstellen, da die Ausführung des verschiedenartigsten Satzes und Druckes, die Qualitäten der Papiersorten und endlich das Honorar für die geistige oder speculative Production in jedem speciellen Falle die entscheidenden Factoren bilden. Wir müssen daher auf Grund der uns vorliegenden statistischen Angaben und eigener Erfahrung für jeden dieser Factoren eine Durchschnittsziffer annehmen, welche durch die gegenseitige Ausgleichung in der Massenproduction der Wirklichkeit auch ziemlich nahe kommen wird.

Die mechanische Herstellung in Satz und Druck läßt sich durchschnittlich auf einen Ballen mit 30 Thlr. annehmen und beträgt für die Massenproduction Sachsens von 19,000 Ballen 570,000 Thlr. Den Anschaffungswerth des Papiers berechnen wir nach den jetzigen Preisen im Durchschnitt für einen Ballen mit 20 Thlr., im Ganzen also mit 380,000 Thlr. Der Geldwerth für die geistige und speculative Production reducirt sich auf das Massenverhältniß eines Ballens zu 35 Thlr. und beträgt im Ganzen 665,000 Thlr. Die Gesammtproduction Sachsens würde hiernach also in einem Jahre ein Herstellungscapital von 1,615,000 Thlr. in Anspruch nehmen. Hieran hat Leipzig einen Löwenantheil: aus seinen Officinen gehen allein über 12,000 Ballen Druckerzeugnisse hervor, welche ein Anlagecapital von über eine Million Thaler repräsentiren.

Diese Resultate bieten uns aber noch nach einer andern Seite hin Stoff zur Betrachtung. Wenn wir nämlich die literarischen Zwecke in Betracht ziehen, denen diese Production Sachsens dient, so finden wir, daß mehr als der dritte Theil dieser Massenproduction auf die Zeitschriftenliteratur kommt.

Es erschienen Anfang 1856 überhaupt in Sachsen 202 Zeitungen und Zeitschriften in 343,883 Exemplaren, deren Auflage in einem Jahre ein Papierquantum von 35,171,311 Bogen oder 7034 Ballen 2 Ries 14 Buch in Anspruch nahm. Von diesen 202 Zeitschriften erschienen 4 täglich, 7 wöchentlich 6 Mal, 40 wöchentlich 2 bis 4 Mal, 94 einmal, 33 erschienen monatlich 1 bis 4 Mal, 13 jährlich 4 bis 13 Mal und 11 haben eine unbestimmte Zeit des Erscheinens.

Hinsichtlich der Massenproduktion stehen die politischen Zeitungen, Tage-, Wochen- und Intelligenzblätter obenan; ihre Zahl beträgt 101, von denen aber 57 nicht über 500, 18 von 500 bis 1000 und 21 über 1000 bis 3000, dagegen 3 3 bis 5000 und 2 5 bis 10,000 Auflage haben; sie verbrauchen jährlich allein ein Papierquantum von 21,574,801 Bogen. Diesen zunächst stehen die Zeitschriften vermischten Inhalts, meist der Unterhaltung und Verbreitung allgemeiner Kenntnisse dienend; obgleich nur 22 an der Zahl, werden sie doch jährlich in 8,645,000 Bogen verbreitet, unter ihnen sind 8 mit 1000 bis 5000 und 3 mit über 15,000 Auflage (das illustrirte Familienjournal mit 17,000 Auflage, der Dorfbarbier mit 18,000 Auflage, die Gartenlaube mit 45,000 Auflage[1]). Der schönen Literatur, Kunst, Musik, Theater und Mode gehören 16 an, welche jährlich in 1,523,700 Bogen erscheinen. 12 sind der allgemeinen Literatur, Bibliographie und dem Buchhandel gewidmet und werden jährlich in 1,240,210 Bogen gedruckt. Die übrigen 67 dienen rein wissenschaftlichen Zwecken und nehmen zusammen jährlich 2,197,600 Bogen in Anspruch.




Blätter und Blüthen.


Lola Montez, die nächstens nach Paris kommen wird und von einem Wirth als Dame de Comptoir für 30,000 Francs engagirt ist, besuchte früher auch einmal Berlin. Es war im Jahre 1843. Sie war zum ersten Male da, und ist auch nachher nie wieder hingekommen, denn es ging ihr schlecht dort. Mit der preußischen Polizei und den preußischen Criminalgerichten konnte auch Lola Montez nicht spaßen, und wäre der König nicht gewesen, es wäre ihr noch schlechter ergangen.

In den Herbstmonaten des Jahres 1843 befand sich auch der russische Kaiser Nikolaus in Berlin. Zwischen Nikolaus und Lola theilte sich die Aufmerksamkeit des Publicums. Das Publicum ist nun einmal so, überall, und das Berliner erst recht.

Am 17. September war in der Hasenheide bei Berlin eine große Parade zu Ehren des Kaisers Nikolaus, bei der auch Lola Montez nicht fehlte. Sie that, als wenn die Parade ihr zu Ehren sei. Sie flog zu Pferde heran, und ritt mitten durch die dicksten Haufen von Menschen, als wenn sie ein großer Herr, und sie durchbrach die Reihen der Soldaten, als wenn sie ein Feldherr sei. Sie mußte und wollte überall dabei sein und im nächsten Gefolge der regierenden Häupter.

Einem alten Wachtmeister von der Gensd’armerie wurde das doch zuletzt zu arg. Er ritt auf sie zu, und empfahl ihr sehr höflich – die Gensd’armen konnten damals noch sehr höflich sein –, daß sie sich mehr zurückhalten und die Leute nicht belästigen möge. Sie antwortete ihm mit einem derben spanischen Fluche und einem derben Schlage ihrer Reitpeitsche über das Gesicht.

Der alte Gensd’arm war verständig genug, auf der großen Parade, in der Nähe der Monarchen und im Angesichte von mehr als hunderttausend Zuschauern, keine weitern „Maßregeln“ zu ergreifen, die nur einen noch größern Skandal gemacht hätten.

Sein Vorgesetzter sah aber am andern Tage die Sache anders an. Ein Gensd’arm, gar ein Wachtmeister der Gensd’armen, auf feierlicher Parade, in der nächsten Nähe Allerhöchster Herrschaften, mit einer Peitsche in das Gesicht geschlagen! Der alte, brave Officier hatte keinen Ausdruck für das Schändliche, Empörende dieses Verbrechens. Er trug bei dem Criminalgerichte zu Berlin auf Bestrafung der „spanischen Tänzerin Lola Montez, zur Zeit in Berlin sich aufhaltend, und im Hotel de Russie logirend“ an.

Lola Montez wurde zum Criminalgerichte vorgeladen. Und dabei beging sie ein zweites schweres Verbrechen. Dem Criminalboten, der ihr die Vorladung überbrachte, zerriß sie das Papier vor der Nase, und die Stücke warf sie ihm vor die Füße. Das war gar Schmähung der Verordnungen der Obrigkeit. Eine zweite Untersuchung gegen Lola Montez. Sie lachte dazu.

Aber sie hatte viele Bekannte in Berlin, nicht blos unter den Officieren, sondern auch unter den Kammergerichts-Referendarien. Die letzteren setzten ihr auseinander, daß sie für ihre beiden schweren Verbrechen eine Strafe von mindestens drei Monaten Gefängniß, vielleicht sogar im Ochsenkopf (dem Berliner Arbeitshause) bekommen könne, und riethen ihr, als einziges Mittel, dieser Strafe zu entgehen, ein Begnadigungsgesuch an den König an.

Drei Monate Gefängniß, gar im Berliner Ochsenkopf, dem unfreiwilligen Versammlungsorte der gemeinsten Bummler und liederlichen Dirnen Berlins, das war der Tänzerin doch zu viel. Sie bat einen der Referendarien, ihr das Begnadigungsgesuch zu machen, und sandte es an den König ab.

Friedrich Wilhelm IV. hatte eigenhändig auf das Gesuch geschrieben, buchstäblich, wie folgt:

Mlle. Lola ist ein unartiges Kind und hübsches Mädchen, deren Betragen wir nicht so genau zu nehmen haben, da uns ihre Erziehung nicht anvertraut ist. Die Polizei-Behörde hat dafür zu sorgen, daß sie Berlin schleunig räume, und ist ihr ihr Paß sogleich zuzustellen.

F. W.

An den Polizei-Präsidenten von Puttkammer.“

Ein Datum hatte der König nicht beigefügt; der Polizei-Präsident hatte den Befehl am 3. Oktober erhalten.




Psychisches Telegraphiren. Aus Newyork schreibt uns ein Herr Ludwig H–ss– (geborner Sachse) in vollem Ernste: „Bisher telegraphirte man nach zwei bekannten Arten. Bei der ersten ist ein beweglicher Apparat in Thätigkeit, dessen Theile durch Auf- und Niedergehen eine Anzahl Figuren bilden, die bestimmte Worte oder Begriffe bedeuten. Diese ist längst abgethan durch die zweite, jetzt allgemein gebräuchliche, mittelst des elektro-magnetischen Apparats.

„Eine dritte, bis jetzt wenig oder gar nicht bekannte Methode ist aber das „Freie Telegraphiren“ oder das Telegraphiren ohne alle mechanische oder physikalische Hülfsmittel nur durch den Gedanken selbst. Der Gedanke geht mit Hülfe entsprechender Willensstärke an den Ort seiner Bestimmung, er kennt keine Zeit, Entfernung oder sonstige Hindernisse, und nur der freie Wille des Objectes steht hindernd in dem Wege, wenn Versuche mißglücken.

„Wenn auch diese Methode, was den praktischen Nutzen anbetrifft, weit hinter den beiden vorhergehenden steht, so übertrifft sie doch dieselben an Schnelligkeit, wirft ein neues und helles Licht auf die Thätigkeit des menschlichen Geistes und löst das Räthselhafte der Ahnungen. Wenn man dann die Stärke eines gewöhnlichen Gedankens mit der Stärke eines Gedankens der Todesangst vergleicht und dabei das Freie Telegraphiren in Betracht zieht, so kann man sich die bekannten Ahnungen auf ganz natürlichem Wege erklären.

„Um dem geehrten Leser zu zeigen, wie verfahren werden müsse und wie der Unterzeichnete selbst dazu gekommen ist, lassen wir Nachstehendes folgen.

Vor etwa zwölf Jahren hatte Schreiber dieses einen öffentlichen Vortrag über das menschliche Auge gehalten, war dabei auf den Gedanken gekommen, die Ursache, Kraft und Wirkung des Blickes zu verfolgen und zu prüfen und stellte zu diesem Behufe eine Menge Versuche an. Es wurde gefunden, daß der Blick stets auf das Object wirke, gleichviel, ob das Auge des Objectes getroffen wird oder nicht. Betrachtet man z. B. einen vor sich Hergehenden, so dreht sich derselbe um. ohne zu wissen, weshalb, ausgenommen, wenn es ein Bekannter war. Sah man aus einem finstern

  1. Gegenwärtig ist die Auflage der Gartenlaube bis auf 70,000 gestiegen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_239.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)