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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Zur Natur- und Jagdgeschichte des Tigers.

Indien ist das klassische Land für Tiger-Jagden. In keinem Theile der Erde wuchert die Gattung dieses stärksten und furchtbarsten aller Raubthiere in solcher Masse, weil es den Eingebornen an Mitteln fehlt, sie zu bekämpfen und zu vertilgen, und die europäischen Jäger finden dort ein Jagdgebiet, wie sie es sich nur wünschen können. Wild in Masse, und wenn sie in rechter Ausrüstung zu dessen Jagd ausziehn, eine nicht allzu schwer zu erlegende Beute, welche ihnen Staunen und Bewunderung in ihrer Heimath verheißt.

Gegen die Gefahren, welche Jäger, wie Gordon Cumming, in Afrika zu bestehen hatten, sind die in Indien gering, weil die Jagd in diesem von bewohnten Stellen ausgeht und die Eingebornen den Europäern, welche sie von ihrer Plage befreien wollen, gern Beistand leisten.

Es ist daher auch begreiflich, daß die englischen Officiere sich die Jagd in Indien im hohem Grade angelegen sein lassen, um bei ihrer Rückkehr die glänzenden Trophäen mit sich nehmen zu können, welche die hohe Jagd in Indien verheißt.

Einer derselben, welcher seine Jagd-Abenteuer kürzlich dem Druck übergeben hat, berichtet, daß er in einem Jahre 156 Stück größeren Wildes erlegt hat. Unter diesen befanden sich 68 getödtete und 30 verwundete Tiger, im Ganzen 98, 25 getödtete und 26 verwundete Bären und sieben Panther. Damit ihm nicht der Vorwurf gemacht werden kann, daß er etwa bloße Jagdgeschichten erzähle und seinen Lesern Bären, aufbinden wolle, beruft er sich dabei auf das Zeugniß von sieben Officieren, welche Theilnehmer seiner Jagdzüge an verschiedenen Stellen des Landes waren.

Sein im Ganzen etwas einförmig und in zu wenig fesselnder Weise geschriebenes Buch enthält nichtsdestoweniger manche interessante Beiträge zur Naturgeschichte des Tigers, und wir hoffen, uns den Dank unserer Leser zu verdienen, wenn wir diese zusammenstellen und ihnen eine Anschauung von diesem Zweige der hohen Jagd geben.

Während der Regenzeit, welche mit Ende Juni beginnt und vier Monate anhält, ist dem Raubgezücht in Indien nicht beizukommen, da es während derselben unmöglich ist, in die schlüpfrigen Wälder und die sumpfigen Theile des Landes zu dringen, und der Aufenthalt in diesen außerdem zu ungesund ist. Selbst die folgenden fünf Monate dauern diese Gefahren noch fort und es sind deshalb die drei Monate der heißen Jahreszeit, welche auf diese Jagd verwandt werden müssen.

Zu derselben bedarf man drei und mehr guter Doppelbüchsen und der Begleitung von zwei Eingebornen, welche die Büchsen stets in Bereitschaft halten müssen. So lange der geübte Jäger auf diese Hülfe rechnen kann, ist er im Stande, dem aufgestörten oder umherstreifenden Tiger sicher entgegen zu treten und ihn durch ein Paar gut gezielte Schüsse zu erlegen; hierin liegt aber seine größte Gefahr, daß sie beim Anblick des Tigers davon laufen.

Die englischen Officiere bilden deshalb gewöhnlich Jagdgesellschaften, welche für längere Zeit ausziehen und außer dem Vortheil der gegenseitigen Hülfe zugleich das Vergnügen des gesellschaftlichen Verkehrs gewähren.

Beim Beginne der Jagd leisten die Pfauen und die Affen dem Schützen die größten Dienste. Beide sind die natürlichen Feinde des räuberischen Katzengeschlechts, das ihnen fortwährend nachstellt, und rächen sich dafür an diesem, sobald sie sehen, daß ihm deren stärkster Feind, der Mensch, naht. Beim ersten Lärm der Treiber erheben die Pfauen ihr Geschrei „ha-uk, ha-uk“, das alsbald von ihren ferner hausenden Genossen wiederholt wird und fast jedes Mal das Zeichen ist, daß sich Tiger oder wilde Katzen in ihrem Reviere aufhalten. Wenn Hirsche und Bären durch das Gebüsch streifen, schweigen die Pfauen. In gleicher Weise erheben die Affen ihr Kriegsgeschrei, sobald ein Tiger oder Panther von den Treibern aufgestört wird. Sie mögen damit wohl nur ihr Geschlecht von der nahenden Gefahr benachrichtigen wollen, verrathen aber zugleich dem Menschen die Anwesenheit des Raubthieres, denn auch sie schreien nur beim Anblick eines solchen, nicht des andern Wildes. Die Affen führen in Indien ein äußerst comfortables Leben, da die Indier ihnen aus religiösen Vorurteilen nicht nachstellen, aber die Panther und die Boa’s verbittern es ihnen, weil diese Nachts die hohen Bäume erklimmen und sie im Schlaf überraschen und tödten.

Auch das Geschrei der Krähen verräth den Tiger, doch kann man sich darauf nicht verlassen, da sie es auch beim Anblick anderen Wildes erheben. Nachts verkündet dagegen das „Kole ballu“ der Schakals den Tiger, da die alten Thiere dieser Gattung den Tiger zu begleiten pflegen, um sich der von ihm übrig gelassenen Jagdbeute zu bemächtigen, und diese dem Tiger durch ihr Geheul die Nähe von Vieh, Kameelen, Pferden und Menschen verkünden, um ihn zum Raubzug gegen sie zu stacheln.

Die Tiger-Jäger kleiden sich sorgfältig in braune Farben, damit ihre Kleider nicht gegen die Felsen und die in der heißen Jahreszeit braun gesengten Büsche abstechen. Tiger sind, wie alles größere Wild, außerordentlich vorsichtig, namentlich wenn sie schon einmal angeschossen sind, und brechen lieber durch die Treiber durch, als daß sie auf einen ihnen fremden Gegenstand zueilen.

Gut gezielte Schüsse in die Hirnschale oder in’s Blatt strecken den Tiger leicht zu Boden, aber selbst dann ist noch große Vorsicht nöthig. Einmal begegnete es dem Verfasser des erwähnten Buches, daß ein Tiger, der nach zwei Schüssen in seiner Höhle wie todt niedergestreckt dalag, nachdem der Vorsicht halber noch ein Schuß in’s Blatt abgefeuert worden, plötzlich wieder aufsprang und ein furchtbares Gebrüll erhob. Zum Glück war er jedoch selbst so von Furcht erfüllt, daß er sich in seine Höhle flüchtete, statt sich, wie zu besorgen war, auf die Leute zu stürzen, welche ihn auszuweiden im Begriff standen. Dadurch konnte er auf’s Neue erlegt werden, ehe er dazu kam, Unheil anzurichten.

Wenn die Treiber sich zusammenhalten und den Tiger unter lautem Lärm mit Steinen werfen, getraut er sich nicht, sie anzugreifen; sieht er sie jedoch vereinzelt, so wirft er sich auf einen von ihnen und trägt ihn im Maule fort, um ihm den Kopf zu zerbeißen, sobald er Zeit dazu gewinnt. Häufig wird ihm die Beute jedoch auch abgejagt. Ein solches Schicksal betraf selbst einmal einen englischen Officier, welcher der Jagdgefährte des erwähnten Schriftstellers war.

Wir wollen diese Schilderung wiedergeben.

Um das hohe Gras in unserer Nähe zu übersehen, stiegen wir Beide mit unsern Büchsen auf einen kleinen Dornbaum. Kaum hatten die Treiber ihren gewöhnlichen Lärm begonnen, als ein schöner Tiger erschien und zu unserer Freude gerade auf uns zukam. Wir wollten ihn bis auf einige Schritt herankommen lassen, als zu unserm Leidwesen ein Mann, der einen höheren Baum hinter uns erklommen hatte, uns zurief, um uns vor dem Nahen des Tigers zu warnen. Dieser Ruf machte ihn stutzig, er stand still, lugte einen Augenblick umher und sprang in entgegengesetzter Richtung fort. Wir feuerten darauf unsere Doppelbüchsen ab und das laute Geheul des Tigers sagte uns, daß wir nicht gefehlt hatten, aber das dichte Gebüsch verbarg den Tiger, so daß wir nicht mehr zum Schuß kommen konnten. Wir warteten, um den Treibern Zeit zu lassen, das Revier zu durchstöbern, und hörten darauf einige Pfauen-Rufe. Ein junger Tiger erschien und wurde durch einen Schuß zu Boden gestreckt, verkroch sich jedoch so tief in das hohe Gras, daß wir seiner nicht habhaft werden konnten und ihn erst nach zwei Tagen todt fanden. Da der Abend nahte, so folgten wir nun schnell den Spuren und den Schweißtropfen des verwundeten Tigers. Sie führten uns durch dichtes Dorngebüsch und hohes Gras, und wir folgten ihnen an der Spitze unserer Leute, bis wir an einen offenen Platz kamen, wo sie aufhörten. Wir ließen einen Mann auf einen Baum steigen, um zu recognosciren, und Elliot und ich gingen ein paar Schritte vor, um die Spuren genauer zu untersuchen, ehe sie von unsern Leuten zertreten würden.

Bei dieser Beschäftigung hörten wir plötzlich ein lautes Gebrüll in einem Sumpfe wenige Schritte rechts von uns. Elliot war etwa zwanzig Schritte weit von mir entfernt. Dem Gebrüll folgte gleich darauf eine Tigerin, welche gerade auf mich los ging. Ich hatte kaum Zeit, beide Läufe meiner Büchse abzuschießen; diese Schüsse oder der Pulverdampf veranlaßten sie, von mir abzulassen und sich Elliot zuzuwenden, auf den sie so rasch zusprang,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_254.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)