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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Meine Ahnung bekam eine bestimmte Richtung.

Ich combinirte, aber anders, wie der Graf Alexander Ruthenberg. Des Letzteren Neffe war ein ausschweifender Mensch gewesen. Die Försterstochter war hübsch, sogar sehr hübsch. Das hübsche Mädchen hatte dem jungen Manne gefallen; der reiche, vornehme junge Graf dem Mädchen. Der Vater hatte sie über einer heimlichen Zusammenkunft im Walde ertappt. Er war strenge, er war wahrscheinlich, nach Art der meisten Förster, auch heftig; die tödtliche Waffe war sein täglicher Umgang. Wie nahe lag nun das Weitere!

Die Gräfin hatte meine Combination errathen. Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, nein. Mein Neffe hatte mit dem Mädchen nichts zu schaffen.“

„Wissen Sie das gewiß, gnädige Frau?“

„Ich wüßte es, wenn es der Fall gewesen wäre.“

Ein sehr leises Lächeln flog über ihr Gesicht. Es war das erste Mal, daß sie lächelte. Ich glaubte, in ihrem Auge zu lesen: „Wenn er mit dem Mädchen zu schaffen gehabt hätte, er hätte es mir selbst gesagt.“

Gegen den liederlichen Neffen war die gemessene, strenge Frau nicht gemessen und strenge gewesen.

Ich durfte meine neue Combination nicht ausschließlich verfolgen, und fragte weiter:

„Sie haben keinen zweiten Jäger, gnädige Frau?“

„Gewiß, ich zählte ihn unter die Bedienten.“

„Er wohnt also im Schlosse?“

„In dem Souterrain für die Domestiken.“

„Er ist ein junger Mann?“

„Ich denke, in der Mitte der zwanziger Jahre.“

„Seit wann in Ihrem Dienste?“ .

„Seit beinahe einem Jahre. Ich habe ihn im vorigen Sommer aus Deutschland mitgebracht.“

„Wie lange ist Ihre Gesellschafterin bei Ihnen?“

„Seit derselben Zeit.“

„Sie ist eine noch junge Dame?“

„Sie wird neunzehn oder zwanzig Jahre zählen.“

„Sind Ihnen ihre früheren Verhältnisse bekannt?“

„Nein, mein Herr. Ich suchte in Ems eine Gesellschafterin; das junge Mädchen stellte sich mir vor; sie gefiel mir, und das war genügend, um sie zu mir zu nehmen.“

„Sie haben sich in der jungen Dame nicht getäuscht?“

„Wie so, mein Herr?“

„Sie hat sich Ihren Beifall zu bewahren gewußt?“

„Vollkommen. Sie ist ein gebildetes Mädchen, hat einen sanften, beinahe schüchternen Charakter und ist immer freundlich und dienstfertig.“

„Sie hatte also keinen heftigen, leidenschaftlichen Charakter?“

„Durchaus nicht.“

„Auch ihr sittliches Verhalten – verzeihen Sie mir die Frage, die ich nicht gut umgehen kann – ist keinem Tadel unterworfen?“

„Das junge Mädchen hat im Gegentheil sogar sehr strenge Grundsätze.“

„Gnädige Frau, ich muß auch für die folgenden Fragen, so wie für die Bitte um deren offene Beantwortung vorher um Ihre Verzeihung bitten.“

„Sie sind in Ihrem Amte, mein Herr, und ich weiß, was man der Obrigkeit schuldig ist.“

„Wie war das Verhalten Ihres Neffen und Ihrer Gesellschafterin zu einander?“

Ich hatte bei der Frage wieder ein feines, etwas spöttisches Lächeln auf ihren Lippen erwartet. Ihr Gesicht blieb vollkommen unbeweglich. Und doch, ganz hinten in ihrem Auge glaubte ich einen leisen Schimmer von Unruhe zu bemerken. Keine halbe Secunde lang; ich glaubte ihn kaum zu sehen, da war er schon verschwunden.

Sie antwortete auf meine Frage mit vollkommen ruhiger und klarer Stimme, ein wenig stolz; aber der Stolz kam mir etwas zweideutig vor.

„Mein Herr, das Benehmen der Beiden gegen einander war ganz das eines Grafen Ruthenberg gegen die Gesellschafterin seiner Tante, und so umgekehrt.“

Selbst die Worte konnte ich zweideutig, gar frivol finden, einmal im Munde einer Gräfin Ruthenberg, die nach einem Leben voll galanter Abenteuer nicht fromm geworden war, und andererseits nach der Kenntniß, die ich von dem Charakter zweier Grafen Ruthenberg durch einen derselben selbst erhalten hatte.

Indessen, bei dem Stolze, den sie mir einmal entgegengesetzt hatte, durfte ich nicht darauf rechnen, auf dem eingeschlagenen Wege zu meinem Resultate zu gelangen. Ich mußte einen andern betreten.

„Ihre Gesellschafterin hat ihre Zimmer Parterre, gnädige Frau?“

„Parterre, nach dem Garten hin.“

„Es stößt ein Bibliothekzimmer daran?“

Wieder jener Schimmer einer Unruhe in ihrem Auge; diesmal deutlicher, länger. Sie sah mich zugleich unwillkürlich forschend mit dem unruhigen Auge an. Gleich darauf Verdruß in ihrer Miene, daß sie sich vergessen, daß sie Unruhe gezeigt hatte. Nur ein neuer Verrath, wie unruhig sie innerlich war, und wie vielen Grund sie dazu haben mußte.

Es hatte sich also in der That etwas Ungewöhnliches in dem Hause zugetragen, und ich war auf dem rechten Wege zu seiner Entdeckung. Es kam nur darauf an, den Weg nicht wieder zu verlieren.

Sie hatte trotz jener verräterischen Zeichen rasch geantwortet:

„Ihr Schlafgemach stößt an ein altes Bibliothekzimmer.“

Ich fragte eben so rasch weiter:

„Wann waren Sie, gnädige Frau, zuletzt in dem Bibliothekzimmer?“

„Ich erinnere mich dessen nicht.“

„Nicht seit dem Verschwinden Ihres Neffen?“

„Nein, mein Herr. Seit Jahr und Tag wenigstens war ich nicht dort.“

„Haben Sie seit diesem Verschwinden eine Veränderung in dem Benehmen Ihrer Gesellschafterin gefunden?“

„Ich wüßte nicht.“

„Gnädige Frau, entschuldigen Sie die dringende Bitte, über diesen Umstand nochmals genau Ihr Gedächtniß befragen zu wollen. Ich würde bedauern, wenn ich –“

Sie fiel mir in das Wort, halb aufgebracht, halb wieder in jener eigenthümlichen Unruhe.

„Mein Herr, halten Sie mich für fähig, Ihnen die Wahrheit vorzuenthalten?“

„Gnädige Frau, ich darf vollkommen offen gegen Sie sein?“

Sie nickte stolz mit dem Kopfe.

„Ich habe in unserer bisherigen Unterredung von Ihnen bereits Andeutungen erhalten –“

„Von mir, mein Herr?“

„Die mich als Criminalrichter verpflichten, weitere Nachforschungen vorzunehmen, insbesondere die sämmtlichen Leute Ihres Schlosses zu vernehmen.“

Sie wurde auf einmal beinahe heftig.

„Mein Herr, Sie wollten ganz offen gegen mich sein?“

„Ich war es, und werde es ferner sein.“

„Wohlan, wer war gestern Abend bei Ihnen?“

Sie hatte sich selbst gefangen. Meine Worte hatten den Verdacht, vielleicht die Ueberzeugung in ihr geweckt, daß ihr Schwager bei mir gewesen sei, und mir Entdeckungen gemacht habe. Sie ahnte, sie wußte vielleicht diese Entdeckungen. Sie widersprach ihnen nicht; sie wurde gar durch sie beunruhigt. Ein klarer Beweis, daß sie nicht ganz unbegründet waren, mochte ihr Schwager sie ihr schon vorher mitgetheilt haben oder nicht. Im letztern Falle war sie auf eigenem Wege zu demselben Resultate gekommen, wie er, das Resultat war also noch mehr begründet.

Ich mußte ihr antworten. Die Wahrheit durfte ich ihr nicht sagen. Ich konnte aber auch nicht lügen. Ich ergriff einen Ausweg.

„Gnädige Frau, der Criminalrichter hat gesetzlich die Verpflichtung, auf manche Fragen, die an ihn gerichtet werden, keine Antwort zu ertheilen. Auf einer Beantwortung der Frage, die ich die Ehre hatte, an Sie zu richten, muß ich aber bestehen.“

Sie sann nach. Sie legte ihre feine Hand über ihre Augen. So saß sie fast eine volle Minute unbeweglich. Sie fühlte, daß sie gefangen war. Aber dieses Gefühl hatte in der feinen, klugen, stolzen russischen Gräfin, die bisher nur Triumphe gefeiert hatte, und die nun von einem so tief unter ihr stehenden preußischen Criminalrichter sich besiegt sah, alle Leidenschaften eines stolzen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_295.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)