Seite:Die Gartenlaube (1858) 296.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


wahrlich nicht reinen Herzens entzündet. Nur der Stolz und die Selbstbeherrschung der Dame von Welt vermochten den vollen Ausbruch ihres Hasses und ihrer Bosheit zurückzuhalten.

Sie erhob sich rasch von ihrem Sitze und richtete sich stolz vor mir in die Höhe, sie blickte mich mit dem Ausdrucke des verachtenden Hochmuths an. Dann sagte sie langsam und mit einer Stimme, die der haarscharfen und eiskalten Schneide eines Stahles glich:

„Mein Herr, ich für meine Person halte über Alles auf Ehre, und werde mich nie eines Verrathes theilhaftig machen. Thun Sie, was Ihres Amtes ist, auch in meinem Hause. Nur an mich, bitte ich, richten Sie keine Frage mehr. Ich empfehle mich Ihnen, mein Herr.“

Sie nickte stolz wie eine Königin mit dem Kopfe, und ging in ein Nebenzimmer. Aber sie blieb gefangen. Ich hatte gewonnen Spiel. Gewonnen Spiel!

Es ist, es muß das Streben des Inquirenten sein, seine Partie zu gewinnen. Und seine Partie ist eine nothwendige für die menschliche Gesellschaft. Aber wie traurig, wie schrecklich ist sein Spiel in dem einzelnen Falle für die Personen, gegen die es gewonnen wird! Es geht um Glück, um Ehre, wie oft um den Kopf! Und ist dann der, der so sein Alles darin verliert, immer ein schlechter Mensch, ein Schurke, ein Bösewicht? Wie oft war nur Schwäche, Verführung, Aufbrausen der Leidenschaft, gar eine an sich edle Gesinnung da, und die arme Gerechtigkeit, wenn sie ihr Opfer erreicht hat, muß über die Binde des Rechts, mit der sie ihre Augen bedecken mußte, den Schleier der Trauer werfen, der Trauer darüber, daß sie doch nur eine arme, blinde menschliche Gerechtigkeit ist. Und wie gar oft ist sie auch das nicht einmal, sondern nichts, als ein starrer, entsetzlicher, selbst das menschliche Recht höhnender Gesetzes-Paragraph! Gegen wen sollte auch ich jetzt mein Spiel gewinnen? Gegen ein armes, tugendhaftes, schutzloses Mädchen, das ihre Tugend und ihre Ehre gegen die rohesten Angriffe vertheidigt hatte!

Die Combinationen des Grafen stimmten mit denen seiner Schwägerin. Sie waren bei Beiden auf die genaueste Kenntniß der Personen und Zustände gestützt. Der frivole Graf, dem nichts heilig war, hatte auch nichts zu schonen gehabt. Er war offen mit seinem Verdachte hervorgetreten; er hatte dabei vielleicht wirklich nur an das Vergnügen gedacht, seine feine Menschenkenntniß bestätigt zu sehen. Die Gräfin war um so zurückhaltender gewesen. Aber sie war eine Frau, die stets gewohnt gewesen war, den Schein zu retten. Ein Bekanntwerden des Verbrechens machte Eclat, griff die Ehre ihres Hauses, ihrer Familie an. Dafür ließ sie lieber ihren nächsten Verwandten in der Mördergrube, aus der er lebendig doch nicht hervorgezogen werden konnte.

Und brachte ein Bekanntwerden und eine Untersuchung des Verbrechens nicht auch nothwendig ihren eigenen, schweren Antheil an das Licht, dessen sie durch Dulden, vielleicht selbst durch Begünstigen der Verfolgungen des Getödteten gegen die Gesellschafterin an der Tödtung ihres eigenen Neffen sich schuldig gemacht hatte? Darum jene Unruhe, darum zuletzt ihr Zorn, ihr Haß gegen mich. Und konnte sie nicht noch größeren, schwerern, unmittelbareren Antheil an dem Verbrechen haben? Eine blos moralische Mitschuld hätte diese Dame kaum so beunruhigen können.

Allein war es denn gewiß, daß nur überhaupt ein Verbrechen, ein Mord vorlag? Und wenn dies, daß die Gesellschafterin die Thäterin sein müsse? Immer fiel mir wieder die hübsche Försterstochter in der einsamen Försterwohnung mit dem strengen, heftigen Vater ein.

Eins war gewiß, ich mußte meine Untersuchung fortsetzen. Noch wollte und konnte ich es mit solcher Schonung, daß ich die Criminalbeamten zurückließ.

Ich dachte über das Alles noch nach, als der Haushofmeister der Gräfin zu mir in’s Zimmer trat.

„Die gnädige Gräfin hat mich zu Ihrer Disposition gestellt, Herr Kreisjustizrath.“

„Ist die Gesellschafterin der Frau Gräfin zu Hause?“

„Sie ist in ihrem Zimmer.“

„Ich bitte, mich zu ihr zu führen.“

Er führte mich durch einen langen Gang fort bis an das Ende des Gebäudes. An der vorletzten Thür blieb er stehen.

„Hier.“

Ich bat ihn, mich allein zu lassen. Er ging.

Ich klopfte an die Thür.

Mir selbst klopfte das Herz. Eine der grausamsten Operationen meines Amtes sollte wieder beginnen. Und gegen wen, gegen welche Unglückliche sollte ich sie vornehmen?

„Herein!“ rief eine sanfte weibliche Stimme.

Ich öffnete die Thür, und trat in das Zimmer.

Eine junge Dame saß an einem kleinen Arbeitstisch und stickte. Sie war sehr schön. Als sie mich sah, stand sie auf, und empfing mich als Dame von Welt. Aber sie sah mich mit einem gewissen unruhigen Befremden an. Die Farbe ihres Gesichts veränderte sich leicht, und auf einmal wurde ihr Blick ängstlicher.

War das jener ängstliche Blick, womit jeder Verbrecher, wenn er einen Fremden sieht, wenn er nur eine Thür plötzlich aufgehen hört, forschen muß, ob nicht schon Polizei und Gerichte hinter ihm seien? Ich sollte in einer Minute Gewißheit darüber haben.

Mein erster Blick in das schöne, edle, weiche und unglückliche Gesicht hatte mir gesagt, daß ich hier keinen so schweren Stand, wie bei der Gräfin haben werde. Wie bei dem Grafen die Frivolität, so kamen mir hier weicher, edler Sinn und das Unglück entgegen. Auch die Züge eines tiefen Unglücks hatten in das schöne Gesicht sich eingeprägt. Sie hatte bei ihrer Arbeit geweint. Ich glaubte, die Thränen noch zu sehen.

„Mein Fräulein, ich bin der Kreisjustizrath – aus –.“

Sie war die Verbrecherin! So konnte bei dem Namen des bekannten Criminalbeamten nur das Schuldbewußtsein erschrecken. Ihr Gesicht überzog sich mit Leichenblässe. Die Stickerei, die sie noch hielt, flog in ihrer Hand hin und her. Sie konnte kein Wort sprechen. Sie schwankte zu einem Sopha, und lud mich mit einem Wink der zitternden Hand ein, neben ihr Platz zu nehmen. Ich folgte ihr.

Sie war schuldig. Es war mir beinahe kein einziger Zweifel mehr; aber das tiefste Mitleid für die Unglückliche kämpfte in mir mit meiner Amtspflicht. Ich ließ ihr Zeit, sich zu fassen. Sie war ja doch mein. Dann begann ich mein trauriges Fragespiel.

„Darf ich um Ihren Namen bitten, mein Fräulein?“

„Ottilie Braun,“ antwortete sie leise. Sie gewann erst nach und nach ihre Stimme ganz wieder.

„Ihre Heimath?“

„Ich bin eine Rheinländerin.“

.Seit wann sind Sie hier?“

„Seit vorigem Spätsommer. Ich war kurz vorher, in Ems, zu der Frau Gräfin als Gesellschafterin gekommen.“

„Wo waren Sie früher gewesen?“

„Auf einem Gute am Rhein, gleichfalls als Gesellschafterin.“

„Vor einigen Wochen war der Neffe der Gräfin, ein Graf Paul Ruthenberg, zum Besuch hier?“

„Ja, mein Herr.“

Sie sprach die Worte fest. Sie hatte sich mehr gefaßt, als ich erwartet hatte. Das Gefühl der äußern Ehre, die Liebe zum Leben, die Furcht – auch die Furcht – der unwiderstehliche Trieb der Selbsterhaltung hatte auch dieses weiche Geschöpf mit jener großen, manchmal wunderbaren Kraft ausgerüstet, die in solcher Weise fast nur der Inquirent kennen lernt, die so oft alle seine Combinationen, alle seine Versuche, alle seine Mühe zu Schanden macht. Das Gesetz verdammt, straft diese Kraft deshalb. Und doch ist sie so rein menschlich.

„Wie lange blieb er hier?“ fuhr ich fort.

„Er war vierzehn Tage hier.“

„Wohin ging er von hier?“

„Mein Herr, er war hier plötzlich in einer Nacht verschwunden, und man hat seitdem keine Nachricht von ihm.“

Sie sprach auch diese Worte mit großer Festigkeit und Sicherheit.

„Verschwunden? Ueber seiner Entfernung läge also der Schleier des Geheimnisses?“

„Es scheint so.“

„Auch für Sie, mein Fräulein?“

Ich sah sie bei der plötzlichen Frage scharf an. Keine Muskel zuckte in ihrem Gesichte. Sie konnte sogar meinen Blick ertragen. Sie hatte in der That jene wunderbare Kraft gewonnen. Aber ich mußte sie ja brechen.

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_296.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)