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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

sollte sie sie herbeirufen, als Zeugen ihres Verbrechens, ihrer Schmach, ihres Todes auf dem Blutgerüste? Und nur Tod und Blutgerüst standen noch vor ihr.

O, sie war in ihrer Verlassenheit, in ihrem Jammer so sehr, so über alle Maßen der Liebe und des Trostes bedürftig, aber sollte sie Mutter und Geschwister und was sie sonst liebte, in dieser Lage wiedersehen?

Nein, nein, eher sterben; eher sofort sterben!

Schon indem sie an sie dachte, wollte ihr das Herz brechen. Und doch mußte sie an sie denken, und immer und immer wieder. Aber sie hatte sich ausgeweint und die Thränen hatten wirklich wohlthätig auf sie eingewirkt. Sie war in dem Zustande jener stillen, ergebenen Ruhe, die der klare, bewußte, vollständig abgeschlossene Muth gibt. Sie begann ihre schreckliche Erzählung von selbst.

„Ich bin bereit. Muß ich Ihnen Alles sagen? Auch über mein früheres Leben?“

„Ich muß Sie auch über die geringfügigsten Umstände, selbst aus Ihrer Kindheit, befragen.“

„So sei denn auch das.

„Mein Vater war Beamter am Rhein. Er starb vor vier Jahren, als ich fünfzehn Jahre alt war. Er hatte mir eine sorgfältige Erziehung geben lassen. Er starb ohne Vermögen und hinterließ außer mir meine Mutter und eine ältere, kränkliche Schwester, meiner Mutter zugleich eine geringe Wittwenpension. Sie lebt davon mit der kranken Schwester in Coblenz. Ich mußte den Beruf einer Erzieherin oder Gesellschafterin wählen. Noch anderthalb Jahre bereitete ich mich darauf vor, dann trat ich den neuen Lebenslauf zuerst in einer befreundeten Familie in der Nähe meiner Heimath an. Ich blieb dort bis zum vorigen Sommer, wo ich meine gegenwärtige Stelle annahm.“

Sie machte eine Pause. Sie schien mit sich zu kämpfen, ob sie etwas hierher Gehöriges sagen oder verschweigen sollte. Ich kam ihr zu Hülfe.

„Warum verließen Sie Ihre frühere Stellung?“

Sie hatte sich entschlossen.

„Sie müssen auch das wissen. Ich lernte einen jungen Engländer kennen, der sich mit seiner Familie in unserer Nachbarschaft aufhielt. Er heißt Harry Wrigley. Wir liebten uns, aber seine Eltern wollten eine Verbindung des einzigen Erben ihres Vermögens mit einem armen deutschen Mädchen nicht zugeben. Ich ließ mich von ihm zu einer, heimlichen Trauung bereden. Ein englischer Geistlicher, mit dem er befreundet, und der eine Zeit lang in der schönen Rheingegend verweilte, traute uns. Aber er hatte sich nur unter der ausdrücklichen Bedingung dazu entschlossen, daß wir uns sofort nach der Trauung trennten, und uns nicht eher wiedersähen, als bis es Harry gelungen sei, die Einwilligung seiner Eltern zu unserer Vereinigung zu erhalten. Harry konnte seine Eltern nicht verlassen, und so entschloß ich mich zu einer Entfernung aus der Gegend. Ich nahm meine jetzige Stellung an. Aber ganz allein wollte ich in die ferne Fremde nicht gehen. Harry’s Vater hatte einen deutschen Bedienten, einen uns ergebenen treuen Menschen, Anton Nieder. Er sollte mich begleiten, wenigstens um mich sein, zu meinem Schutze, zu irgend einer Vermittlung, die sich als nothwendig herausstellen könne. Es gelang, daß er fast gleichzeitig mit mir bei der Gräfin Ruthenberg als Jäger eintrat.

„Bis jetzt hat Harry die Einwilligung seines Vaters nicht erlangen können. Aber seine Eltern lieben ihn. Wir sind Beide noch jung, und verzweifeln nicht.

„O Gott,“ unterbrach sie sich schmerzvoll. „Wir verzweifelten nicht, bis jenes unglückliche Ereigniß eintrat. Gibt es denn jetzt noch eine Hoffnung für mich? Auch für ihn nicht!“

Nach einer Pause konnte sie wieder ruhiger fortfahren.

„Ich lebte hier glücklich in meiner Hoffnung. Auf einmal sollte mein Glück zerstört werden. Der Neffe der Gräfin kam hier an. Er wollte nur einige Tage zum Besuch bleiben, und blieb länger.

„Schon nach wenigen Tagen überzeugte ich mich, daß ich die unglückliche Ursache seines Bleibens war. Er sagte es mir offen. Er war ein verworfener Mensch, und machte kein Hehl daraus, daß er es war. Er prahlte mit seiner Schlechtigkeit gegen mich, gegen seine Tante. Er sagte lachend, daß jedes Weib zu verführen sei. Er erklärte mir mit Frechheit, daß er auch mich verführen werde. Seine Tante lachte dazu. Sie lachte mit ihm. Ich setzte ihm ruhige Verachtung entgegen. Ich wußte mich sicher gegen etwaige Gewalt durch den Jäger Anton. Freilich auf Eins hatte ich nicht gerechnet, daß er gar in Gegenwart seiner Tante sich Unanständigkeiten gegen mich erlauben werde. Ich zog mich indeß auch aus ihrer Gesellschaft zurück. Sie befahl mir, zu kommen. Ich forderte meinen Abschied. Sie verweigerte ihn mir, mein Contract laufe noch. Ich wollte ihn brechen, aber ich hatte kein Geld zur Reise, und auch Anton nicht.

„Unsere rückständige Gage von der Gräfin zu fordern, wäre vergeblich gewesen; sie hätte die Absicht gemerkt, und dieselbe verweigert, wie meinen Abschied.

„Das war am zehnten Tage, seitdem der junge Graf da war. Wenige Tage darauf trat das entsetzliche Ereigniß ein.

„Ich hatte des Abends zum Thee kommen müssen. Auch der Graf war da, wie gewöhnlich. Er war den Abend etwas still, gegen mich beinahe kalt. Aber er grübelte über etwas, und seine Blicke, die oft plötzlich und verstohlen auf mich fielen, ließen mir keinen Zweifel, daß sein Grübeln mich betraf. Seine Blicke waren glühend, unheimlich, als wenn er über einen schlechten, unheimlichen Plan nachsänne. Ich konnte ihn ohne Schaudern nicht ansehen, und begab mich zeitig in mein Zimmer zurück. Ich wurde nicht aufgehalten, auch von der Gräfin nicht. Sie pflegte es sonst seit den Verfolgungen ihres Neffen gegen mich zu thun. Daß sie es nicht that, erfüllte mich mit neuer Angst. Man hatte etwas gegen mich vor.

„In meinem Zimmer angekommen, klingelte ich nach dem zu meinem Dienste bestimmten Kammermädchen, und fragte sie nach dem Jäger Anton. Ich wollte ihm meine Angst mittheilen, ihn für diese Nacht um besondere Wachsamkeit bitten.

„Das Mädchen sagte mir, der Jäger sei um neun Uhr ausgezogen, um in dem Mondscheine auf den Anstand nach Füchsen zu stellen. Er werde vor Mitternacht wohl nicht zurückkehren.

„Es war erst zehn Uhr. Meine Angst verdoppelte sich. Gerade heute, gerade jetzt war Anton abwesend, ich ohne allen Schutz. Wollte man diese Abwesenheit benutzen? Wozu? Hatte man den Jäger gar absichtlich entfernt?

„Ich schloß mich fest in meinem Zimmer ein. Eben so sorgfältig verschloß ich die Läden an den Fenstern meiner beiden Zimmer. Sie waren sehr stark; durch sie konnte von außen Niemand zu mir eindringen. So weit war ich gesichert. Aber desto mehr Sorge mußte ein Anderes mir machen. Dieses Bibliothekzimmer ist an seinen Fenstern nur mit Jalousieen versehen. Diese aber sind alt, von dünnen, schon morschen Bretern. Sie gewähren keinen Schutz gegen ein gewaltsames Eindringen von außen. Die Thür, die aus diesem Zimmer in meine Schlafstube führt, ist zwar verschließbar, auch auf der Seite meiner Stube, allein Thür und Schloß sind schwach. Ich wußte es, ich hatte sie in den letzten Tagen oft untersucht. Die Thür ist mit Leichtigkeit einzustoßen. Das Geräusch, das dadurch entstehen würde, kann kaum ein großes sein. Innerhalb der dicken Mauern, der mit den Läden und Jalousieen verschlossenen Fenster würde es zum größten Theile verhallen. Was davon draußen noch gehört werden könnte, würde ohne einen besondern Zufall an diesem entlegenen, am späten Abend selten besuchten Ende des Schlosses Niemand, vernehmen. So war ich in meinen Zimmern gegen einen Ueberfall von hier aus nichts weniger als gesichert.

„Ich sah nur ein Mittel zu meinem Schutze. Ich beschloß, aufzubleiben, bis ich den Jäger Anton würde zurückkommen hören. Drohete mir bis dahin ein Ueberfall, so konnte ich immer um Hülfe rufen. Der Graf konnte nur aus dem Bibliothekzimmer kommen; es mußte dann zuerst die Thür meiner Schlafstube zersprengt werden. Während dieses geschah, hatte ich Zeit genug, in den Corridor zu flüchten, zu den weiblichen Domestiken, die dort in der Nähe schliefen. Für den schlimmsten Fall versah ich mich mit meinem Dolche. Harry hatte ihn mir geschenkt. Ich verbarg ihn in meinem Busen.

„Ich hätte den Versuch machen können, das Kammermädchen zu mir zu nehmen. Allein einerseits hätte ich dadurch, wenn meine Furcht sich nachher als ungegründet erwies, ein unnöthiges, mich und die Gräfin compromittirendes Aufsehen erregt. Andererseits mußte ich gar auf eine Weigerung gefaßt sein, da die Gräfin strenge darauf hält, daß die Dienstboten, besonders des Abends, an den ihnen angewiesenen Orten sich befinden.

„Es blieb mir nur jener Weg. Ich hatte das Alles sehr reiflich überlegt. Ich hatte ja noch Zeit. Im Schlosse waren ja

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_307.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)