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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

noch sämmtliche Leute auf. Noch konnte er nichts gegen mich wagen. So meinte ich. Ich ging in das Bibliothekzimmer, um in den Garten hineinzuhorchen. Durch die fest verschlossenen Läden meiner Stuben konnte ich es nicht. Vom Garten her aber mußte er sich nahen. Jene auf den Corridor führende Thür des Bibliothekzimmers hatte ich schon vorher, ehe ich in das Theezimmer ging, wie jeden Abend, von innen verriegelt. Er mußte das wissen. Ich sah nach, ob der Riegel noch vorlag. Es war der Fall. Ich untersuchte die drei Fenster des Zimmers. Sie waren verschlossen. An zweien waren auch die Jalousieen noch eingehakt. Am dritten nicht; sie hing offen. Ich selber öffnete jeden Morgen die Jalousieen dieses Zimmers, und verschloß sie jeden Abend wieder. Außer mir kam selten Jemand in das Zimmer. Ich sann nach, ob ich auch die offene Jalousie vorhin eingehakt hätte. Es war leicht möglich, daß es unterblieben. Ich hatte vorher an einen Ueberfall nicht denken können. Ich wollte sie einhaken. War sie auch morsch und gebrechlich, sie gewährte immer einen Schutz mehr. Vorher lauschte ich an den beiden andern, dann an diesem. Auch mit den Augen konnte ich nichts entdecken, nicht die geringste Bewegung. Es war eine klare Mondnacht. Ich konnte durch die aufgeschobenen Jalousieen weit in den Garten hineinblicken. Aber Alles lag in tiefster Ruhe regungslos vor mir. Ich hatte mein Licht in meinem Wohnzimmer zurückgelassen. Die Thüre zwischen diesem und dem Bibliothekzimmer hatte ich angelehnt. In dem letzteren war es daher dunkel, und ich konnte von außen her nicht darin gesehen werden. Ich öffnete das Fenster, dessen Jalousie ich befestigen wollte. Es war jenes Eckfenster. Ich öffnete es langsam, leise. Durch das offene Fenster horchte ich noch einmal schärfer in den Garten und in die Nacht hinein. Ich vernahm nicht den leisesten Laut. Sehen konnte ich hier fast gar nichts.

„Fast unmittelbar vor dem Fenster steht ein hoher, breiter Spalierbaum. Er war damals noch nicht belaubt, aber seine Zweige waren dicht und verschränkt genug, um, trotz des Mondlichtes, mir zu verbergen, was auf seiner andern Seite war. Der Zwischenraum zwischen dem Fenster und dem Baume beträgt etwa zwei Fuß. Ich wollte auch in ihn hineinsehen. Es konnte sich dort unten Jemand verborgen halten. Es konnte eine Vorrichtung zum Einsteigen dort angebracht sein. Ich hatte dann sofort Veranlassung, Hülfe herbeizurufen. Um bis ganz Hinuntersehen zu können, mußte ich mich aus dem Fenster vorbeugen. Ich legte mich nur wenig vor, und blickte hinunter. Der Mond schien in den schmalen Winkel nicht hinein, es war dunkel darin.

„In dem Dunkel, gerade unter dem Fenster, hart an der Mauer, glaubte ich, sich etwas bewegen zu sehen. Ich erschrak. Ich dachte noch an Schutz durch die Jalousie, und wollte sie rasch befestigen. In dem Schreck hatte ich die Besinnung verloren. Ich streckte den Arm aus, die Jalousie zu fassen und zu mir hinzuziehen.

„In demselben Augenblicke fühlte ich meinen Arm ergriffen, festgehalten. Ich wollte ihn zurückreißen. Eine Gewalt hielt ihn, der meine Kräfte nicht gewachsen waren.

„Hülfe!“ rief ich.

„Aber der Schreck über den plötzlichen, völlig unerwarteten Angriff hatte mich überwältigt. Anstatt nach dem Garten hin zu rufen, rief ich in das Zimmer hinein.

„Nach dem Garten gingen bewohnte Zimmer des Schlosses. Man hätte mich hören können, beinahe hören müssen. In dem Zimmer hörte mich Niemand.

„Hülfe!“ wollte ich noch einmal rufen. Ich konnte es nicht mehr. Ein Mensch hatte sich rasch in das Fenster geschwungen. Ich erkannte ihn, es war der Graf Ruthenberg. Er schien eine fast übernatürliche Gewalt und Gewandtheit zu besitzen. Mit seiner Hand hatte er, während er sich in das Fenster schwang, noch immer meinen Arm festgehalten. Die andere Hand legte er mir auf den Mund, daß ich nicht schreien konnte. So wollte er zu mir in das Zimmer springen. Zu meinem Schreck gesellte sich die fürchterlichste Angst. Ich war so allein, so verlassen! Verlassen von aller menschlichen Hülfe, in dem fremden Lande; in der Gewalt eines rohen, gemeinen, zu dem Aeußersten fähigen und bereiten Wüstlings; preisgegeben von meiner Gebieterin, die mich hätte beschützen sollen. Zurückgewiesen, verhöhnt, wenn ich nur wagte, Schutz zu suchen. Der Einzige, der mich hätte retten können, war entfernt. Ich sollte die Beute eines höllischen Complots werden, unglücklich für mein Leben lang, vernichtet an meiner Tugend, an meiner Ehre. Ich durfte meinen Mann nicht wiedersehen; ich konnte meiner Mutter und meiner Schwester nicht wieder unter die Augen treten. Ich wußte nicht mehr, was ich that, was ich thun sollte. Ich hatte mit der linken Hand nach der Jalousie gefaßt; meinen linken Arm hielt der Graf fest; mein rechter Arm war frei. Ich griff mit der Hand in meinen Busen. Dort hatte ich meinen Dolch verborgen. Ich faßte den Dolch. Der Graf war noch in dein offnen Fenster. Er machte eine Bewegung, sich in das Zimmer hinunter zu lassen. Ich schwang meinen Dolch nach seiner Brust. Da –“

Die Unglückliche konnte nicht weiter sprechen. Ihr Gesicht hatte sich wieder mit einer furchtbaren Blässe überzogen. Ihre Augen starrten wie aus einem Grabe. Die Stimme versagte ihr. Die Erinnerung an das entsetzliche Ereigniß hatte sie mit neuem Schrecken ergriffen.

„Da?“ fragte ich sie. „Was geschah?“

Sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. Ein neuer Strom von Thränen stürzte aus ihren Augen. Dann rang sie verzweiflungsvoll die Hände.

Die Arme! Sie stand so dicht vor der Schwelle des letzten, fürchterlichsten, des für ihr Schicksal entscheidenden Moments ihrer Geständnisse. Sie sollte diese Schwelle überschreiten. Noch ein Wort, und sie überlieferte sich dem Schaffot.

Sie hatte rein und treu in die Arme ihres Mannes zurückkehren, sie hatte mit freiem Blick wieder unter die Augen der Mutter treten wollen! Sie sollte sie nie wiedersehen, nicht den Einen, nicht die Andere. Sie sollte weit, weit von ihnen ihren Nacken unter das Beil des Scharfrichters legen.

„Was geschah?“ fragte ich und die Worte schnitten mir selbst wie ein scharfes Messer in das Herz. Ich konnte nicht anders, ich mußte meiner Pflicht folgen.

Sie hatte ihre Thränen wieder getrocknet und war wieder ruhiger geworden.

„Da,“ sagte sie langsam, fast leise, und indem sie den Blick nicht zu mir erheben konnte, „in demselben Augenblicke sah ich eine andere Hand, die sich nach seiner Brust bewegte, und in der Hand sah ich im Mondschein eine scharfe Waffe blitzen. Und in dem Augenblicke darauf lag der Graf im Zimmer, vor meinen Füßen, eine Leiche. Ich verlor das Bewußtsein.“

Der Schrecken der Erinnerung ergriff sie von Neuem. Sie mußte wieder eine Pause machen.

Und ich, der ich jetzt diese Geschichte erzähle und damals als Inquirent der jungen Dame gegenübersaß? Im ersten Augenblicke athmete ich leicht auf, als wenn die Unglückliche plötzlich vom Tode errettet sei.

(Schluß folgt.)




Land und Leute.
Nr. 11. Die Mistelgauer, vulgo Hummeln, in Oberfranken.
Von Ludwig Storch.
(Schluß.)

Die Anstalten zu einer öffentlichen und großen Hochzeit nach altem Zuschnitt sind wahrhaft großartig und von vornherein geht Alles mit einer gewissen Feierlichkeit zu. Die Männer brauen und schlachten, die Frauen backen und braten; Jedermann ist mit Würde geschäftig. Mehrere Tage vor der Hochzeit macht der prächtig aufgedonnerte Hochzeitsbitter den Verwandten und Freunden im lieben Hummellande die Aufwartung. Ganz wie die Hochzeitsbitter der altenburger Bauern trägt er einen großen mächtigen, mit rothen und blauen Seidenbändern und einem bunten Tüchlein ausstaffirten Blumenstrauß in der Hand und ladet mit zierlich gesetzter Anrede zur Hochzeit auf zwei Tage volle Bewirthung und auf ein Frühstück für den dritten Tag ein. Die alte, immer noch gebräuchliche Formel ist:

„Ich bin ein ausgesandter Bote, von wegen Braut und Bräutigam, nämlich des ehr- und arbeitsamen Junggesellen Johann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_308.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)