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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Tagen und einem Frühstück zu verzehren. Also bitt’ ich Euch, Ihr wollet meine vorgebrachten Worte nicht verachten, sondern mich als einen guten Boten gelten lassen.“

Für die „vorgebrachten Worte“ erhält denn „der gute Bote“ sofort ein Geschenk an Eiern, Butter, Speck etc. und er hat für diesen Fall schon Nebenboten bei sich, die selbst schwere Lasten fortzubringen sich nicht scheuen. Jedermann sieht nun mit freudiger Erwartung dem Morgen des Trauungstages entgegen und Alt und Jung eilt in das Geburtsdorf des Bräutigams.

Dabei deutete der Erzähler auf die geputzten Häuflein, die mit uns gleichem Ziele zustrebten. Wir langten mit ihnen an; es hatte sich schon eine hübsche Menschenmasse vor dem Vaterhause des Bräutigams versammelt. Alles war in feierlicher Aufregung, alle Gesichter trugen den Stempel einer stolzen, selbstzufriedenen Würde, die da weiß, was sie zu thun und zu erwarten hat. Es war ein geschäftiges Hin- und Herrennen, ein erstaunliches Wichtigthun und eine so liebenswürdige, possirliche Umständlichkeit, als handele es sich um die wichtigste Sache von der Welt. Die jungen Bursche wußten sich was Rechts in ihren prächtigen Bruststücken und Hosenträgern; sie hatten die grünsammetnen Bramen schief gesetzt, klatschten mit Geißeln, rauchten martialisch Tabak aus Ulmer Pfeifenköpfen und ließen sich’s abmerken, daß sie den heldenmüthigen Entschluß gefaßt hatten, ein Uebriges zu thun. Die nicht minder geputzten Mädchen steckten die Köpfe zusammen, kicherten, machten ihre Randglossen zu dem unausstehlichen Benehmen der Burschen und schienen nicht minder entschlossen, es auf’s Aeußerste ankommen zu lassen. Man sah es an der steigenden Spannung der Gesichter, daß nun bald irgend ein wichtiges Ereigniß in’s Leben treten werden. Und es kam als ein mit stolzen, schönen und stattlich geschmückten Pferden bespannter, mit Kranzgewinden gezierter, mit einer Musikantenbande, mit Weibern, Brautjungfern und Brautführern besetzter Leiterwagen, der unter Halloh aus dem weitgeöffneten Hofthore herausfuhr und seinen Weg unter zahlreicher Begleitung der lieben Dorfjugend, worunter auch stattlich aufgewachsene Gestalten, nach dem nahen Geburtsdorfe der Braut nahm. Alle Gesichter lachten, und wahrscheinlich, um sie in dieser angenehmen und einer Hochzeitsfeier so angemessenen Thätigkeit nicht ermüden und zu trockenem Ernste erstarren zu lassen, bemerkte ich ein stattliches Gefäß, aus dem eine, wie es schien, unversiechbare Bierquelle strömte und jeden lachenden Mund anfeuchtete, labte, stärkte und zu noch größerer Freudigkeit anspornte. Wir standen gar nicht an, uns ebenfalls der muntern Dorfjugend anzuschließen und ebenfalls leiblich und geistig gestärkt – man trank uns mit höchst lobenswerther Gastfreundlichkeit zu und das Bier war classisch, ein Nektar, wie er nur in Oberfranken bereitet wird – dem Nachbardorf zuzuwandern. Dort kamen wir an, als der Wagen von geschäftigen Händen mit der stattlichen Mitgift der Braut beladen wurde. Da gab’s denn neuen Hausrath und bäuerische Kostbarkeiten aller Art.

„Sehen Sie dort oben den ungleichlichen Spinnrocken mit dem zartesten Flachse, umwickelt von rothen und blauen Bändern und daneben das große, ausstaffirte Bettkissen?“ sagte mein Begleiter auf den hochaufgethürmten Wagen deutend.

„Was ist’s damit?“

„Sie sind die beiden charakteristischen und symbolisch wichtigsten Effecten der ganzen Herrlichkeit und stehen in mystisch enger Beziehung zu einander.“

„Wie so?“

„Sie sind die Symbole der Tugend und ihrer Belohnung. Der Spinnrocken ist der Stolz der Braut, denn er bedeutet, daß sie als reine Jungfrau das ihr von ihrer Taufpathin geschenkte werthvolle Kissen in das Ehebett lege, für welches es bestimmt ist. Eine notorisch unkeusche Braut würde nimmermehr wagen dürfen, geschmückten Spinnrocken mit solchen Ehren in das Haus ihres Zukünftigen zu führen.“

„Allerliebst!“ rief ich. „Es ist auch Poesie in den Hummelbauern.“

Die Pferde am Wagen wurden mit noch mehr Bändern geschmückt, ebenso der Fuhrmann, ein stämmiger Bursche mit großem Durst; sein Hut und seine Peitsche konnten zuletzt unmöglich noch schöner geputzt werden, er selbst erhielt aber noch ein buntes flatterndes Tuch an das Hummelröcklein gebunden. Jetzt kam der große Moment! Die Braut erschien. Von Brautführern aus dem Vaterhause geführt und auf den Wagen gehoben, nahm sie mit schüchterner Gravität zwischen ihren Begleiterinnen Platz. Sie war eine kräftige stämmige Dirne im Volksbrautstaate mit der rothen Bandhaube und dem Kranze, und ihre jugendliche Erscheinung kam unserm hoffnungsreichen Wunsche, daß das Hummelland nicht aussterben möge, viel versprechend entgegen.

Die Pfeifer ließen ihre Fanfaren ertönen, der Kutscher hieb jauchzend auf die Pferde, die Braut warf aus einem großen Korbe Hefenküchlein und Hochzeitsbrod unter die jubelnde Menge; der Zug setzte sich in Bewegung. Und was für ein Zug! Das war ein kräftiges, munteres Stück deutschen Volkslebens! So großartig und imponirend hatte ich es mir nicht gedacht. Ich fing an, bedeutenden Respect vor den Hummelbauern zu bekommen. Aus dem Hofe sprengten mit Hurrahruf mehrere vermummte Reiter und umschwärmten den Wagen, jagten das herandrängende Volk auseinander und wurden dafür auf alte Weise von ihm geneckt und gedrangsalt.

Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß die Stimmung eine abermals erhöhte war, denn der Nektar des Königs Gambrinus war auch in und vor dem Brauthause mit unbegrenzter Freigebigkeit jeder durstigen Kehle gespendet worden und es wollte mich bedünken, daß die erhöhte Temperatur der Hochzeitsfreude auch den Durst der Menge vermehre und daß Beide in einer natürlichen Wechselbeziehung ständen. Die Braut fuhr fort, durch Kuchenauswerfen die Menge heranzulocken, die berittenen Masken – Stutzelreiter genannt – sie zu verjagen und dafür geneckt und verhöhnt zu werden; die Musik fuhr fort, zu schmettern, das Volk zu jauchzen und zu schreien; der Wagen fuhr auch fort und so langten wir denn unter heillosem Lärm endlich wieder am Vaterhause des Bräutigams an.

Mein Begleiter erzählte mir unterwegs:

„Sonst ist’s noch weit toller zugegangen, aber der wilde Volksgeist ist zahm geworden und das einst helllodernde Feuer glimmt jetzt nur noch in der Asche. Jetzt sitzt der Bräutigam still beim Bierkruge und wartet, seine Pfeife rauchend, geduldig die Ankunft der Braut ab. Solche Passivität wäre sonst unmöglich gewesen. Er holte, in Begleitung seiner Gespielen und Freunde, beritten die Braut selbst aus ihrem Vaterhause ab. War die Cavalcade diesem bis auf ungefähr eine Viertelstunden nahe gekommen, so sprengten auf ein vom Bräutigam gegebenes Zeichen acht bis zwölf junge Männer im Wettrennen dem Hause der Braut zu und der erste dort Anlangende erhielt von ihr als Danke eine Henne. Mit diesem schreienden Preis und Siegeszeichen in hochgehobener Hand jagte er dann dem Bäutigam entgegen. Die Scene wiederholte sich bei der Annäherung an das Haus des Bräutigams, und wer an diesem Ziele zuerst ankam, erhielt aus der Hand der Braut einen Hahn. Es kam Alles darauf an, daß kein Unglück bei diesem tollen Wettreiten vorkam, was als böse Vorbedeutung galt. Hahn und Henne, die, wie sich von selbst versteht, hier ebenfalls von symbolischer Bedeutung waren, mußten für eine fröhliche Hochzeit ebenfalls unverletzt bleiben. Diese für Roß und Reiter gefährliche Volkssitte des sogenannten „Hennen-Erreitens“ ist zu Ende des vorigen Jahrhunderts abgeschafft worden.“

Die Heimfahrt der Braut war rasch und ohne Hinderniß von statten gegangen; beim Einfahren in den Hof des Bräutigams stand aber der Wagen plötzlich still und war trotz alles Schreiens nicht von der Stelle zu bringen. Der Fuhrmann gebehrdete sich wie toll, die Menge lachte ganz unmäßig, der Wagen war wie eingemauert. Der Bräutigam stürzte mit erschrockenen Zügen aus dem Hause, um zuzusehen, von welcher Art das plötzliche Hinderniß sei. Bald nickte er, als sei ihm ein Licht aufgegangen, eilte wieder in’s Haus, um sogleich zurückzukehren, in der Rechten einen schäumenden Bierkrug, in der Linken einen harten Kronthaler hochhaltend. Den Krug spannte er an den Mund des Fuhrmanns, den Silberthaler an das flatternde Tuch am Rocke desselben, und als die Krone im Tuche festgebunden und die Kanne geleert war, zog diese gutgewählte Vorspanne den Wagen schnell bis vor die Hausthür. Hier brachte der Bräutigam einen Stuhl herbei, den er sein Eigenthum nennt, denn er hat ihn zu diesem Behufe kurz vorher von seinen Eltern geschenkt erhalten. Die Braut setzt den Fuß darauf; er bietet ihr die Hand und hilft ihr und ihren Begleiterinnen vom Wagen. Niemand darf ihn dabei unterstützen. Es ist allein eine Sache, seine Braut in sein Haus einzuführen. Dort wird sie mit herzlichen Segenswünschen und Händedrücken willkommen geheißen. Die Gäste strömen nach; die bunt wechselnde Scene

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_310.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)