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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

füllt sich. Allen wird Imbiß und Trunk geboten, jeder langt herzhaft zu. Draußen laden Gesinde und Nachbarn den Wagen ab. Rocken und Brautbett mit dem symbolischen Kissen werden allein vom Bräutigam im Triumph in’s Haus getragen; außer ihm darf Niemand diese Heiligthümer berühren.

Unverzüglich wurde nun der Kirchgang gelüftet, denn es war hoch am Vormittage und es ist gesetzliche Vorschrift, daß alle Trauungen Vormittags und im noch nüchternen Zustande der Brautleute und Zeugen vollzogen werden sollen, eine Anordnung, die nur sehr am Platze schien, wenn ihre weise Absicht auch nicht vollständig erreicht werden dürfte. Der Hochzeitsbitter wurde an die Geistlichkeit geschickt, um sie zu benachrichtigen, daß der Zug sich ordne, und ihr die üblichen Geschenke, ein weißes Taschentuch, einen Rosmarinstengel und eine Citrone, zu überreichen. Die beiden Prediger und die Schullehrer schritten gleich darauf dem Hochzeitshause zu, vor welchem der Zug sich aufstellte, und die Glocken begannen ihr feierliches Geläute. Der Geistlichkeit an der Spitze folgte ein Bursche als Brautführer mit einem hochgetragenen, bändergeschmückten bloßen Degen in der Hand, die Braut im Brautkranze am Arme der beiden Brautjungfern, ein zweiter Brautführer mit dem Degen, der Bräutigam, von seinen nächsten Anverwandten begleitet, die männlichen, zuletzt die weiblichen Gäste paarweise, das Volk in großer Anzahl zu beiden Seiten, aber Alle in feierlicher Stille und löblicher Ordnung. Der alten Sitte wurde in ihren guten Einrichtungen noch pünktlich genügt, die gefährlichen hatte die vorgeschrittene Bildung verdrängt. So wurde am Eingange des Hofthores eine alte arme Frau aufgestellt, an welcher die Braut beim ersten Schritt aus dem Hause ein Liebeswerk vollbringe, indem sie derselben ein großes Stück Hochzeitskuchen überreicht.

In der Kirche wurde erst eine dem Gegenstande angemessene und – was mit Dank anzuerkennen war – kurze Hochzeitspredigt gehalten, dann die Trauung vollzogen. An der Kirchthüre empfing das Musikcorps den Zug mit hellen Tönen und spielte ihn nach Hause, wo die Braut sofort als junge Frau dem Bräutigam als jungem Eheherrn feierlich übergeben und ausgeantwortet wurde.

„Auf dem Wege zur Kirche und zurück,“ erzählte mein kundiger Begleiter, „ging es sonst lauter und umständlicher, wenn auch nicht anständiger zu. Die Bursche schossen aus Pistolen, warfen Schwärmer unter das Volk und trieben noch andern Unfug, welcher schlecht zu der heiligen Handlung paßte. Namentlich suchten sie auf dem Heimwege die Braut ihrer Begleitung zu entreißen; diese widersetzte sich. Die Brautjungfern schrieen aus vollem Halse und fuhren mit den Nägeln den Burschen in Gesicht und Haare. Diese wendeten alle erdenklichen Listen an, um sich des begehrten Gegenstandes zu bemächtigen, und wenn diese nicht fruchteten, Gewalt. Gelang es, die Schöne zu erkämpfen und abzuführen, so wurde sie nur gegen ein ansehnliches Lösegeld wieder freigegeben. Dabei konnte es nicht fehlen, daß der Scherz leicht in Ernst umschlug, die Braut hin- und hergezerrt wurde, Stöße und Schläge erhielt und ihr die Kleider in Fetzen vom Leibe gerissen wurden, daß es zu mißlichen Balgereien kam, die Brautführer mit den Degen darein hieben und Blut floß. Das waren so die lieben Sitten und Gebräuche unserer guten Altvordern.“

Daß man im Hochzeitshause nun aß und trank, versteht sich von selbst. Das war das sogenannte kleine Essen. Die Zeit bis zum großen Essen gegen Abend wird mit Schießen, Lärmen, Späße machen (an die man freilich keine hohen Anforderungen stellen darf) verbracht. Das Bestreben, die Braut zu rauben, ist eigentlich die Folie von allen; deshalb erhält sie bei der Mahlzeit die hinterste Ecke am Tische, und die Brautjungfern und Brautführer sitzen zu ihrem Schutze um sie herum. Die Gäste, deren wohl ein halbes Hundert sein mochten, wurden am Tage von den Brautführern, beim Hauptmahle aber vom Hochzeitbitter und vom Metzger bedient. Das Hochzeithaus gleicht einem Bienenstocke, der sich zum Schwärmen anschickt; drinnen braus’t es immer stärker, und an den Löchern, Thüren und Fenstern hockt es dick und voll. Diesem verehrungswürdigen Publicum wird ebenfalls Speis und Trank zugereicht, und im Hofe macht sich die lustige Jugend ein Privatvergnügen. Nach Tische gehen hölzerne Teller, in deren Mitte ein Messer als Wahrzeichen steckt, zum Einsammeln eines Trinkgeldes für Hochzeitbitter, Metzger und Musikanten um. Auch die Aufspülerin des Geschirrs sammelt Gelder in ein mit Wasser gefülltes Schüsselchen.

Die Speiseordnung ist eine althergebrachte, festgesetzte. Reisbrei, Sauerkraut mit Würstchen, Schweinsknöchlein, Stockfisch, Klöße spielen die Hauptrollen. Die Abänderung für den zweiten Tag ist unbedeutend. An jedem Tage werden jedem einzeln eingeladenen Gaste noch eine respectable Menge Speisen mit nach Hause gegeben, allein fünf Pfund gekochtes und gebratenes Fleisch, zwei Siedwürste und eine Bratwurst, Kuchen, Brod etc.

Nach aufgehobner Tafel am ersten Hochzeittage bleibt die Braut mit ihrer Bedeckung in der Ecke sitzen. Auf den Tisch wird eine große, leere zinnerne Schüssel gestellt. Die mit Bändern und Tüchern verzierten Degen der Brautführer werden in die Stubenecke über der Schüssel gesteckt, so daß der wehende Schmuck derselben in diese herabhängt. Neben der Schüssel sitzt der Hochzeitbitter mit rusticaler Grandezza, Papier, Feder und Tintenfaß vor sich, um die Hochzeitgeschenke zu Protokoll zu nehmen. Die Gäste treten einzeln vor seinen Richterstuhl und legen das Geldgeschenk, drei bis sieben Gulden, in die Schüssel, das Effectengeschenk auf den Tisch. Dabei wird wieder allerhand Scherz getrieben. So stellen sich diejenigen, welche recht hohe Geschenke in der Tasche haben, als wollten sie gar nichts schenken; aufgefordert, an die Schüssel zu treten, schieben sie Andere vor, lassen sich mehrmals mahnen, herbeizerren, schelten etc., bis sie endlich herausplatzen und sich triumphirend zurückziehen. Zuerst schenken die Eltern und nächsten Verwandten, dann die übrigen Gäste. Für jedes Geschenk bedanken sich die jungen Eheleute, und die Musik spielt einen Tusch, bei denen, welche die eben beschriebene kleine Komödie spielen, wird’s eine rauschende Fanfare.

Am dritten Tag endet die Hochzeit mit einem Frühstück, als dessen letztes symbolisches Gericht saure Kuttelflecke aufgetragen werden. Denn es heißt: „Kuttelfleck, scheer Dich weg!“ Damit ist’s aus, und die Gäste erhalten nur die Hälfte der Speisen der vorherigen Tage mit nach Hause.

Uebrigens kommen Bier, Schnaps, Butter, Käse und Brod während der drei Tage nicht vom Tisch: weg, und Jeder thut, was in seinen Kräften steht, um so viel als möglich Comsumtibilien zu vertilgen.

Bei Kindtaufen und Begräbnissen sind ähnliche Gebräuche herrschend; dort ist der Kindtaufschmaus, hier der Leichentrunk und die Trauermahlzeit die Hauptsache. Da sie diese mit den übrigen Oberfranken ziemlich gemein haben, und wir nicht zu viel Raum der Gartenlaube in Anspruch nehmen dürfen, so übergehen wir sie, ebenso die Sichel- und Drischellege, d. i. der Schnittern, Gesinde und Freunden gegebene Ernteschmaus; die Schlachtschüssel mit dem sogenannten Würstfahren, einem Mummenschanz mit Musik, der zur Belohnung ebenfalls eß- und trinkbare Geschenke erhält, um uns noch der Kirmeß, als dem eigentlichen Volksfest, zuwenden zu können, weil gerade an diesem die slavische Abstammung der Hummeln recht klar und überzeugend hervortritt.

Ich hatte das hübsche Hummelland lieb gewonnen, und ging deshalb in Begleitung von Freunden im Herbste auf einige ihrer Kirmessen hinauf. Mit Essen und Trinken geht’s zu, wie auf andern Dorfkirmessen im großen deutschen Vaterlande auch. Es kommt Besuch aus der Stadt und aus andern Dörfern. Dabei ist nichts Besonderes. Dieses besteht in der Nationalkleidung, die an den beiden Festtagen noch in möglichst alter Reinheit hergestellt wird; sodann im Tanze. Der Tanz der Hummelbauern ist sehr eigenthümlich; er kennt kein rasches Tempo, wie der andrer deutscher Länder, sondern bewegt sich langsam, fast schläfrig, man möchte sagen, traurig. Tänzer und Tänzerin umfassen sich gegenseitig mit beiden Armen und drücken sich so aneinander. Nun drehen sie sich langsam nach dem langsamen Takt der Musik fast immer auf derselben Stelle, so daß sie kaum merklich vorwärts kommen. Dann und wann packt aber der Tänzer die Tänzerin plötzlich unter den Armen fest und schleudert gleichsam in die Luft, fängt sie wie einen Ball wieder auf, um dieses seltsame Experiment zu wiederholen, und nun tanzt sie allein um den Tänzer herum, wobei sich dieser passiv verhält. Dabei jauchzen beide, und diese ganze extraordinäre Tanzkunst sieht aus, als wollten die Betheiligten sich für die Langsamkeit des übrigen Tanzes entschädigen. Auf den fremden Zuschauer macht diese Tanzweise mit ihren schroffen Contrasten einen eigenthümlichen Eindruck. Nichts aber zeugt mehr für die slavische Abkunft der Hummeln, als diese Tanzweise.

Das Schicksal verschlug mich unmittelbar von der Grenze des Mistelgaues mitten unter die Slovaken in Oberungarn. Hier fand ich nicht nur dieselbe Bauart der Häuser, dieselbe wirthschaftliche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_311.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)