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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Trank nach genossenem Abendbrod. Die meisten Männer auf den Westsee-Inseln pflegen sich Abends einen solchen „Slummer“, wie man wohl scherzweise sagt, zu gönnen. Das rauhe, häufig wechselnde Wetter und die nebelfeuchte Luft rechtfertigen diese Gewohnheit.

„Es war Mittsommer,“ hob Nicol Mannis seine Erzählung an, ein Stückchen Kautaback zwischen seine noch völlig gesunden Zähne schiebend. „Der indische Nabob, schon oft mit Schätzen vollgestaut, die mehr wie Einen zum Nabob hätten machen können, lief mit frischer Bries zwölf Knoten in der Stunde. An Bord Alles wohl, an Deck Alles klar. Kein Seemann konnte sich besseres Wetter wünschen. Blieb darum auch, als es Nacht ward, auf Deck. Machte mir immer Vergnügen, wenn See sprühte und funkelte, als pflüge der Kiel unter den blauen Wellen in gelbgrünem Feuer. Ganze Tonnen von Brillanten und Türkisen und andern Edelsteinen flogen vom Bug ab und stürzten in funkelnden Lichtschauern auf die dunkel fluthenden Wellen.

„Die Nachtwache war eben aufgezogen, als ich in Lee ein Segel bemerke. War aber noch ziemlich weit ab und steuerte nicht meinen Cours. Konnte aber doch das Besahnstagsegel und den Flieger über dem großen Stengenstagsegel durch mein Glas erkennen. Fiel mir diese Segelstellung auf, denn sonst war Alles beschlagen; dacht’ aber, ’s wär’ einer von den wilden Schiffern von der afrikanischen Küste. Eine Stunde verging, und ich kam dem Fahrzeuge näher. Es war eine prächtige Schooner-Brigg, die jetzt alle Segel aufgesetzt hatte, was ich wieder nicht begreifen konnte. Wie es nun noch etwa drei Kabellängen von meiner Fregatte entfernt ist, was geschieht? Die Schooner-Brigg schwankt hin und her, die Stengen auf der Steuerbordseite berühren die Wellen, und ehe ich mich noch besinnen kann, kentert das Schiff und versinkt spurlos im schäumenden Meere. Zu begreifen war’s nicht, was wir sahen – ich, der Mann am Steuer und der wachthaltende Mat. Es sagte Keiner von uns ’was, den Mann am Steuer aber hörte ich seufzen und stöhnen, und mir selber wurde das Athmen ebenfalls schwer.

„Cap’tain,“ sagte der Mann – ‘s war ein Ostfriese von Norderoog – „Cap’tain, sollt’s wohl ein wirkliches Schiff gewesen sein, was da die See eingeschluckt hat?“

„Weiß nicht, Mann,“ gab ich zur Antwort, und mein Auge haftete noch immer auf der Stelle, wo ich die Schooner-Brigg versinken sah.

„In der spanischen See ist manchem Schiffer schon ‘was begegnet.“

„Ich stand schweigend auf dem Hinterdeck, und sah hinab in die schäumenden Wogen, da sah ich –“

Ein starker Windstoß, der das Haus gleichsam in fester Umarmung schüttelte, unterbrach hier den Erzähler. Nicol Mannis stand auf und untersuchte die Fenster, ob sie auch fest geschlossen seien. Von außen erklang das ängstliche Geblök der Schafe, die man der im Ganzen milden Witterung wegen noch im Freien ließ.

„Wir thun besser, die Schafe im Schauer unterzubringen,“ sagte Nicol. „Wenn’s Hochwasser gibt und schwere Regenböen, leidet das arme Vieh. Kommt! Sechs Hände schaffen mehr als zwei.“

Diese Worte richtete der alte Seemann an seine beiden Söhne, die schnell ihre Gläser leerten und dem voranschreitenden Vater folgten, um die Schafe mit bergen zu helfen.

„Geschwind, Karen,“ sprach die Mutter zu der hübschen jungen Tochter. „Bereite Vater und Brüdern noch einen recht süßen und heißen Slummer. Vater spinnt seinen Faden dann viel besser zu Ende. Nur fürchte Dich nicht und sieh Dich nicht so ängstlich um, wenn es ’was Schreckliches zu hören gibt. Ich hab’ immer gefunden, daß alte Seeleute Geschichten erzählen, die gar nicht passiren können.“

„Aber Vater lügt nicht, Mutter!“ fiel Karen ein, den blanken Wasserkessel auf die hell polirte Messingplatte des Ofens stellend. „Und daß auf See entsetzliche Dinge geschehen und unerklärliche Bilder aus der Tiefe aufsteigen, hab’ ich doch selber mit angesehen. Du kennst aber die See nicht, Mutter!“

„Kenne sie wohl, mein Kind,“ erwiderte Ellen, „aber ich konnte mich nie entschließen, für lange Zeit ein Schiff zu besteigen. Die Schrecken der See hab’ ich erlebt, wie ich es Dir nicht wünschen mag. Ich sah die brüllenden Sturmwogen unser Haus zerschlagen, und wurde doch nicht ohnmächtig bei diesem Anblicke und bei den treibenden Leichen, die auf den Wellen schaukelten.“

Die Männer kehrten jetzt zurück, und nahmen ihre vorigen Plätze wieder ein.

„Nun, Vater, was sahest Du?“ wandte sich Karen mit neugieriger Frage an diesen, indem sie ein volles Glas vor ihn hinsetzte. Nicol erprobte das heiße Getränk, schob ein neues Priemchen in den Mund und fuhr fort:

„Ja, Kinder, wie ich so in die Wogen starrte, die wie von unterseeischem Feuer strahlten und ganz durchsichtig waren, da sah ich, die Gesichter mir zugekehrt, drei Männer, die Hände über die Brust gefaltet, als ob sie beteten, gerade mit dem Schiffe auf dem Meere treiben. Ueber den Körpern spülten und sprühten die Wellen, die Köpfe aber ragten über das Wasser empor. Die Gesichter waren bleich und farblos, wie die soeben Verstorbener, die Augen aber standen offen und ihre Blicke hielten sie unbeweglich auf mich gerichtet.“

„O Gott, Vater!“ rief Karen aus, ihre Augen mit beiden Händen bedeckend. „Das ist zu furchtbar! Ich sehe die drei Männer mit den Todtengesichtern schon auf unser Haus zutreiben.“

„Auch mir pochte das Herz lauter als sonst, mein Kind,“ fuhr Nicol in seiner Erzählung fort. „Ein Seemann muß indeß auf Alles gefaßt sein und sich jeder Zeit geschwind resolviren können. Der Ausbruch eines bösen Wetters läßt uns nicht Zeit zu langem Nachdenken. Man muß rasch handeln, sonst gehen alle Masten mit einer einzigen Sturzsee über Bord. Hab’s erlebt, daß sechs Mann meiner Equipage auf einmal über Bord gespült wurden, und daß die nachstürzende große Raa zwei mit ihren Nocken die Schädel mitten auseinander schlug. Es war ein furchtbarer Augenblick für mich, ich mußte aber das Schiff und seine noch übrige Bemannung zu retten suchen, und darum blinzte ich nicht mit den Augen, und rief meine Befehle durch’s Sprachrohr in das Wettergeheul hinein, als sei nichts passirt.“

„Du setztest das Boot aus, um sie wo möglich zu retten, wenn sie noch am Leben waren?“ fragte Jens.

Nicol that einen kräftigen Zug aus seinem Glase.

„Bei Sanct Patrick, wie die Irländer sagen, das that ich nicht,“ versetzte der Alte. „Und hätt’ ich’s gewollt, es wäre verlorne Müh’ gewesen! Die Todten, die mit dem Schiffe trieben, waren keine Todten, sie sollten erst später sterben. – Ich kannte sie, ich hatte eben erst mit ihnen gesprochen! – Freilich, wollt’ ich meinen eigenen Augen nicht trauen, aber ich mußt’s zuletzt doch! – – Cap’tain – flüsterte der Mann am Steuer mir zu, und seine Hand fiel schwer auf meine Schulter – Cap’tain, kennt Ihr das Blaßgesicht da unten? Ich denk’, so werd’ ich aussehen. ehe das Jahr zu Ende geht.“

(Fortsetzung folgt.)




Wild-, Wald- und Waidmanns-Bilder.
Von Guido Hammer.
4.   Aus dem Fuchsleben.


Thaufrisch dämmert ein Septemberfrühmorgen herauf. Nur im Osten deutet ein lichter Schein am wolkenlosen Himmel an, daß die Sonne bereits im Kommen ist. Schon wird es heller und heller und von fern hört man es in den Wipfeln des Waldes rauschen, bis uns der leicht beschwingte Morgenwind wohlthätig Augen und Schläfe umspielt. Weiter gen Westen eilt der frische, luftige Vorbote der aufgehenden Sonne, im Fluge all’ die Gräser, Eriken und die blauen Glockenblümchen auf duftender Waldblöße anflüsternd, um sie aus nächtlichem Schlummer zu erwecken; aber neigend und nickend begrüßen ihn die bereits Erwachten. Auch die alten Tannen am Saume des Gehaues werden durchrauscht und wie ein Halleluja tönt’s durch die ehrwürdigen Häupter weithin in die blaue Ferne des Waldes. Es verhallt, lautlose Stille herrscht wieder. Die Nebel ziehen über die blüthengeschmückten Blößen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_332.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)