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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

verübten die Studenten den nächtlichen Unfug, vor dem sich jede Familie fürchten mußte. Nicht als ob die Bürgerschaft die jugendliche Schaar nicht leicht hätte bewältigen und zur Ruhe verweisen können; allein da in jener Zeit die bürgerliche Existenz Jena’s fast einzig und allein von den Studenten abhängig war, so wollte man auch ihrem übermüthigsten Uebermuthe nicht in den Weg treten, um dadurch nicht etwa die Veranlassung zur Verödung der so blühenden Universität zu werden; man ließ gewähren, weil man wußte, daß Personen doch keinen Schaden nehmen würden; für die Beschädigung des Eigentums hoffte man nicht ohne Grund auf reichlichen Ersatz.

Vor dem Johannisthor wurde unterdessen die wichtige Frage verhandelt, wie nun jeder einzelne Musensohn in seine Wohnung gelangen könne, ohne von dem Pedell abgefaßt zu werden. Die Beantwortung dieser Frage war allerdings höchst schwierig. Während der größten Rathlosigkeit, die sich der kurz zuvor noch so kecken Schaar bemächtigt hatte, machte ein genialer Brandfuchs den trostreichen Vorschlag, in geschlossenen Reihen auf die „Burgkellerkneipe“ zu ziehen, und dort bis zum hellen Morgen zu verharren; von da möge dann Jeder furchtlos nach Hause gehen; wenn er unterwegs auch abgefaßt werde, so bekenne er nichts mehr und nichts weniger, als er hätte sich auf dem „Burgkeller“ über die Polizeistunde hinaus aufgehalten. Dieser Vorschlag beruhte auf dem tiefsinnigen Grundgedanken, daß entweder alle Theilnehmer an den Ereignissen der Nacht haftbar gemacht werden sollten, oder aber keiner. Selbst im schlimmsten Falle war alsdann nicht viel zu befürchten.

Unter Absingung des Liedes: „Wenn wir durch die Straßen ziehen“ etc. begab man sich auf den Burgkeller; ironisch genug klang der Vers:

„Und ich laß die Blicke schweifen durch die Fenster hin und her.“

– Für das Wechseln von Liebesblicken von oben herab und unten hinaus war in der Nacht hinlänglich Raum geschaffen worden! – Im Burgkeller entfaltete sich schon früh ein geräuschvolles Kneipleben, das natürlich den ganzen Tag über auf das Ueppigste blühte. Tische und Bänke wurden nach und nach herausgeschafft, und gegen Nachmittag war der ganze Marktplatz in einen großen Wirthssaal unter freiem Himmel umgewandelt; Studenten aller Farben saßen dort bei Kaffee und Bier in bunter Mischung untereinander, und unterhielten sich darüber, wer den größten Stein in die Fenster des Polizeigebäudes geschmissen, die Pedells am wirksamsten verfolgt habe, sangen Lieder oder bliesen gedankenvoll Rauchwolken in die Luft. Denn nicht nur ich unerfahrener Fuchs allein, sondern auch erfahrenere und ältere Bürger der Universität Jena dachten nicht ohne Sorgen an die Folgen der nächtlichen Fensterkanonade.

Doch ließ sich heute auch nicht ein Pedell sehen. Dagegen stand am schwarzen Bret ein Anschlag des Prorectors angeheftet, worin das Bedauern der Behörden über die Excesse der Nacht ausgedrückt war; man hoffe um so eher – hieß es darin weiter – die Studentenschaft werde sich nun ruhig verhalten, als über die Sache bereits an die großherzogliche Regierung nach Weimar berichtet worden sei, die ihr Militair in Jena einrücken zu lassen nicht ungeneigt wäre.

Vor der Hand blieben die Collegien geschlossen.

Die Nacht von Mittwoch auf den Donnerstag war ein wahres Labsal für die an Geist und Körper ermüdeten Kämpfer; aber am Donnerstag früh schon machten die Pedells die Runde und an diesem Tage wurden bereits etwa fünfzig Studenten vor das Universitätsgericht citirt und verhört. Ich erwartete für meine Person natürlich dasselbe, und mein Freund, der Solothurner Felix, tröstete mich noch schadenfroh mit der Aussicht, daß die Teilnehmer an der Fensterkanonade mit dem Consilium abeundi gestraft würden, was für mich, der erst vor kaum zwölf Wochen mit den besten Vorsätzen und den liebevollsten elterlichen Ermahnungen die akademische Laufbahn begonnen hatte, das Strengste gewesen wäre, was ich mir denken konnte.

Jener Solothurner Felix war nämlich eine der größten Gestalten, die damals unter der Jenenser Studentenschaft herumwandelte, ein fideles Haus, der gern über die Polizeistunde in der Kneipe sitzen blieb und mehr als einmal deßhalb, und wegen anderer unschuldiger Studentenstreiche, die er immer gern mitzumachen suchte, gestraft worden war. Während der Fensterkanonade befand er sich gerade in Dornburg. Mir war noch nie eine Strafe geworden und seiner Freundschaft für mich that der Gedanke ordentlich wohl, daß einst auch mein Abgangszeugniß von der Universität sich mit dem seinen in Bezug auf Aufführung sollte messen können. So sehr es ihn sonst würde gereut haben, während der Ereignisse der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch zufälliger Weise in Dornburg sich aufgehalten zu haben, so war er doch jetzt, als er voraussah, daß es mit der Bestrafung der Theilnehmer Ernst werden wollte, in der Seele froh darüber, daß der Zufall es in jener verhängnißvollen Nacht so gut mit ihm gemeint habe.

Alle Tage kamen neue Citationen vor das Universitätsgericht und alle Abende fragte mich Freund Felix neugierig, ob ich noch nicht vorgeladen worden sei. Man schien mich bis zuletzt aufsparen zu wollen.

Unterdeß wurde Freund Felix, er wußte gar nicht warum, selber vorgeladen. Als er vom Amt zurück kam, erzählte er, daß man auch ihn in Betreff der bewußten Fensterkanonade requirirt hätte. Er hätte aber kurzen Bescheid gegeben und den Beweis des Alibi angeboten.

Endlich hörten die Citationen auf; ich war übergangen oder bei meiner kleinern Gestalt übersehen worden.

Nach ungefähr 14 Tagen wurden sämmtliche Vorgeladene, etwa hundertundfünfzig, darunter auch Freund Felix, zur Anhörung des Urtheils vor Amt beschieden. Die drei oben gedachten Bemoosten, als Anführer des ganzen Scandals, wurden von der Unversität relegirt, etwa zehn erhielten des Consilium abeundi, die übrigen sammt und sonders 14 Tage geschärften Carcerarrest; zu den letztern zählte auch Freund Felix. Ueberdies hatten sämmtliche Verurtheilte die Entschädigungskosten im Betrage von 800 Thlr. unter solidarischer Haftbarkeit zu tragen. (Diese Summe wurde alsobald von sämmtlichen Verbindungen Jena’s gemeinschaftlich übernommen.)

Dieses, insoweit es mich und meinen Freund anbetrifft, durchaus unrichtige Urtheil erklärt sich aus der an Universitäten gebräuchlichen Uebung, nicht nach juristischen Beweisen, sondern nach moralischer Ueberzeugung Recht zu sprechen. Da zwei oder drei ähnliche Größen, wie Felix, an dem Scandal allerdings Theil genommen hatten, so wurde er ohne Zweifel mit ihnen verwechselt; auch ließen seine Antecedentien nicht annehmen, daß er von einem solchen Hauptjux, wie die Fensterkanonade war, fern geblieben sei. Daher kümmerte sich das Universitätsgericht nicht weiter um seinen angetragenen Beweis des Alibi. Meine Wenigkeit dagegen war noch so unbekannt in der Amtsdienerwelt Jena’s, meine Gestalt so unbedeutend, daß ich unmöglich bemerkt worden war und Niemand daran gedacht hatte, mich unter den Steinigenden zu suchen.

So wanderte denn Freund Felix, der sich so herzlich auf meine Strafe gefreut hatte, unschuldig in den Carcer; der schuldige Schreiber dieser Zeilen dagegen kam ungestraft davon.

Zum Danke hierfür sei in diesen Blättern das oben erzählte Ereigniß für die Erinnerung derer wieder aufgefrischt, die thätig, leidend, zuschauend, zuhörend, anzeigend oder richtend dabei betheiligt waren. Schließlich kann ich noch bemerken, daß der von dem Schustergesellen geschlagene Studiosus sich zu Aller Freude bald wieder erholt hatte und jetzt als angesehener Pastor in sächsischen Landen das Wort Gottes verkündet.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_344.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)