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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

eine Pause und ein Dorf ein Strich- oder Schlußpunkt. – Die Leute erzählten mir später, der Ballon hätte ein lange nicht gesehenes, prachtvolles Schauspiel geboten, indem er geraume Zeit, scheinbar unbeweglich, eine Handfläche groß über der Stadt schwebte.

Ich selbst kam mir vor, wie ein Falter, der über einer farbenreichen Blume schwebt – jede Häusergruppe war mir ein Blatt in der Zentifolie und die Thürme und Zinnen waren mir die begehrenden emporgestreckten Staubfäden! – Mir war wohler, als dem Falter, ich durfte nicht einmal die Schwingen regen.

Wien ist weit schöner, wenn man darüber hinweg, als wenn man darin ist. – Die kleinlichen Krümmungen für den Gehenden und Fahrenden bestehen da oben nicht, da liegt fast Alles gerade, in rechten Winkeln; und denken Sie sich nun diese, ich möchte fast sagen, Harmonie der Confusion! – Die größten Baudenkmale, zu denen ich unten den Hals emporreckte, schienen mir nun unten vom Zuckerbäcker gefertigt; ich hätte mögen das Dragant-Burgthor oder die Stephanskirche mit ihrem Papiermache - Bijouthurm in den Korb hereinheben.

Ich hatte vor Jahren ein Modell Wiens gesehen, das ein Invalide in einer Bude zur Schau stellte und das er in langen Mußejahren – Haus für Haus getreu – gefertigt. – Da lag wieder das Modell des Invaliden vor mir – gleichgültig, ob die ganzen Generationen, die daran bauten und kleisterten und klebten, invalid waren oder nur der Eine – oder ob ich da war gegen eine kurze Reihe Groschen oder eine kurze Reihe Lebensjahre!

Und doch war das Alles so schön, so herzig und entzückend, daß ich es nicht hätte in Ewigkeit verlassen mögen!

Der Lärm von vorhin verminderte sich, er ward immer schwächer und schwächer, er drang immer weniger empor, ich hörte endlich gar nichts – wir waren über alle Schallwellen und alles Tonreich von unten, wir zogen nur selig dahin; und das so leise, o unfühlbar gleitend, daß nicht einmal die Taue zitterten oder beim Durchschneiden der Luft wie nachhallende Saiten hauchend sich regten.

Ich zeigte meinem Gefährten, der die Gegend nicht so kannte, wie ich, die einzelnen Häusergruppen, Gebäude etc. Er freute sich über diesen „Guide de Voyage“ und erkannte nun ebenfalls die Orte. Die großen Parke und Gärten erschienen uns da erst harmonisch, wie auf einer Planzeichnung, und namentlich der ungeheuere Prater und Kaiser Joseph’s Augarten, wie die etwas größern grünen Spielzeuge eines Knaben.

Wir waren, den Fußweg in gerader Richtung gerechnet, eine halbe Stunde vom Stephansplatze entfernt, ich sah doch mitten hinein auf das Thürmlein und Kirchlein; und die schwarzen Fleckchen noch tiefer, das waren unzweifelhaft Gruppen von Hunderten im Gucken so vielfach geübter, nimmermüder Wiener.

Wir sahen gleichzeitig das silberne Band des kleinen Donauarmes in seiner stundenweiten Ein- und Ausmündung, dann das große, silberschimmernde, breite Toison Brustband Oesterreichs, die große Donau, Brücklein und Schifflein aller Arten, die nahen ragenden Berge mit ihren kleinen Burglein, die nach Ungarn sich erstreckende, weite grüne March-Ebene – alles das mit einem einzigen Ueberblicke – recht niedlich da unten.

Der Eisenbahntrain kroch mühsam dahin und der schwarze Wurm, Waggonzug geheißen, mochte mich so dünken, als ein von einem müden Gaule geräderter Omnibus oder eine längere Droschke. Von einem Pferde oder gewöhnlichen Wagen, die sich tummelten, will ich gar nicht reden – das war vergebliches Wälzen, vorwärts zu kommen.

Ueber das Alles breitete sich nun der Thalnebel und begann es grau zu machen. Wir selbst strichen durch eine Nebelschicht, von unten als Wolke gesehen. Was ich sah? – Ich habe schon nichts gesehen in meinem Leben! Ich habe eine Menge neuer Journale und Romane gelesen – das ist sicher nichts; ich habe Preisstücke aufführen sehen: auch nichts; ich habe unsere greise Hofschauspielerin Z. eine junge Dame darstellen sehen – das ist auch noch nichts; ich habe geschriebene Betheuerungen, auch gedruckte – ganz gewiß nichts; aber so total nichts, so klar und deutlich nichts – das ist mir noch nicht vorgekommen!

Wenn dieses Nichts nicht einmal vorhanden war, als das Nichts in der Welt gewesen, so kann ich mir erst einen Begriff machen, warum das Alles in der Welt so nichtig ist, was aus jenem Nichts gemacht wurde!

Doch nur eine kurze Zeit und der entzückende, ungehemmte Ausblick kehrte wieder – wir waren durch und über die Nebel weggekommen. Die Abendsonne, die längst schon unten verschwunden war, verglühte purpurn noch für uns hinter den Bergen und unsere Augen waren die einzigen, die sie scheidend noch grüßten.

Fortwährend Ballast hinaus, um, trotz der in den Ballon dringenden atmosphärischen Luft, auf gleicher Höhe zu bleiben. – Wir zogen leise und selig über die Gewässer – kein Vogel in unserer Nähe, sie waren in ihrem höchsten Fluge unsichtbar unter uns. Ich holte das Meßinstrument hervor und wollte genau bestimmen – da rann mir das Quecksilber in die Hand, ich hatte es wahrscheinlich beim Einsteigen zerbrochen. Wir waren nach beiläufiger Berechnung 5000 Fuß hoch, tief in der Schneehöhe. Kälte empfand ich trotzdem wenig; ich war warm gekleidet und der Himmel über uns war bedeckt – das, wissen Sie, hält wärmer, als ganz lichte Witterung.

Ein herrlicher Zufall hielt uns in der Nähe des großen Donauzuges. Links der Kahlen- und Leopoldsberg mit Schlössern; am Fuße der Berge, an dem Donauufer, Stadt und Stift Kloster-Neuburg, dessen Klosterburg fast jede Residenz deutscher Fürsten beschämt; rechts abermals eine Bergkette und dahinter die unabsehbaren Ebenen des grünenden sprossenden Marchfeldes, des Schauplatzes unzähliger Schlachten, das Siegesfeld des deutschen Löwen, Held Karl’s von Aspern und Wagram; zwischen der beiderseitigen Berggasse hindurch das breite Demantband der Donau – ich sah wie ein gewaltiger Condor hinein in die Windungen und Bergschlängelung bis nach Ungarn – da sind keine Worte, das Entzücken dieses Schwebens und Schauens zu schildern!

Es darf sich Niemand über mich wundern – ich war sicherlich in gehobener und getragener Stimmung!

Wir bogen nun wieder, von sanftem Zuge geleitet, nach rechts in das Marchfeld ab. Was ich sprach und nur leise sprach, klang so hell und laut und rein – ach Gott, warum gibt man den Tenors nicht kleinere Gagen und pumpt lieber Luft aus den Theatern, um dieselbe dünner zu machen – ich versichere, ein Tenor singt drei Mal so lange, zu fünfundachtzig Jahren den Melchthal oder Papageno, auch den Tannhäuser, ja, er braucht nur leise zu tremuliren und es klingt wie Ander und Roger in Schreifloribus!

Ich versuchte zu schreien – ich glaubte in der That, ich sei ein hoher Tenor – kein Echo, kein Wiederhall! – Es schauderte mich einen Augenblick an, mir war’s, als sänke der Ton vor meiner Lippe todt nieder, als stürbe er daselbst. Und wahrlich, ich weiß nicht, was mich überkam, mir war’s, als müßte ich mein Echo haben, als wäre ich so etwas von dem traurigen Peter Schlemihl ohne Schatten, und ich erkannte das Süße des Wiederhalles – in der Menschenbrust! – Ich sang nochmals zur Probe. Ich sang – was glauben Sie?

„Was ist des Deutschen Vaterland!?“ So hoch hat das sicher noch kein Mensch in der Welt gesungen; auch ohne Wiederhall in den höheren Schichten; und gibt es einen bessern Ort, das zu singen, als in der Luft? So in die Luft hinein – das ist das Allerbeste, eigentlich das Gewöhnlichste. Vielleicht war ich auch so närrisch, zu glauben, da ich nun dem lieben Gott so viel näher sei, daß er mir eine Antwort auf diese sonderbare Frage geben und, besonders da wir so allein und sicher ohne Zeugen waren, etwas darüber anvertrauen werde.

Aber so weit die deutsche Zunge auch da reichte – o nein! nein! nein! – Ich empfand nur ein Drücken in den Ohren, als ob mir etwas in den Ohren oder an den Ohren läge – wer weiß, was es bedeutete! Warf auch Sand hinunter.

Einige Minuten schwebte ich lautlos dahin, an alle die erstorbenen Töne und auch dieses Liedes denkend; – da sagte ich plötzlich, nach der lautlosesten Stille, rasch zu meinem Begleiter: „Was ist das?“ – Es rollte wie ein rascher Wagen über eine kurze hölzerne Brücke – es hatte in der That in der zweiten Wolkenschicht, die im weiten Kreise hoch über uns stand, ein wenig gedonnert. Zur Erde ist wahrscheinlich davon nichts gedrungen. Galt es mir? Es klang so wie eine recht brummige Grobheit für mich! Etwa wie das bekannte „ich bitte mich Ruhe aus.“ War ich doch ein Eindringling in diese Privatgegend der Schöpfung, in das Elisee, auf dessen Pforten im Allgemeinen stand: „Hier ist der Eintritt verboten!“

Ich mußte doch wieder mein Auge von den weiten Aussichten nach Osten zurückwerfen nach Südwest. Ich sah nach Wien. Mein Gott! ist jene tieflagernde, fahlgraue, schmutzige, flache, fast an der Erde klebende Staubwolke Wien?

Denken Sie sich die zweimalige Länge eines ovalen Familientisches

– die Gestalt der fahlen, flachen Wolke – mitten durch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_355.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)