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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 25. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Vorgesichte.
Strandnovelle von Ernst Willkomm.
(Fortsetzung.)


Die Reise im offenen Wagen auf den Deichkronen, von deren Höhe man die so wunderbar fruchtbaren Marschen mit ihren endlosen Feldern und noch immer frischgrünen Wiesen übersehen konnte, zwischen denen die großen, stattlichen Höfe, von einem Kranz rauschender Frucht- und Nutzbäume umgeben, lagen, gewährte trotz der Monotonie der Farben doch ein mehrfach fesselndes Bild. Gegen Osten war Alles fruchttragendes, fettes Land. Die Höfe und Ortschaften hinter den Deichen verriethen den Reichthum ihrer Besitzer. Zu Tausenden weideten breitstirnige Rinder und muthige junge Rosse auf den Wiesen, deren Graswuchs unerschöpflich zu sein schien. Gegen Westen aber wogte die wilde See unabsehbar und schlug in weißen, langen Brandungswellen gegen die hohen, schräg abfallenden Deiche. Fern und nah sah man weiße Segel wie Vogelfittiche über den Wellen schweben, die bald sich näherten, bald sich entfernten, je nachdem sie land- oder seewärts steuerten. Gewöhnlich hatte der Anblick des Meeres etwas unbeschreiblich Düsteres, weil der schwere Wolkenhimmel es mit eintönigem Grau bedeckte. Nur, wo die Sonne die Wolken auf kurze Momente theilte, erglänzte die See in blendend weißem oder in rothem Feuer, und es schien dann, als rollten Massen geschmolzenen Silbers oder flüssigen Feuers in graublauer Umbordung. Mitten durch diese auf dem Meere schwimmenden Licht- und Gluthoasen zog hin und wieder still und sicher, wie von Geisterkräften geführt, der Leib eines Schiffes.

Nicol Mannis beobachtete ausschließlich das Meer, sein Aussehen und was auf demselben vorging, für die beiden Geschwister dagegen hatte die landschaftliche Scenerie ihrer Neuheit wegen mehr Anziehungskraft; denn Beide kamen selten auf das Festland. Geschah es aber, so hielten sie sich meistentheils am Strande auf, und so hatten sie eigentlich noch nie so viel Land und so viel ländliche Wohnungen gesehen, als bei dieser Fahrt durch das Eiderstedt’sche, die sie innerhalb acht Tagen schon zum zweiten Male machten.

Zu Nicol’s Verdrusse kamen sie viel langsamer vorwärts, als er wünschte. Es war in den letzten Tagen häufig starker Regen gefallen, und regnete es nicht, so lag gewöhnlich ein schwerer, feuchter Nebel auf dem Lande. Dadurch waren die Wege auf den Deichkronen schlecht geworden. Auch die kräftigsten Pferde vermochten nur selten in dem schweren Boden zu traben. So kam es, daß die Uthlandsfriesen erst ziemlich spät am Nachmittage das alterthümliche Husum erreichten.

Mannis hätte sich gern von der für ihn sehr langweiligen Fahrt etwas erholt, weil aber der Wind günstig war und der Wasserstand der Hewer ein Aussegeln erlaubte, gönnte er sich kaum so viel Zeit, um sich durch ein gutes Glas Grog zu erquicken. Jens mußte auf der Stelle am Bord des Ewer Alles klar machen, und ehe eine Viertelstunde vergangen war, glitt das wohl gebaute Fahrzeug des Halligmannes schon langsam die Heweraue hinab und erreichte bei Sonnenuntergang die Gewässer der Binnensee.

„Zwei Stunden können wir noch segeln,“ sprach der erfahrene Seemann zu seinem Sohne, „dann müssen wir Anker werfen und die nächste Fluth abwarten. Der Wind ist steif, das Gewölk hebt sich und der Mond wird uns leuchten.“

Nicol erfaßte sofort das Steuer, Jens befolgte schnell jeden Befehl des Vaters, Karen hatte sich wieder, gegen den kälter werdenden Abendwind dichter in ihren Mantel hüllend, auf die schmale Cajütentreppe gesetzt.

Den einsamen Seglern begegnete kein Fahrzeug. Die Insel Nordstrand lag wie ein schwarzer Schatten zur Linken, rechts auf den Deichen zeigte sich im matten Abendscheine des langsam verlöschenden Tages eine wandernde Menschengestalt, die riesengroß erschien. Hinter den Deichen ließ sich Hundegebell hören und in langen Zwischenpausen der Schlag einer Glocke.

Die grauen Wogen der Wattensee rauschten am Bug des sie durchfurchenden Ewers. Das Rauschen verminderte sich aber mit jeder Viertelstunde. Die Bewegung des Wassers, anfangs stark und rollend, ward immer unbedeutender. Bald schlugen die Wellen nur matt und wie spielend gegen die Wände des Ewers, die Segel flappten, und eine Ruhe auf dem Meere wie in der Luft machte sich bemerkbar, als fühlten auch die Elemente das Bedürfniß, eine Zeitlang zu schlummern, um Kräfte zu neuem Wirken zu sammeln.

Die Ebbe war eingetreten, mit ihr zugleich fiel der Wind südlich ab und ward sehr schwach.

„Stop!“ sagte Nicol Mannis, das Steuer scharf anziehend. „Wir wollen hier Anker werfen. Sobald er in diesem Sandgrunde angebissen hat, ruhen wir sicher, wie in Abraham’s Schooß.“

Während Vater und Sohn den Anker auswarfen, erhob sich Karen und trat an’s Steuer. Der Mond blinkte lauschend durch dünne, sanft fortsegelnde Wolken. Er verbreitete ein mildes Dämmerlicht über das Meer und seine Inselbrocken, die jetzt ein poetischer Zauber umwallte. Im Südwest lag Nordstrand mit seinen hohen Deichen, über welche nur steile Dächer, Windmühlenflügel und die Spitzen der Kirchen emporragten. Im Norden hob sich gespenstisch öde aus glitzernder Wattennacht die Hallig Nordstrandischmoor,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_357.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)