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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

ohne daß die letztern auf eine besondere Neigung zum Phantastischen hätten schließen lassen. Die mehr breite als schmale und in den Verhältnissen kurze Nase deutete auf hartnäckigen Trotz; ebenso zeigte die Wangenformation eine feste, compacte Muskelbildung. Am meisten aber verriethen die seinen geschlossenen Lippen des männlich kleinen Mundes den streng maßhaltenden und scharf geprägten Charakter. Von allen Theilen des Gesichtes schloß allein das runde Kinn nicht ganz die Neigung zu einer bequemen Behaglichkeit aus. Um das Bild vollständig zu machen, darf eine gewisse amtliche Gemessenheit seines Wesens nicht unerwähnt bleiben.

Befand sich dieser Mann unter uns bei unsern engeren gesellschaftlichen Zusammenkünften oder bei allgemeinen festlichen Veranlassungen, so gab es wohl nicht leicht Jemand, der nicht ab und zu nach ihm hinübergeschielt hätte, um zu sehen, was für ein Gesicht er machte zu unsern Scherzen und Schnurren, zu unsern Deklamationen und scenischen Vorstellungen. War er aber selbst der Leiter eines solchen Festes, oder beglückte er uns mit dem Vorlesen irgend eines Shakespeare’schen oder Calderon’schen Stückes oder seiner eigenenen Werke, so waren wir diese Zeit vollständig seine Leib- und Seeleigenen. Seinen Anordnungen hatte man sich unbedingt zu fügen, seine Auffassung war die allein richtige, die geringste Störung, die kleinste Vernachlässigung ließ seinen Zorn befürchten. Dieser aber pflegte sich nicht in viel Worte zu kleiden, sondern ging gleich zur That über. Hatte er z. B. eine Probe zu einem Festspiel angesetzt, und fünf Minuten nach der anberaumten Zeit waren nicht alle Mitwirkenden anwesend, so warf er ohne Weiteres sein Buch oder Manuscript in den Winkel, und verlegte die Probe auf den folgenden Tag, wäre auch die Zeit bis zur Aufführung noch so knapp zugemessen und für die Betheiligten – die sich schließlich nur dem allgemeinen Besten oder doch der allgemeinen Unterhaltung opferten – noch so ungelegen gewesen. „Ich will Pünktlichkeit,“ pflegte er zu sagen, „und bin nicht gewöhnt zu warten.“ Ach, welch Seufzen und Klagen erhob sich dann, war unglücklicher Weise die Verspätung einer mitwirkenden Dame die Schuld seines Zornes, die nun nicht nur diesen, sondern auch den Aerger aller übrigen Mitwirkenden auf dem Gewissen hatte!

Wie groß war aber auch hinterher die Freude, hatte sich das Ganze zu einer echt künstlerischen Lösung abgerundet! Zu diesem Zwecke scheute Immermann keine Mühe und keine Wiederholung, kein Vormachen und immer wieder Nachhelfen. Und wie geschickt wußte er die vorhandenen Kräfte zu verwenden, und mit welcher Umsicht und Feinheit Alles bis in’s Kleinste zu ordnen und in der Wirkung durchzuführen! Das kam daher, weil er nicht nur selbst ein erstaunliches Talent besaß, dem Wort durch Betonung und Gebehrde seine volle Bedeutung und Tragweite zu verleihen, sondern auch unter allen Umständen den festen, beharrlichen Willen hatte, mit allen Kräften einer möglichsten Vollendung nahe zu kommen. Dieser ernste Grundton verließ ihn nie ganz, selbst nicht, wenn er im traulichen Kreise hinter dem Glase Wein seiner Laune den Zügel schießen ließ, und mit drolligen Einfällen und Bezüglichkeiten um sich warf, wie wir ähnliche in seinem Münchhausen und Tulifäntchen in Menge vorfinden. Dann waren es besonders der geniale Humorist A. Schrödter und der ehemals so heitere Th. Hildebrandt, die mit ihm zu unser Aller Erbauung ein Witzturnier aufführten, bei welchem die umherfliegenden Splitter der gebrochenen Lanzen auch wohl allmählich noch Andere reizten, in die geöffnete Bahn einzureiten.

Daß eine solche Natur sich nicht mit dem cynischen und schrecklich heruntergekommenen Grabbe, den trotz alledem genialen Dichter des Hannibal, des Don Juan und Faust, des Napoleon und der Herrmannsschlacht, würde befreunden können, sagten wir Alle uns gleich bei des Letztern Ankunft in Düsseldorf. Gelegentlich will ich hier einschalten, auf welche seltsame Weise ich die nähere Bekanntschaft dieses ebenso unglücklichen als genialen Mannes machte, Zunächst war es mein Freund Hasenklever, der bekannte – leider zu früh verstorbene – Maler der Jobsiade, der mich eines Abends in jene Weinkneipe auf der Rheinstraße führte, die Grabbe zu seinem beständigen Absteigequartier erkoren hatte.

„Du wirst einen tollen, aber doch einen sehr gescheidten Kerl kennen lernen,“ sagte Hasenklever auf dem Wege dorthin; „vor Allem aber einen höchst originellen Menschen und das zieht mich ganz besonders zu ihm hin. Ich sage Dir, wenn Du den schimpfen hörst, so steigen Dir die Haare zu Berge, und doch ist er eigentlich im Herzen ein gutes Haus.“

Wir traten in die von Tabaksqualm verdüsterte Stube.

„Siehst Du, dort sitzt er; komm, ich will Dich vorstellen.“

Ich sah nach dem Bezeichneten hin. Es war ein kleiner, auf seinem Stuhle ineinandergesunkener Mann, dessen großer Kopf fast nur ans einer riesigen, von wenigen blonden Haaren umgebenen Stirn bestand. Er schwankte, vorn überhängend, unsicher hin und her.

Hasenklever trat begrüßend an ihn heran und stellte mich vor. Grabbe warf einen scheuen Blick zur Seite und sagte:

„Gut, Sie können mir gestohlen werden. – Ich bin kein Freund von Complimenten,“ setzte er nach einer Weile halbentschuldigend hinzu und rückte seinen Stuhl, damit wir Platz gewannen.

„Die Grobheit darfst Du ihm nicht übel nehmen,“ flüsterte mir Hasenklever zu; „so ist er immer.“

Und nun begann eine Unterhaltung, die nichts weniger als erquicklich war, obgleich sie sich meist auf historische Charaktere, auf Hannibal, Cäsar, Napoleon etc. bezog. Die Kraftausdrücke und Epitheta, mit denen dieselben von Grabbe abgefertigt und versehen wurden, waren allerdings meist von überraschender Charakteristik, geistvoll und schneidend, aber durchaus nicht zu einer weiteren Mittheilung geeignet. Je mehr er dem Glase zusprach, desto wilder, kolossaler und verzerrter wurden seine Vergleiche, die nicht selten das Widerwärtigste und Heiligste zusammenzuketten suchten.

„Mein lieber Auditeur,“ (Grabbe war bekanntlich preußischer Auditeur) sagte ein neben ihm sitzender Arzt, „ich glaube, Sie werden gut thun, aufzubrechen. Ich halte es für meine Pflicht, Sie zu warnen; es könnten die Wallungen von gestern –“

„Halt’s Maul, Doctor; was geht’s Dich an, wenn ich mich zu Tode saufe!“

Ich drückte mich aus der Gesellschaft und verspürte nach diesem Abend nicht das geringste Verlangen mehr, mit dem genialen Dichter des herrlich sprudelnden Lustspieles „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ und des großartigen Gedichts „Don Juan und Faust“ in eine nähere Berührung zu kommen.

Aber der Zufall fügte es anders.

Einige Tage später passirte ich Morgens gegen halb acht Uhr die Ratingerstraße, als ich in einiger Entfernung Grabbe gewahrte, der, bald stillstehend, bald unsicher weiterschlotternd, sich nach den Häusern umsah. Ihm näher kommend, grüßte ich.

„Sie da!“ sprach er mich an,’ „können Sie mir sagen, wo hier der Auditeur Grabbe wohnt?“

„Sie können Ihre Wohnung nicht finden, Herr Auditeur?“

„Ah, Sie kennen mich? waren Sie gestern bei uns?“

„Gestern nicht, aber vor einigen Tagen. Erinnern Sie sich - -“

„Nein, ich erinnere mich nicht - - aber wissen Sie meine Wohnung?“

„Im schwarzen Horn, nicht wahr?“

„Ja, im schwarzen Horn.“

„Sie sind hier gleich bei der Thüre; soll ich Sie hinaufführen?“

„Ja, kommen Sie! Nun, hol’ mich der Teufel, ich dachte schon, die Spelunke wäre ganz vom Erdboden verschwunden gewesen.“

Mühsam erstiegen wir die engen Treppen.

„Immer höher!“ rief er und dann, im zweiten Stockwerk angelangt: „halt! da – das ist die Thüre.“

Wir traten in eine schmale, ziemlich knapp möblirte Stube. Ein simpler Arbeitstisch, eine kleine Bibliothek, ein Bett, ein Schrank und ein paar Stühle verliehen dem Raume ein wohnliches Ansehen. Sofort warf er sich auf’s Bett.

„Klingeln Sie, damit mir das – mein Frühstück bringt.“

Ich willfahrte und bald nachher trat das Stubenmädchen mit dem Verlangten ein. Es bestand aus einem großen Glase Kornbranntwein und einem entsprechenden Stück rohen Speck, nebst einer trockenen Brodschnitte.

Während er diese Dinge mit einer gewissen Hast zu sich nahm, räumte ich einige an der Erde zerstreut liegende Manuskripte zusammen und legte sie auf seinen Arbeitstisch.

„Werfen Sie den Schund in’s Feuer!“ schnarrte er.

„Das wollen wir einstweilen nicht thun; Sie würden es vielleicht später bereuen.“

„Nein, sage ich; es ist dummes Zeug, es sind Polypen, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1858, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_364.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)