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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

ich meinem Hannibal aus der Nase geschnitten; ausgemerzte und umgeänderte Scenen!“

„So würden Sie wohl erlauben, daß ich sie zu mir steckte?“

„Meinetwegen!“

Ich dankte und versicherte zugleich, daß ich ein großer Verehrer der kernigen, kräftigen Auffassung und der plastischen Behandlung seiner dramatischen Charaktere sei.

„Schweigen Sie, schweigen Sie!“ rief er und kehrte sein Gesicht gegen die Wand. „Ich bin ein unglücklicher Mensch,“ murmelte er in’s Kissen und schluchzte krampfhaft.

Meinen Versuch, ihn zu beruhigen und zu Kosten, ließ er gar nicht aufkommen.

„Wenn Sie mir einen Dienst erzeigen wollen, so reichen Sie mir das Glas; da – da – steht’s,“ unterbrach er mich, ohne sich umzuwenden.

„Kann ich Ihnen mit weiter nichts dienen?“

„Nein! – Doch, ja, gehen Sie zu Immermann, sagen Sie ihm, daß ich heute Morgen nicht kommen könnte – daß ich in sechs Wochen nicht kommen könnte – daß ich todtkrank sei – und daß ich wünschte … Aber nein –“ und er wandte sich um und maß mich mit mattem Blick – „Sie sind noch zu jung, um die Courage zu haben, ihm dies zu sagen … Ich werde es ihm schreiben, daß ich ein armer, verlorener, zu Grunde gerichteter – auf ewig verlorener Mensch bin.“

Alle seine Gesichtsmuskeln arbeiteten heftig und seine schlaffen Lippen bebten. Tief erschüttert trat ich näher, ich wollte seine Hand fassen.

„Scheren Sie sich zum Teufel!“ rief er; „aber,“ setzte er fast weinerlich hinzu, „kommen Sie morgen früh wieder. Nicht wahr, Du kommst? – Morgen werde ich ein ganz anderer Mensch sein.“

Ich versprach es ihm, fand aber jedes Mal denselben zerrissenen, unglücklichen Menschen, dessen Geist sich nur dann aufzurichten vermochte, wenn es ihm gelang, im dichterischen Schöpfungsdrange sein eigenes trauriges Ich zu vergessen. Wie recht, dachte ich, hat doch unser Meister Schadow, wenn er behauptet, auch das größte Talent, ja selbst das wirkliche Genie gehe auf halbem Wege zu Grunde, wenn ihm nicht eine gewisse Charakterfestigkeit von Zeit zu Zeit unter die Arme greife.

Zwei Jahre später hatte ich Gelegenheit, auch Immermann, mit dem ich bis dahin nur in außerhäusliche Berührung gekommen, in seinen vier Pfählen, wie man zu sagen pflegt, kennen zu lernen. Welcher Contrast!

Es sollte dem damaligen Kronprinzen von Preußen, dem jetzt regierenden Könige, bei seiner Anwesenheit in der Rheinprovinz von den Künstlern Düsseldorfs ein großes Fest gegeben werden. So etwas konnte nie ohne dramatische Vorstellungen, lebende Bilder, Festzüge u. dgl. abgehen. Am wenigsten durften diese Dinge diesmal fehlen, da es galt, einem geistvollen, für Kunst und Poesie enthusiasmirten Prinzen, dessen geniales Urtheil notorisch war, eine Unterhaltung zu bereiten, die zugleich unser künstlerisches Getreibe in ein günstiges Licht zu stellen geeignet wäre. Solche Vorstellungen aber kosteten den Mitwirkenden allemal schwere Opfer an Zeit und Geld und kaum erst hatten wir uns von den Anstrengungen eines nicht lange vorher stattgehabten Festes erholt. Viele litten noch an den pecuniären Nachwehen desselben. Theils die noch brühwarme Erfahrung, theils eiserne Notwendigkeit bestimmte uns daher, diesmal möglichst ökonomisch zu Werke zu gehen, das heißt den Festplan so einzurichten, daß die noch von früher vorhandenen Decorationen und Costüme mit geringer Abänderung wieder verwendet werden könnten.

So hatten wir in den Vorberathungen, denen Immermann nicht beiwohnte, weil er zu dieser Zeit verreist war, beschlossen. Ja, wir verhehlten es uns nicht, daß dessen Abwesenheit für die mindere Kostspieligkeit des Festes ein günstiger Umstand wäre, und hofften, wie es schon einmal geschehen, auch ohne ihn etwas Vortreffliches zu Stande zu bringen. Aber schon in den nächsten Tagen kehrte Immermann zurück und zwar zu unserm nicht geringen Schreck, denn hätte er erfahren, daß wir die Absicht gehabt, ihn zu umgehen, er würde es uns sobald nicht verziehen haben. Indeß fand sich ein Ausweg, der geeignet schien, jede Bedenklichkeit zu heben. Man ernannte in aller Eile unter dem Vorwande, daß sie den Zweck habe, Immermann mit Rath und That beizustehen, aus unserer Mitte eine Commission. Ihre geheime Aufgabe aber war, ihm die Zügel zu halten, daß er nicht allzu rücksichtslos in’s Zeug gehe. Dieser Commission gehörten – so viel ich mich dessen nach nun zwanzig Jahren zu erinnern vermag – u. A. Hildebrandt, Kiederich, Steinbrück, Heubel, Haach und meine Wenigkeit an.

Wir wurden von Immermann auf den folgenden Abend in seine Wohnung eingeladen, die sich eine Viertelstunde vor der Stadt auf dem in Derendorf gelegenen freundlichen Gute „Kollenbach“ befand. Er bewohnte das Erdgeschoß des geräumigen, von einem schönen Garten umgebenen Landhauses und seine Freundin, Gräfin von Ahlefeld, die erste Etage desselben. Die häusliche Wirthschaft Beider war äußerlich eine streng geschiedene.

Er empfing uns überaus freundlich, und drückte Jedem zum Willkomm herzlich die Hand. Er war im Schlafrock, was ihm ein cordialeres und gemüthlicheres Wesen verlieh, als er sonst zu zeigen pflegte. In dem Vorzimmer, welches wir passirten, um in sein Arbeitszimmer zu gelangen, stand auf einem kleinen runden Tische eine Art Götzenbild, ein braunes, dunkles, ungestaltetes Ungethüm und – was uns günstige Auspicien eröffnete – rund um dasselbe eine Anzahl Flaschen und Gläser. Das Arbeitszimmer selbst war ein sehr geräumiges. Theils eine reiche, wohlgehaltene Bibliothek, theils mehrere antike Statuen in Gypsabguß, darunter ein paar schöne Venus-Torsen, dann Zeichnungen, Kupferstiche, Bildnisse seiner Freunde etc. bedeckten die Wände. In der Mitte stand ein großer runder Tisch, hochbeschwert mit Büchern, Acten, Briefen; Alles ohne kleinliche Pedanterie in bester Ordnung. „Setzt Euch, Ihr Männer!“ begann er in humoristischem Tone und schob jedem mit großer Dienstbeflissenheit einen Stuhl hin. „So, und nun wollen wir, ehe wir das wichtige Werk berathen, die rechte Stimmung beschwören.“

Und behändig holte er die im Vorzimmer aufgepflanzten Flaschen und Gläser herbei. „Ein echter Rüdesheimer; stoßt an!“ Dann ließ er sich behaglich nieder und fixirte uns mit prüfendem Blick.

„Nun, was wollt Ihr von mir?“ –

Hildebrandt, sein näherer Freund, übernahm die Auseinandersetzung und bemerkte unter Anderm, man wünsche ein Festspiel, so in der Weise wie jenes, was Reinik und meine Wenigkeit für den Vater Schadow’s damals arrangirt hätten.

„So?“ betonte Immermann mit einem gewissen ernsten Nachdruck, „also in solche Fußstapfen soll ich treten? Also Ihr wollt mich zum Bänkelsänger machen?“

„Das heißt,“ fuhr Hildebrandt fort, „wir meinen nur, Du möchtest das Ganze so einrichten, daß wir das vorhandene Material, was wir noch besitzen, möglichst wieder verwenden können.“

„Ho ho!“ lachte er, „ich soll also meine Einfälle nach Euren Costumfetzen und Decorationen einrichten! Doch laßt hören, was habt Ihr denn noch?“

Und Jeder kramte aus, was er für brauchbar hielt, und Immerman schien geduldig zuzuhören. Als wir mit unserer Weisheit zu Ende waren, spielte er eine Weile den Nachdenkenden, als ob er sich den Kopf zerbräche, unsern Wünschen gerecht zu werden. Dann begann er in ernsthafter Weise die seltsamsten Projecte auszuspinnen, gegen die wir natürlich pflichtgemäß unsere Einsprache erhoben. Dies kümmerte ihn jedoch wenig, vielmehr gestaltete sich sein Plan immer abenteuerlicher. Um die Pausen zwischen den unvermeidlichen lebenden Bildern zu beseitigen, schlug er vor, eine Scheibe bauen zu lassen, deren Durchmesser die Breite der ganzen Bühne betrüge. Auf dieser sollten in ineinandergreifenden Gruppen die Hauptepochen der Kunstgeschichte dargestellt werden. Mittelst eines Räderwerks sollte die Umdrehung bewirkt werden, so daß ohne Unterbrechung Gruppe auf Gruppe vorüberschwebe. Allerdings nicht übel, aber für unsere ökonomischen Absichten wenig passend. Wir unterließen nicht, dies zu bemerken.

„Ja, Leute, wenn Ihr knickern wollt, so müßt Ihr mich nicht zu Rathe ziehen,“ erwiderte er halb ärgerlich, halb spöttisch und fuhr fort:

„Ist dann das letzte Bild vorüber, so erscheint am Schlusse der Genius der Kunst, feierlich auf Wolken niederschwebend, eine schöne weibliche Gestalt, nackt wie die Wahrheit, nur einen leichten Schleier um die Hüften, und begrüßt so den Kronprinzen.“

Erstaunt warfen wir ein, daß wir sehr daran zweifelten, eine von unsern Damen werde sich zu einem so leicht costumirten Genius hergeben.

Ein satirisches Lächeln zuckte auf seinen Lippen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_365.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)