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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Seid Ihr’s, Meister? – Das ist gescheidt von Euch. ’s war hohe Zeit. Wir wissen, wie’s um Euch steht. Kommt.“

Willenlos, stumm ließ sich der Goldschmied fortführen in die Finsterniß hinein,

„Ihr zittert? Pah! ’s wird schon vergehen, wenn Ihr die blinkenden Häuschen seht. Wir brauchten Euch sehr, Ihr versteht die Sache, kennt die Mischungen – Ihr wollt doch nicht gar wieder umkehren? Ihr wißt wohl nicht, daß Ihr morgen keine Heimath mehr habt, als die der Straße?“

Die Stadt war schon ganz verlassen. Ein Seitenweg, überwuchert von Gestrüpp und Domen, war eingeschlagen. Er führte in den nahen Wald, der sich gleich vor der Stadt auf einer mäßigen Anhöhe ausbreitete. Der Goldschmied strauchelte oft.

„Geduld, wir haben nicht mehr weit, seht Ihr den Glanz nicht durch die Zweige schimmern? Der Ort ist gut gewählt. Dahin dringt kein polizeilich Auge und keine Gensd’armennase hat Spürkraft genug, den Schlupfwinkel zu entdecken, – Paßt auf, Meister, jetzt müssen wir aber hintereinander gehen und uns bücken. Geht Ihr voran. Ihr sträubt Euch?“

„Laßt mich, ich will wieder nach Hause. Meine Frau, mein Sohn –“

„Die werden’s Euch Dank wissen, daß Ihr sie verhungern laßt.“

„O Gott! O Gott! Gibt’s kein anderes Mittel?“

„Ich weiß keins. Uebermorgen ist die Frist abgelaufen.“

„Das Mitleid wird sie noch verlängern. Lebt wohl!“

„Halt, Bursche! Gegen solche Anwandelungen von Schwäche haben wir ein eigenes Mittel.“

Dabei zog der Mann ein Pistol aus dem Mantel hervor und hielt es dem Goldschmied vor die Brust.

„Siehst Du? Entweder – oder –“

„Ich will – ich will – kommt – es geschehe, was da will.“

Und der Weg ging weiter in das Dickicht. Ein Geflüster ließ sich hören, eine Felsenthür ging auf, brodelnd flieg eine weiße Rauchsäule heraus, eine gluthrothe Flamme, welche zischend aus Pfannen und Tiegeln aufstieg, ließ mehrere Gestalten sehen. Die Thür schloß sich gleich wieder. –

Am andern Morgen zahlte der Goldschmied die Schuld in lauter goldenen Münzsorten ab, ein reicher ferner Verwandter habe es ihm vorgeschossen.




II.

Es war ein düsteres Bild, was wir betrachteten, um so freundlicher ist das, was sich jetzt vor uns aufrahmt.

In ein kleines, sauber gehegtes Gärtchen treten wir ein. Es ist in der Stadt B., von der Stadt des Goldschmieds in Mitteldeutschland viele Meilen südlich gelegen. Es ist gerade so Mitte Juli, wo die Blumen ihre größte Pracht entfalten – und Blumen sind es hauptsächlich, womit das Gärtchen besät ist. Sie schlingen sich überall um die Gemüsebeete, als wollten sie mit ihrer Poesie die Prosa verdecken, welche in den Kohlrabi- und Salatpflanzen, den Gurken und Bohnen steckt. Da wechselten rothe und weiße Rosen ab neben blauen Lilien, die schon die Kronen welk zu neigen begannen; Nelken im bunten Farbengesprenkel sandten aus ihrer niedrigen Stellung ihr erquickendes Arom empor. Und die Reseda daneben gab auch ihr Scherflein drein. Ueber all’ dem waltete ein anmuthender Zauber der Ordnung, daß man sich des aufsteigenden Gedankens nicht erwehren konnte, es sei hier irgend eine liebesprudelnde sorgende Menschenhand thätig, die für die holde Blumenfamilie mütterlich sorge.

Wer konnte dies wohl anders sein, als das frische blonde Kind, das dort in der Weinlaube beim Nähzeug sitzt? Neugierig möchten wir wohl näher treten und sie durch die Zweige, welche die Hütte sonnescheuchend überranken, belauschen und betrachten – sie macht es uns aber bequemer – sie tritt eben selbst heraus, Nadel und Scheere auf den Tisch hinwerfend. Sie streicht sich die blonden Haare, welche sich über der Stirne in Löckchen geringelt haben, aus dem Gesichte und schaut nach der Thüre, welche aus dem Garten heraus auf die Straße geht.

„Immer noch nicht? Und es hat doch schon längst sieben Uhr geschlagen? Warum er mich nur heute so lange harren läßt?“ Und ein flüchtiger Schatten der Wehmuth glitt über das frische Gesicht, wurde aber bald wieder durch die unbefangene Heiterkeit verdrängt, welche fast immer eine Zugabe aller blauäugigen und rosenwangigen Blondinengesichter ist.

„Aber nähen“, fährt das liebe Kind in seinem Selbstgespräche fort, „kann ich nicht mehr; ich habe keine Ruhe dazu. Ich will ihm lieber einen schönen Strauß pflücken – er verdiente ihn heute zwar nicht, weil er ungehorsam ist; ich weiß aber, es geht mir doch wie immer; wenn ich mir auch vornehme, mit ihm zu schmollen und ihn recht auszuzanken, ich komme doch nie dazu. Zunächst Rosen,“ fuhr sie fort, Rosen abpflückend; „wenn ich nur Etwas von der Blumensprache verstände – am Ende pflücke ich sonst, ohne es zu wissen, auch Blumen, die Schlimmes bedeuten, mit ab – Rosen können nichts Böses bedeuten und Nelken – ach! die duften ja gar so süß – den blauen Rittersporn darf ich wohl auch mit aufnehmen, ich weiß zwar nicht, was er wohl sagen könnte?“

„Sieh, Dein treuer Ritter naht!“

„Ach!“ rief erschrocken das Mädchen und ließ die Blumen aus den Händen nieder in den Schooß fallen. „Wie Du mich nun auch noch erschrecken kannst, nachdem Du mich so lange hast warten –?“ Weiter konnte sie nicht reden, denn zwei Lippen verschlossen ihr den Mund.

„Hättest Du nur den Rittersporn früher schon gefragt, er hätte Dir gesagt, daß Dein treuer Heinrich nicht ausbleiben würde und daß es nicht seine Schuld war, daß er heute später kommt.“

„Ich will Deine Entschuldigungen gar nicht hören, aber es war recht quälend, so lange warten zu müssen, zumal wenn man so böse Träume die Nacht über gehabt hat.“

„Träume? – Du bist wohl gar abergläubisch?“

„Ach nein! – Ich mag auch nicht glauben, daß in meinem Traume etwas Wahres liegt, aber er war so seltsam und furchterregend. Denke Dir, ich sah im Traume Deine beiden guten Eltern vor mir, wie Du sie mir immer beschriebst, ganz deutlich standen sie vor mir, Deine Mutter im weißen Häubchen und Dein Vater mit seinem schwarzen Sammetkäppchen. Anfangs sahen sie ganz freundlich aus und ich sprach mit ihnen, ich weiß aber nicht mehr was; auf einmal fingen ihre Gesichter an, sich ganz zu verzerren, sie wurden alt und welk und rückten immer weiter von mir weg. Und auf einmal fingen die Gold- und Silberwaaren, die im Fenster zur Schau hingen, an zu schmelzen und in breiten Strömen lief das flüssige Metall aus dem Laden heraus gerade auf die Beiden zu, daß sie bald von demselben umgeben waren, und da schlug noch dazu eine helle Flamme aus dem flüssigen Strome heraus und im Nu stand das ganze Zimmer in Flammen, Deine armen Eltern mitten drin und hinter ihnen tauchte plötzlich eine Gestalt auf – ach! ich kann sie mir gar nicht wieder vorstellen, wie scheußlich die aussah, die lachte und grinste so und nahm Deinen Vater beim Schopfe und tauchte ihn lachend immer tiefer in die glühende Masse. Ich bin vor Seelenangst bald umgekommen, da kamst auf einmal Du und wolltest auf Deinen Vater zu, aber die schreckliche Gestalt hatte ihn Plötzlich ganz untergetaucht. Deine Mutter hatte sich selbst schon hineingestürzt, da fielst Du ohnmächtig hin, ich wollte Dich auffangen – da bin ich erwacht und der schreckliche Traum war fort.“

(Schluß folgt.)

Soeben erschien:

Ludwig Storch’s auserwählte Schriften.

Volks- und Familien-Ausgabe.
Neunzehnter Band. – Mit Ludwig Storch’s Portrait.
und wollen die geehrten Subscribenten derselben bei den betreffenden Buchhandlungen in Empfang nehmen.

Leipzig, Juni 1858.

Ernst Keil.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_368.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)