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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Halligbewohner auf, weshalb sie fragend die Worte an den Vater richtete: „Was kann es dort geben?“

Nicol stand aufrecht am Steuer und sah unverwandt nach dem Strande. Sein Ewer war Allen auf Hooge bekannt, und ehe das Fahrzeug noch anlegen konnte, näherten sich Mehrere dem Landungsplatze. Mannis erkannte unter diesen auch den Pfarrer.

„Ich weiß schon, was Ihr bringt,“ rief er jetzt mit gepreßter Stimme vom Schiffe aus den tief ernsten Männern zu. „Ihr habt gefunden, was ich vergebens suchte. Von dorther, wo die Andern stehen, sah ich den Leichenzug quer über die Hallig sich fortbewegen, und von Heverknob’s Sand her strich er feierlich ernst über die Süder-Aue.“

Das Wort des alten Mannes erregte bei Niemand Anstoß. Es widersprach ihm Keiner, der Geistliche aber reichte ihm die Hand, bot dann dem jungen Mädchen, das sich weinend an ihn schmiegte, den Arm, und so schritt der ganze Trupp der Stelle zu, wo noch immer mehr Halligbewohner sich einfanden.

Die letzte Fluth hatte hier vier Leichen an’s Land gespült. Unter diesen befand sich Jens Mannis und der übermüthige Vetter Hendry aus Bredstedt. Die andern Beiden waren zwei Langenesser. Ueber das Schicksal der noch Uebrigen konnte sich der unglückliche Halligmann keine Illusionen mehr machen.

„Sie sind Alle ein Opfer des Sturmes geworden,“ sagte er gefaßt. „Es war unrecht von mir, daß ich sie nicht mit Gewalt zurück hielt. Hörte doch Jens zuerst die Geisterglocken von Rungholt läuten!“ –

Ellen war von dem Geschehenen bereits unterrichtet. Sie begrüßte die Heimkehrenden stumm, aber herzlich. Bald darauf brachte man die Leichen Jens’ und Hendry’s. Nicol ließ sie auf die Diele nebeneinander betten.

Mit der nächsten Fluth trieben noch vier der Vermißten theils auf Nordmarsch, theils auf Südfall an, die dritte Fluth warf den Neunten abermals an Hooge’s Strand. Nur Taken’s Körper fand man nicht auf.

„Sein Leib wird dem Meere verbleiben,“ sprach Nicol.

Er traf Anstalten, die Todten bestatten zu lassen.

Zu diesem Leichenbegängniß trafen von allen Halligen theilnehmende Männer und Frauen auf Hooge ein. Es war ein langer, düsterer Leichenzug, der sich im matten Schein der Wintersonne über die öde Hallig fortbewegte nach dem kleinen Friedhofe, wo die Verunglückten in eine weite gemeinsame Gruft gesenkt wurden. Diese Feierlichkeit war eben beendigt, als unter den zahlreich Versammelten eine Bewegung entstand.

„Ein Schiff, ein Schiff von Nordstrand!“ rief laut eine Stimme. „Er ist gerettet, durch ein Wunder gerettet!“

Die Menge theilte sich und auf zwei starke Männer in Schifferkleidung gelehnt, bleich, mit verstörten Zügen und kaum wieder zu erkennen, schwankte Taken auf den gebrochenen Vater zu, der, keines Wortes mächtig, den Sohn in seine geöffneten Arme schloß und dann laut schluchzend mit ihm auf den frischen Erdhügel, der sich über den Särgen der eben Beerdigten wölbte, niedersank. –




Unter Ellen’s und seiner Schwester Pflege erholte sich Taken bald so weit, daß er die näheren Umstände seiner Rettung mittheilen konnte.

Vom Sturm erfaßt, war das in’s Treiben gerathene Eisfeld am äußersten Rande jenes hohen Sandes, welchen die Schiffer Capitainsknob nennen, und der an der Mündung der Reutertiefe im Westen Amroms liegt, geborsten. Das wilde Sturmwetter jagte die nunmehr getheilten Schollen seewärts. Bald verloren sich die Getrennten gänzlich aus dem Gesicht. Taken mit zwei der büchsenbewaffneten Langenesser hatte der Zufall auf die kleinere, aber sehr feste Scholle geworfen. Die dem Tode Geweihten trieben, von mancher Woge überschüttet, immer weiter nach Süden. Hier geriethen sie in eine Wetterwolke, die unter Blitz, Donner und Hagel über sie fortbrauste. Eine Woge überstürzte die Scholle und spülte die Langnesser in die Tiefe. Taken sah sich allein. Mit der Riesenkraft der Verzweiflung klammerte er sich fest an das Eis, bis schauernde Kälte ihn durchrieselte, und er, von nagendem Hunger gepeinigt, mit erstarrten Gliedern besinnungslos niedersank.

Als er wieder zu sich kam, lag er in einem Schifferkahne. Eine mitleidige Woge hatte ihn auf den Strand von Süderoog geworfen, wo Schiffer, die hier Schutz vor dem wilden Sturmmwetter gesucht und gefunden, ihn entdeckten.

Anfangs hielten die wackern Männer ihn für todt. Bald aber bemerkten sie, daß noch Leben in ihm sei, und ihren unablässigen Bemühungen gelang es, den schon dem Tode Geweihten wieder in’s Leben zurück zu rufen.

Es waren Männer von Nordstrand. Dahin brachten sie zuerst ihren Findling. Dieser aber, kaum so weit erstarkt, daß er sich wieder regen konnte, hatte keine Ruhe bei seinen braven Rettern. Ihn verlangte zurück nach Hooge, um zu erfahren, ob die Kunde des Geschehenen bereits bis in das Haus seiner Eltern gedrungen sei. Unter dem Geläut der Glocken, die über dem Grabe seines Bruders, seiner Verwandten und Freunde verhallten, betrat er, der einzig Ueberlebende, die Hallig.

Der Seemann von ächtem Schrot und Korn ist eben so fromm als abergläubisch. Wie Nicol Mannis fest überzeugt war, daß da schattenhafte Schiff, welches seine Kinder unfern der Insel Amrom im vergangenen Herbst an sich hatten vorüberstreichen sehen, ein Zeichen gewesen sei, das ihnen in jener Gegend Unglück prophezeie; wie er Tags darauf mit eigenen Augen einen Leichenzug mit Begleitung von der Süder-Aue über das Jap nach Hooge durch den Nebeldunst des Abends gleiten sah und darin einen Wink erblickte, daß viele Halligleute ihren Tod in den Wellen finden würden: so von Herzen froh und dankbar war jetzt der alte Mann, daß Gott doch nur einen Sohn von ihm gefordert hatte.

Ellen war schwerer zu beruhigen. Sie machte sich im Stillen Vorwürfe über ihren Unglauben, und zieh sich unnützerweise eines Leichtsinnes, den sie in der That gar nicht besaß. Es bedurfte langer Zeit, ehe die gebeugte Frau ihre frühere geistige Elasticität wieder gewann.

Im Frühjahr kehrte Geike Woegens glücklich von seiner Reise zurück. Er betrauerte tief und wahr das Unglück, das sich während seiner Abwesenheit zugetragen hatte, und führte ein paar Monate später die sinnig-ernste Karen als Gattin heim.

Die in der wilden Sturmnacht Umgekommenen zeigten sich Niemand als Wiedergänger. Der Friedensklang der Kirchenglocken auf Hooge, Langeneß und in Bredstedt hatte sie für immer sanft in’s Grab gebettet.




Der Werrabahn-Tunnel bei Eisenach,

vor dessen nördliche Mündung uns die beigefügte Skizze führt, ist eines der interessantesten Bauwerke der Neuzeit in unsern thüringer Bergen und es vergeht kein Tag, wo nicht zahlreiche Besucher von Nah und Fern nach der Tunnelbaustelle wallfahrten. Es dürfte deshalb für den Leser der Gartenlaube von Interesse sein, diesen Gegenstand etwas näher beleuchtet zu sehen.

Der Tunnel von 24 Fuß rheinl. lichter Weite und Höhe, sollte nach der ursprünglichen Projection nur 1440 Fuß lang werden; es stellte sich jedoch mit Rücksicht auf die gleichmäßige Festigkeit des durchzuschlagenden Gesteins, welche eine Ausmauerung überflüssig macht, und zur Vermeidung der beträchtlich höheren Kosten, welche die Ausarbeitung der tiefen Voreinschnitte erfordert haben würde, als zweckmäßig heraus, den Tunnel selbst um 293 Fuß zu verlängern, so daß die Gesammtlänge desselben nunmehr 1733 Fuß beträgt. –

Die sehr bedeutenden Einschnittsarbeiten, welche im März und April 1856 in Angriff genommen worden, waren durch zweckmäßige Anlage der Schächte und kräftigen Betrieb (bei einer durchschnittlichen Arbeiterzahl von 800–1000 Mann), trotzdem bei einer Tiefe von wenigen Fuß schon das in dieser Gegend vorherrschende Gestein – das sogenannte Rothliegende – in fester Masse zu Tage trat, und die Hackgeräthe bald mit den Sprengmaterialien vertauscht werden mußten, dennoch schon im November desselben Jahres so weit vorgeschritten, daß mit dem Einbruch des Tunnels zunächst auf der nördlichen Seite begonnen werden konnte. – Gleichzeitig mit den eigentlichen Tunneleinbrüchen wurden am südlichen Abhange

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_372.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)