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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

von den unter den Studenten befindlichen Virtuosen die schönsten Opern präsentirt werden, und ist die Notiz davon mitten auf den vornehmsten Straßen an gewissen Tafeln zu lesen, die mit Leinen querüber festgemacht sind.“ Jetzt steht da das Zucht- und Waisenhaus, dem sich neuerdings eine großartige Fleischhalle anschließt. Von da aus ist durch den Park eine neue Straße angelegt worden, die zu den drei (nächstens vier) Eisenbahnhöfen führt, welche in dieser Gegend sich aneinanderreihen, etwa da, wo auf dem ersten Bilde rechts am äußeren Ende die einzelnen Bäume und das kleine Fuhrwerk sich befinden.

So hat sich Leipzig auf der Ostseite, welche die Abbildungen darstellen, im Laufe von zwei Jahrhunderten verändert. Die Erweiterungen der Stadt nach andern Seiten hin sind noch viel bedeutender, namentlich die im Westen, welche von Dr. Heine herbeigeführt und von der Gartenlaube bereits ausführlich beschrieben worden sind.

Leipzig gehört nicht zu den größten, aber zu den bekanntesten Städten der Erde; ihren Ruhm und ihren Wohlstand verdankt sie den Messen und der Universität, welche beide ihr auch den eigenthümlichen Charakter gegeben haben, über den eine neuere Schilderung sagt: „Eine wunderlich zusammengewürfelte Bewohnerschaft siedelt in dieser Handelsstadt an der Elster, Pleiße und Parthe. Die Firmen zeigen schweizerische, französische, italienische, specifisch süd-, specifisch norddeutsche Namen. Unter den niederländischen sind die Nachkommen der von Herzog Alba vertriebenen Antwerpener Kaufleute, unter den französischen manche, welche die Aufhebung des Edicts von Nantes zur Auswanderung zwang. Hieran mag es auch größtentheils liegen, daß die Stadt in der Sitte des Hauses so wenig wie im öffentlichen Leben einen ausgeprägten Charakter hat. Jene wahrhaft patriotische Anhänglichkeit des Bremer Kaufmannes an seine Vaterstadt z. B., die Rivalität des Kaufherrn mit dem Adel, welche dem Vergnügen und dem geselligen Treiben Frankfurts a. M. die einfache und ausgesuchte Eleganz gibt, fehlt in Leipzig, wo sich unter siebenzigtausend Einwohnern kaum siebenzig Adelige befinden und diese, wie die zahlreichen Professoren und Gelehrten, nicht begütert genug sind.“

Zum Schluß möge hier eine kurze Geschichte der Leipziger Messen stehen, deren eigentlicher Beginn sich mit Bestimmtheit nicht ermitteln läßt, die aber wahrscheinlich bereits im zwölften Jahrhunderte entstanden.

„Sie sind,“ heißt es in „Leipzig von A. Diezmann“ (Leipzig, Lorck, 1856. 10 Ngr.), „durch Kriege, Aufstände, Krankheiten und theure Zeiten oftmals theils ganz verscheucht, theils sehr gestört worden. Großen Abbruch thaten ihnen die calvinistischen Streitigkeiten und, wie leicht erklärlich, der verderbliche dreißigjährige Krieg, obgleich selbst Tilly bei Eroberung Leipzigs bewilligte, „daß den Commerciis ihr ungesperrter Lauf zu lassen und sie auch mit keinen neuen Exactionen zu beschweren sein sollten,“ und später Torstensohn, von schwedischer Seite, versicherte, es solle Niemand, er sei aus Feindes oder Freundes Land, gehindert und dem Handel der Stadt der altgewohnte Verlauf gestattet werden. Ein neues Unglück brachte die furchtbare Pest, die 1680 von Böhmen her sich verbreitete, denn während der Dauer derselben konnten die Messen nicht abgehalten werden und selbst, als sie nicht mehr zu fürchten war, brauchte man die ängstlichsten Absperrungsmaßregeln, genau wie hundertfunfzig Jahre später bei der Annäherung der Cholera. Kaum hatte der Verkehr sich wieder zu heben begonnen, so trat 1689 der Krieg Frankreichs mit dem deutschen Reiche ein, und in Regensburg beschloß man, nicht nur die Einführung aller französischen Waaren zu verbieten, sondern dieselben überall, wo man sie finde, zu confisciren und die Eigenthümer „am Leibe zu strafen“, wie es im Anfange des neunzehnten mit den englischen Waaren geschah. Im Jahre 1693 gab es eigentlich keine Neujahrsmesse wegen der Theuerung im Jahre vorher und auch, weil die Kaufmannswaaren nicht zu rechter Zeit eintrafen, da wegen der schlechten Witterung und des schlechten Zustandes der Straßen die Fuhrleute nicht fortkommen konnten. Neue Störung erlitt die Messe 1706 „durch den Einbruch der königlich schwedischen Waffen,“ wie sich ein Rathspatent ausdrückt, welches die Meßwechsel bis zu Ende Octobers prolongirte.

Die schlimmsten Zeiten begannen mit dem siebenjährigen Kriege, und als erst Friedrich der Große, dann Oesterreich ihre Grenzen den Waaren aus Sachsen sperrten, und dieses darauf Repressalien brauchte. Die Stadt hatte an Truppenverpflegungsgeldern und Contributionen gegen acht Millionen aufzubringen, und die Messen kamen so in Verfall, daß Gotzkowski in seiner Biographie erzählt, er habe in der Michaelismesse von 1756 von seinen Seidenwaaren nur für 200 Thaler verkauft, während er sonst in einer Messe einen Absatz von gegen 40,000 Thalern gehabt. Dazu kamen die Münzverschlechterung durch die jüdischen Münzpachter und die beginnenden Experimente mit allerlei Abgaben. Die Zeiten wurden in Leipzig so schlecht, daß 1766 der Handel anfing, nach Gera, Weimar, Hof und Arnstadt sich zu wenden. Erst als man die drückenden Abgaben beseitigte und Zollfreiheit einführte, hoben sich die Messen wieder.

Lange machten Leipzig die Messen in Frankfurt an der Oder viele Noth, bis die falschen Maßregeln, die man dort ergriff, unserer Stadt wiederum zum Vortheile ausschlugen. Leipzig wurde von Juden aus Polen, Rußland u. s. w. im Anfange fast gar nicht besucht, da sie ihre Einkäufe in Frankfurt machten, weil sie für die nach Polen gehenden Waaren die preußische Durchgangsabgabe nicht zu zahlen hatten. Dies hielten aber die preußischen Fabrikanten für nachtheilig, und jene Abgabenfreiheit wurde nicht nur aufgehoben, man belegte auch die aus Polen kommenden Producte mit einer Abgabe von dreißig Procent an Werth. Sofort mieden die Polen und Russen Frankfurt und kamen nach Leipzig, das sie zuvorkommend aufnahm. Zwar wurde jene drückende Einfuhrabgabe nach Friedrichs des Großen Tode aufgehoben, und Frankfurt hob sich wieder, aber da kam man in Preußen auf den Gedanken, dort die fremden baumwollenen und halbseidenen und seidenen Waaren zu verbieten. Die Einkäufer aus Warschau, Brody, Jassy u. s. w. fanden also in Frankfurt nicht mehr, was sie brauchten, und sie wendeten sich von nun an fast ausschließlich nach Leipzig, wo sie nicht nur die größte Auswahl in den Waaren, sondern auch ziemlich leicht Credit fanden.

Die französischen Kriege lasteten schwer auch auf Leipzigs Messen. Anfangs kamen zwar viele Engländer mit Waarenlagern nach Leipzig, weil dies den Verkehr bis in die Türkei und nach Persien vermittelte; als aber Napoleon das Continentalsystem aufstellte, erfuhr Leipzig mit seinen Messen einen lange nachwirkenden empfindlichen Schlag. Mit sieben Millionen Francs kaufte die Stadt einmal, am 7. April 1807, die in Beschlag genommenen englischen Waaren vom General Villemangy los, aber 1810 erschien wiederum ein Commissar, welcher nach englischen Waaren suchte, um die vorgefundenen zu verbrennen. Der Schade konnte durch den um etwas gesteigerten Absatz nach Rußland nicht ausgeglichen werden. Die Messen kränkelten fort und fort, zumal 1818 das von Preußen eingeführte Grenzzollsystem mit hohen Durchgangsabgaben bis nahe an Leipzig heranrückte, und ihm die Hauptadern unterband, auch Rußland seine Einfuhrzölle bedeutend steigerte, und die Abgaben in Sachsen selbst erhöht wurden. Leipzig mußte erwarten, seine Handelsblüthe ganz geknickt zu sehen, als 1834 die Schlagbäume endlich fielen, Sachsen dem deutschen Zollvereine beitrat, und Leipzig einen Aufschwung nahm, wie nie zuvor. Nach funfzehn Jahren war der Umsatz in den Messen auf mehr als das Doppelte gestiegen, und wenn auch seit 1834 Cholera, Revolutionen, Theuerung, Handelskrisen und Kriegsbesorgnisse Schuld trugen, daß einige Messen nicht von großer Bedeutung waren, wenn auch Kurzsichtige dann prophezeieten, die Zeit der Messen und damit die Zeit der Blüthe Leipzigs sei vorüber, so läßt sich doch mit weit größerer Wahrscheinlichkeit weissagen, daß unter der Segensherrschaft des Friedens, bei Fernhaltung aller den Handel stets lähmenden Beschränkungen, die Messen und mit ihnen der Handel Leipzigs noch weit großartiger sich gestalten werden.“





Blätter und Blüthen.


Der bestrafte Spaßmacher. Vor einigen Jahren hatte mich meine Reiselust nach einer der bedeutendsten Handelsstädte des nördlichen Europa geführt. Wochen vergingen, ohne daß mir irgend Erhebliches begegnete. Viele Bekanntschaften, von denen einige bald angenehm und cordial wurden, waren die einzige allerdings sehr schätzenswerthe Ausbeute meines Aufenthaltes. Da ward mir ein Wechsel fällig. Um diesen zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_382.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)