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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Weise war der Rücken der Colonne gedeckt, während die Seiten durch Tirailleurketten, gleichfalls auf Schußweite vom Gros entfernt, geschützt wurden.

So bewegte sich der ganze Heereskörper weiter, vorsichtig die Fühlhörner nach allen Seiten hin ausstreckend und damit aufmerksam jede Terrainfalte prüfend, jedes Gebüsch durchsuchend. Freilich haben diese Seitentirailleurs einen beschwerlichen Marsch. Sie haben nicht, wie das Gros, einen gebahnten Weg, sie haben nicht einmal einen Fußpfad, und doch müssen sie mit diesem auf gleicher Höhe bleiben. Durch Wasser und Sumpf, durch Busch und Dickicht, über Felsblöcke und Abgründe, die steilsten Schluchten hinab und herauf geht der Marsch dieser Leute, und dabei heißt es noch, die Augen nach dem Feinde offen haben, der gewandt jedes Gebüsch, jede Felspartie, jeden Graben zu benutzen weiß, um den Unvorsichtigen die todtbringende Kugel in’s Herz zu treiben. Deshalb geht auch Alles vorsichtig vor und benutzt die sich darbietenden deckenden Gegenstände, um unter deren Schutz weiter zu kommen. Kommen sie Abends auch todtmüde im Lager an, was thut das? sie wissen, daß sie dann für die Nacht vom Sicherheitsdienste befreit sind und daß ihnen ein guter Schnaps, ihr Universalmittel gegen jedes Uebel, winkt. Deshalb bleiben die Tirailleurs munter, singen und tanzen sogar manchmal, wo es der Platz erlaubt, trotz des schweren Tornisters, und treiben allerhand Possen unter einander.

Noch hat sich kein Feind sehen lassen und auch in dem Walde, durch welchen eben der Marsch geht, scheint kein Tscherkesse versteckt zu sein. Da plötzlich entdecken die Tirailleurs hinter jener Baumgruppe eine Anzahl Feinde, von denen sie, wie es scheint, schon eine Zeitlang beobachtet worden sind. Noch fällt kein Schuß; es ist, als fürchte man sich, die Verantwortung zu übernehmen, da endlich schwirrt die erste Kugel durch die Luft, der Zauber ist gelöst und herüber und hinüber schlägt das Verderben bringende Blei. Es ist ein eigenes Ding um diesen ersten Schuß. Ich habe schon oft im stärksten Kugelfeuer gestanden und doch erweckt mir der erste Schuß stets ein unangenehmes Gefühl. Ein Frösteln durchläuft den ganzen Körper; man weiß, daß der erste Schritt gethan ist, sowohl um Verderben zu senden, als es zu empfangen. Hinter Bäumen und Felsen liegen die Schützen, aufmerksam den Feind im Auge behaltend, um ihn, wenn einer einen Theil seines Körpers neben dem deckenden Gegenstände sehen läßt, durch eine gut gezielte Kugel unschädlich zu machen.

Auch beim Gros hat der erste Schuß großen Eindruck gemacht. „Halt!“ tönt das Commando der Führer, das Signalhorn ruft es lautschallend nach; bald fliegen Adjutanten zu der Schützenlinie, um Nachricht über den Gang des Gefechtes zu bringen, und schon gehen Abtheilungen nach dem am meisten bedrohten Flügel zur Unterstützung der Kämpfenden ab. Alles lauscht auf das immer stärker werdende Tirailleurfeuer. Einzelne Commandoworte und Signale tönen zu der Colonne herüber, aber so undeutlich, daß man nur unklare Töne unterscheiden kann. Lebhaft rühren sich die Zungen, denen noch vor einer Viertelstunde alles laute Sprechen untersagt war, und hundert Verwünschungen, an dem Kampfe nicht selbst theilnehmen zu können, werden von den Ungeduldigen ausgestoßen. Das immer um so heftiger wiederkehrende Knattern der Schüsse nach minutenlangen Pausen, wie sie im Schützengefechte vorzukommen pflegen, wird stets mit freudigen Ausrufen begrüßt.

Doch jetzt bringt man die ersten Verwundeten getragen. Auf zwei Gewehren liegt ein Soldat, dem eine feindliche Kugel das Kinn zerschmettert hat; leise wimmert er, ihm scheinen nur noch wenige Minuten zum Leben übrig zu bleiben. Der traurige Anblick setzt die Soldaten nur noch mehr in Wuth und laute Verwünschungen ergießen sich gegen die verhaßten Feinde. Da schallt das Commando „Marsch!“ die Colonne bewegt sich wieder vorwärts, eingehüllt auf allen vier Seiten von einer rauch- und feuerspeienden Linie. Mit großer Gewandtheit springen die Tirailleurs von einem Baume zum andern, von Gräben zu Felsen, überall einen Augenblick verweilend, um gedeckt zu laden und dem Feinde eine Kugel zuzusenden. Trotz der Gefahr lassen sie oft auch jetzt ihre Possen nicht. Sie necken sich unter einander und necken den Feind, und wenn ja eine feindliche Kugel Einem oder dem Andern das Scherzen verbietet, so verstummt zwar plötzlich Alles, man bringt den Verwundeten zur Colonne, übergibt ihn dem Arzte, kehrt aber gleich darauf zur Schützenlinie zurück, um die alten Possen von Neuem anzufangen.

So wird der Marsch fortgesetzt unter dem unaufhörlichen Geknatter der Gewehre, dann und wann accompagnirt durch den tiefen Baß eines Geschützes, das dahin, wo der Feind am dichtesten steht, eine Sendung Kartätschen oder eine Granate schickt. Durchschreitet die Colonne ein feindliches Dorf, so sucht man das darin von den flüchtigen Einwohnern etwa zurückgelassene Vieh zum Gros zu treiben und zündet dann die Hütten an. Es scheint zwar eine unnütze Grausamkeit zu sein, die Dörfer wegzubrennen, die Felder zu verwüsten, die Vorräthe zu zerstören, aber bleibt uns dem barbarischen Feinde gegenüber ein anderes Mittel? Schon oft hat man den Krieg mit mehr Menschlichkeit zu führen gesucht, doch stets haben die Bergvölker die Milde für Schwäche gehalten und um so frecher, um so mordgieriger unsere Ansiedelungen überfallen und zerstört. Erhalten die Tscherkessen jedoch eine scharfe Lehre, wie wir sie in diesem Jahre vorhatten, so kann man darauf rechnen, daß sie eine Zeitlang ruhig bleiben. Hier hilft nur Gewalt, ebenso wie bei den Beduinen in Algier.

Unterdessen hat sich der Tag seinem Ende zugeneigt. Man sucht einen passenden Lagerplatz, womöglich in der Nähe eines Dorfes, um Wasser und Holz, Heu und Stroh für Menschen und Pferde vorzufinden. Die Wagen werden in der Mitte des Platzes zusammengefahren und die Truppen lagern im Viereck um diese herum. Das Ganze schließt in geeigneter Entfernung eine dichte Tirailleurlinie ein, welche aus Truppen des Gros besteht, während die den Tag über zur Deckung der Colonne verwendeten Leute endlich abgelöst sind. Wenige Minuten nach dem Einrücken lodern die Feuer in die Höhe, geschäftig laufen die Soldaten nach dem Wasser, füllen ihre Kochkessel und bald ist das frugale Abendbrod bereitet, um ebenso schnell von den Hungrigen verzehrt zu sein. Die Feuer werden dann sogleich wieder gelöscht, da man dem nie nachlassenden Feinde kein zu leichtes Ziel bieten will, die Soldaten werfen sich auf das wenige Stroh, das ihnen zu Theil geworden ist, und bald liegt Alles im tiefsten Schlafe, Gott und der Wachsamkeit der Tirailleurs überlassend, für ihre Sicherheit zu sorgen.

Todtmüde war auch ich in diesem improvisirten Lager angekommen. Ich war den ganzen Tag über bei den Tirailleurs gewesen und hatte während der ganzen Zeit keinen Augenblick an Erholung denken können. Ich suchte mein Pferd auf, tränkte es und war so glücklich, in dem tscherkessischen Dorfe genug Heu, ja sogar etwas Mais zu finden, welches ich natürlich sogleich als gute Beute erklärte und dem hungrigen Thiere vorwarf. Ein einfaches Abendessen war bald von mir verzehrt und wie todt sank ich jetzt zur Erde. Mein Schlaf muß recht fest gewesen sein, denn vergebens hatte man mir des Nachts zugerufen, mein Feuer zu löschen, bis man es selbst gethan hatte. Auch davon, daß die ganze Nacht hindurch das Feuern in der Schützenlinie nicht einen Augenblick geschwiegen, daß man sogar mit Kanonen geschossen hatte, wußte ich nichts.

Am andern Morgen wurde rasch ein Frühstück bereitet und die nächtliche Postenlinie durch frische Truppen abgelöst. Bevor wir jedoch aus dem Lager abmarschirten, flogen erst die zündenden Feuerbrände in das Dorf. Der Marsch wurde in derselben Ordnung, wie am vorigen Tage, fortgesetzt, doch war ich heute nicht in der Tirailleurlinie, sondern beim Gros, das nur wenig’ Belästigung von dem Feinde zu leiden hat und selten handelnd in das Gefecht eingreift. Schon am Abend vorher hatten wir das Gebirge verlassen und traten jetzt in die fruchtbare Ebene, welche sich zwischen der kaukasischen Gebirgskette und dem Kuban ausdehnt. Kleinere Eichenhaine und größere Waldungen wechselten mit Wiesen und Feldern, die Dörfer wurden zahlreicher und zeigten von der Wohlhabenheit ihrer Bewohner. Noch nie hatte ein russischer Fuß diesen Boden betreten und daher kam es auch, daß die noch nicht durch Razzias heimgesuchten Dörfer besser gebaut waren und reichlichere Vorräthe enthielten, als die in der Nähe russischer Festungen liegenden.

Wir lagerten uns bei einem Dorfe, das malerisch schön auf einem hohen Hügel lag. Ein klarer Bach umfloß denselben von drei Seiten und umfaßte ihn wie mit einem Silbergürtel. Weithin blickte das Auge in die flache Ebene und nur im Süden hinderte das Gebirge die Fernsicht. Felder und Wiesen, Dörfer und Waldungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_391.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)