Seite:Die Gartenlaube (1858) 396.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

wollen, nichts wünschen, als lieben; sich selbst vergessen im Glück des geliebten Wesens, ohne Erwiederung zu hoffen oder zu wünschen, stellt uns den Engeln gleich, ist Vorgefühl himmlischen Glückes! So lehrtest Du mich, meine Mutter! Warum bin ich denn nicht glücklich? Warum treibt unwillkürliche Unruhe mich machtlos umher? Warum beklemmt meine Brust ein Wünschen, ein etwas Erwarten von der nächsten Minute, für das ich sogar nicht einen Namen habe? Könnte ich nur einmal recht Großes, recht Schweres für ihn vollbringen, ohne daß er ahnete, von wo es ausginge! Könnte ich ungesehen ein trübes Geschick, ein großes Unheil von seinem geliebten Haupte auf das meinige lenken, und dann in mich geschmiegt und still aus meinem Dunkel hinauf zu ihm blicken, und mich in seinem freudigen Lächeln sonnen! Dann, dünkt mich, wäre ich ruhig und glücklich für mein ganzes übriges Leben. – Der Abend war einer der schönsten meines Lebens. Sein Andenken wird mir wie ein strahlender Stern durch meine Seele gehen. - - Es wird still in mir.“ –

Diese Worte, welche Charlotte im überströmenden Gefühl als sechzehnjähriges Mädchen niederschrieb, waren keine bloßen Tagebuch-Phrasen, sie offenbarten ihr inneres Sein, sie waren nur der Ausdruck eines echt weiblichen Gemüthes, das für den Geliebten sich selber hinopfern will; in ihnen lag der Keim und Schlüssel ihrer späteren Handlungsweise.

Ihre Liebe blieb nicht unerwidert, Heinrich’s Geständniß seiner tiefen und innigen Neigung ließ nicht warten, und die Mutter segnete den Bund der beiden jungen Herzen.

Charlotte war Braut und die Braut eines Dichters, in dem sie die Verkörperung ihrer eigenen Ideale sah; mit schwärmerischer Begeisterung blickte sie zu dem Geliebten auf, in dem sie nicht nur den Mann, sondern das Talent, die göttliche Poesie selbst verehrte; war stolz auf ihn, auf seinen Ruf und bestrebte sich, seiner würdig zu werden, ihm das Leben nach allen Seiten hin angenehm zu gestalten, für alle seine Bedürfnisse zu sorgen, jede Unannehmlichkeit von ihm abzuwehren. Für ihn war ihr nichts zu schwer; sie begann sogar von nun an ein lebhaftes Interesse an den wirtschaftlichen Angelegenheiten zu nehmen, um einst als tüchtige Hausfrau allen ihren Pflichten zu genügen und ihren Platz vollkommen auszufüllen.

Die Nothwendigkeit, sich eine dauernde Stellung zu verschaffen, und die unabweisbare Sorge um das tägliche Brod führten seinerseits Stieglitz nach Berlin, wo sich ihm mannichfache Aussichten für die Zukunft eröffneten, da es ihm nicht an einflußreichen Freunden und Gönnern fehlte, die er zum Theil seinem täglich wachsenden literarischen Rufe zu verdanken hatte. Sein Talent wurde anerkannt, sein Name vielfach genannt; er wurde in manche geistreiche und interessante Kreise der Hauptstadt eingeführt, wo ihm ehrender Beifall, Anerkennung und Aufmunterung im reichsten Maße zu Theil wurden. Sein Vertrauen wuchs, sein Selbstbewußtsein hob sich und er hielt sich immer mehr berufen, als Dichter einen hervorragenden Platz einzunehmen.

An diesen Erfolgen nahm Charlotte den lebhaftesten Antheil, indem sie mit dem Geliebten seit ihrer Trennung in fortwährendem Briefwechsel stand, worin sie die ganze Fülle ihrer Liebe und ihre fortschreitende geistige Entwicklung offenbarte; sie zeigte sich ihm in jeder Beziehung ebenbürtig, indem sie rastlos bemüht war, ihre Kenntnisse zu erweitern, ihre Bildung der seinigen anzupassen. Durch dieses Streben und durch die Entfernung gewann ihre Liebe eine mehr geistige und übersinnliche Gestalt, die kleinen Schwächen und Mängel, die beim näheren Umgänge unausbleiblich bemerkt werden, verschwanden oder wurden nicht gesehen. Beide befanden sich in einer verzeihlichen Selbsttäuschung, welche vor dem Zusammenleben in der Ehe verschwinden mußte. Die Wirklichkeit mit ihrer rauhen Hand sollte früher oder später den Schleier zerreißen, den schönen, selbst gepflegten Wahn zerstören.

Ein unvorhergesehener Schlag beschleunigte die Verbindung Charlottens mit dem Mann ihrer Wahl; die heitere Schwester Julie, in deren Haus sie bisher gelebt, starb im Wochenbette, treu von ihr gepflegt. Stieglitz fühlte jetzt doppelt die Verpflichtung, der schutzlosen Braut ein Stütze zu werden, und ihr eine neue Heimath zu geben; deshalb bewarb er sich ernstlich um die Stelle eines Gymnasiallehrers und Custos an der königlichen Bibliothek zu Berlin, die er auch erhielt. Der Dichter hatte ein Amt und eilte jetzt nach Leipzig, um die Braut als Gattin heimzuführen. Unmittelbar nach der Trauung traten sie eine Reise durch den schönsten Theil von Deutschland an, um im poetischen Genusse der Natur ihr höchstes Glück zu feiern. Heinrich wünschte sich aus übertriebener Vorsicht mit einer Reisewaffe zu versehen, Charlotten spottete zwar über seine Furcht, aber sie ging selbst in ein Gewölbe und kaufte für ihn einen – Dolch.

Im Wagen saßen die Neuvermählten und rollten, begleitet von den Segenswünschen der Ihrigen, dahin. Die anfängliche Beklommenheit löste sich in süße, bräutliche Wonne auf, Charlotten’s noch hervorquellende Thränen, die dem Abschied galten, trockneten bald, und sie lächelte verschämt, wenn sie den geliebten Mann in ihrer Nähe sah, dem sie nun für immer angehörte. Das war eine schöne Fahrt durch das südliche Deutschland; in Frankfurt wurde Börne besucht, der damals eben erst durch seine liebenswürdigen Journalaufsätze bekannt geworden war, in Heidelberg die epheuumrankte Ruine bestiegen, der herrliche Rhein befahren und an seinen rebenbekränzten Hügeln geschwärmt.

Stieglitz genoß noch einmal, bevor er in das Joch des bürgerlichen Lebens trat, das ganze Glück der ungebundenen Freiheit an der Seite eines holden Weibes in vollen Zügen. Mit keckem Jugendmuthe überließ er sich der romantischen Neigung, über Berg und Thal in der Wildniß herumzuschweifen; er wurde noch einmal der kräftige, übermüthige, enthusiastische, schwarzlockige Student, wie ihn seine Charlotte gern hatte. Sie vergaß dabei die eigene Anstrengung und Uebermüdung, der ihr schwächerer Körper nicht gewachsen war, und begleitete ihn auf seinen oft beschwerlichen Fußwanderungen, welche er ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit unternahm. In seiner ungemessenen Lust trieb er es mit seinen romantischen Kreuz- und Querzügen so bunt, daß selbst der Kutscher, den er für die ganze Reise gemiethet hatte, ihm den Contract aufkündigte und davon lief.

Ungeachtet dieser kleinen Beschwerden und Abenteuer waren es die glücklichsten Zeiten, die sie verlebten, und wenn die Reisenden eine waldbewachsene Höhe erklommen, auf moosigem Steine ausruhten und zu ihren Füßen der blaue Strom, die gesegneten Thäler im Abendglanze schwammen, über ihrem Haupte die rosigen und goldenen Wolken zogen, da glaubten sie wohl, dem Himmel näher zu sein, und Charlotte stimmte eines ihrer schönsten Lieder mit herrlicher Stimme an, dem die vorüberziehenden Wanderer wie dem Gesange eines seligen Geistes lauschten.

Von diesem poetischen Ausfluge waren sie nach Berlin zu ihren gewöhnlichen Beschäftigungen zurückgekehrt. Der Dichter mußte die unleserlichen Hefte der Tertianer corrigiren, Unterricht ertheilen oder auf der Bibliothek bei seinen Büchern sitzen und Kataloge anfertigen, während Charlotte das kleine Hauswesen in Ordnung hielt. Sie war viel allein, da ihn seine tägliche Arbeit vom Hause fern hielt. In der Einsamkeit beschlich sie wohl noch zuweilen die alte Schwermuth, aber meist kämpfte sie siegreich dagegen an. Nur wenn Stieglitz verstimmt aus der Classe oder von der Bibliothek kam, wo die einförmige und anstrengende Thätigkeit ihn leicht anwiderte, theilte sich seine Verdrießlichkeit auch ihr mit. Hier und da fehlte es noch an dem Behagen in der neuen, etwas übereilten Einrichtung, das mäßige Einkommen legte ihnen manche Beschränkung auf. Als aber zum ersten Male durch ihre gemeinschaftlichen Anstrengungen das Feuer auf dem eigenen Heerde brannte und die junge Hausfrau in der weißen Küchenschürze davor stand, rosig von den angefachten Flammen angeglüht, da lachten Beide wie zwei glückliche Kinder.

Bald bildete sich auch um das ausgezeichnete Paar ein Kreis von hervorragenden Männern und liebenswürdigen Frauen, die sich ihnen enger anschlossen. Das geistige Leben der großen Stadt, der Verkehr mit verschiedenen literarischen Persönlichkeiten wirkte fördernd und belebend ein, wenn auch anderseitig der kritisch zersetzende Verstand, ein gewisses absolutes Absprechen und eine Ueberschwänglichkeit der ganzen sie umgebenden Atmosphäre nicht ohne allen Einfluß auf Beide blieb. Charlottens Hang zum Nachdenken, zu einer fast ausschließlich metaphysischen Richtung fand unter diesen Verhältnissen nur allzureiche Nahrung; sie sog wie eine Pflanze den Sauerstoff der Poesie begierig ein, ohne den zum Leben eben so notwendigen schwereren Stickstoff der Prosa als den unentbehrlichen Ballast des Daseins zuzulassen. Das aufreibende Element ließ die geistige Flamme heller glänzen, um sie desto schneller zu verzehren. Es war eine künstliche Gluth, die keine gesunde Entwickelung gestattete.

Stieglitz benutzte die ihm freie Zeit zu neuen Dichtungen, von

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_396.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)