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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

hatte sich, wie dies in seiner Natur lag, neuen Hoffnungen hingegeben, neue Lebenspläne gefaßt, die er nach seiner Gewohnheit Charlotten mitzutheilen gedachte. In einer romantisch gelegenen Bergstadt, die auch ihr immer gut gefallen, wollte er mit ihr von nun an leben und in dem Schoße der Natur für Beide Stärkung und Genesung suchen. Er war noch voll von diesen freundlichen Gedanken, die er mit dichterischer Phantasie sich unterwegs ausmalte, als er in das Zimmer trat, wo er seine Frau als Leiche fand.

Mit einem lauten Schrei stürzte er zu Boden.

Er erholte sich zwar, der furchtbare Schlag hatte ihn nicht getödtet, aber auch Charlottens schwärmerische Aussichten auf seine geistige Erhebung in Folge einer solchen Katastrophe nicht gerechtfertigt. Sie hatte sich über die Wirkungen ihres Opfertodes in Bezug auf ihn getäuscht; die von ihr erwartete Erlösung trat für ihn nicht ein. Stieglitz verließ Berlin und zog nach dem Süden, wo er in Venedig starb, ohne die Hoffnungen, welche er bei seinem ersten Auftreten als lyrischer Dichter erregt hatte, zu erfüllen.

Auf dem Sophienkirchhof in Berlin ruht unter dem schlichten Grabstein Charlotte Stieglitz, die Frau des Dichters, die aus übergroßer Liebe für ihn sich selbst den Tod gegeben hat.

Was die irdische Liebe geirrt und gefehlt, hat ihr die himmlische des milden, göttlichen Richters gewiß verziehen.

Max Ring.




Eine Seemannsfamilie.
Norddeutsches Küstenbild. Von A. v. Wickede.

Auf eine von allem regeren Verkehr abgeschnittene tiefsandige Landzunge, die sich an der norddeutschen Seeküste weit in die kurzrollenden Wellen der klaren Ostsee hineinerstreckt, wollen wir unsere Leser hier führen. Ein gar einsamer Platz, wie man solchen – außer in den entlegensten Thälern der Hochalpen – nicht leicht in ganz Deutschland wieder finden wird, ist es, auf dem eine Seemannsfamilie ihre Heimathsstätte errichtete. Fast eine Stunde weit entfernt liegt das große Stranddorf, in das diese Familie eingepfarrt ist, und viel näher wird man auch im ganzen Umkreise keine andere Wohnung finden können.

Trotz dieser Entfernung gehen im Winter die Kinder doch tagtäglich regelmäßig in die Schule des Dorfes und an Sonn- und Festtagen wird so leicht kein in der Heimath anwesendes Glied der Familie den Gottesdienst in der Kirche versäumen. Mag der Nordost auch noch so gewaltig auf dieser schmalen, ganz dem Ungestüm der Winde preisgegebenen Landzunge toben oder das dichteste Schneegestöber bis auf wenige Schritte den freien Blick versperren, deshalb versäumt weder der alte zweiundsiebzigjährige Großvater, noch das jüngste Enkelkind, ein blühendes, rothbackiges Mädchen von zehn Jahren, jemals die Kirche. Wer dieser Familie angehört, der ist gegen jede Ungunst der Witterung von frühester Kindheit an gekräftigt und wird die Verweichlichung so vieler Städter hierin kaum begreifen können. Sturmwind oder Schneegestöber, glühende Sonnenhitze oder eisige Kälte macht diesen abgehärteten Menschen hier wenig aus und sie lassen sich in ihren Gängen und Beschäftigungen durch solche Hindernisse nicht stören. Versäumt aber wirklich Jemand den sonntäglichen Gottesdienst, so liest er in der Zeit desselben sicherlich in der alten, großgedruckten Bibel mit dem abgenutzten, schwarzen Ledereinband, die schon über hundert Jahre ein hoch in Ehren gehaltenes Besitzthum der Familie war. Wahre Gottesfurcht ohne jegliche Heuchelei ist hier heimisch und die Kinder beschließen stets ihr Tagewerk mit dem lauten Beten des Abendsegens. Einen gleich frommen Sinn wird man übrigens in den meisten deutschen Seemannsfamilien sowohl an der Ost- wie Nordseeküste finden.

Nur ein schmaler Fußweg, der kaum für einen niedrigen Bauernkarren fahrbar sein dürfte, führt durch weite Tannenwaldungen aus dem Kirchdorfe zu dieser menschlichen Wohnstätte. Kaum dürfte ein fremder Wanderer – wenn überhaupt sich ein solcher jemals in diese entlegene Gegend verirren sollte – hier noch eine Ansiedelung von Menschen erwarten, so still und öde ist Alles ringsumher. Seitdem das Gehöft hier erbaut wurde, hat nie ein Wagen davor gehalten oder ein Pferdehuf den dahinführenden Pfad betreten. Was nicht auf den Schultern kräftiger Menschen hierher getragen wird, das findet seinen Platz in dem leichten, aber dabei stark gebauten Segelboote, was hier bei jeder Gelegenheit die Stelle des Wagens vertreten muß und in dessen sicherer Handhabung alle Familienglieder, gleichviel, ob Mann oder Weib, von frühster Kindheit an geübt werden. Von zwei Seiten umgibt das offene Meer die kleine Landzunge, auf der das Wohnhaus, mit dem niedrigen Viehstall daneben, erbaut wurde, während landwärts ein mit Strandhafer dünn bewachsener Dünenhügel das Ganze von den Waldungen trennt.

Glück und Zufriedenheit, wie solche in dem elegantesten Hause der glänzendsten Residenz nicht größer gefunden werden könnten, haben in diesem Gehöfte ihren Sitz aufgeschlagen. Schon das Aeußere des Wohnhauses zeigt eine gewisse Wohlhabenheit des Besitzers. Es ist zwar nur ein Stockwerk hoch, um so den heftigen Stürmen besser Widerstand leisten zu können, aber lang und ziemlich geräumig. Man sieht dem ganzen Gebäude sogleich an, daß es anfänglich kleiner war, allmählich aber, wie die Familie sich mehr vergrößerte, auch wiederholt einen neuen Anbau erhielt, um allen Gliedern derselben ein Obdach gewähren zu können. Drei Schornsteine dampfen von dem rothen Ziegeldach, das, je nach seinem Alter, sich schon in verschiedenen Färbungen zeigt, und zwei Hausthüren führen in das Innere.

Von den Söhnen dieser Familie haben drei sich bereits verheirathet und eine eigene Familie gegründet. Die alte Heimath war ihnen so an das Herz gewachsen, daß sie es vorzogen, dem Vaterhause stets einen neuen Anbau zu geben, statt sich anderswo niederzulassen.

Das ganze Wohnhaus und die Ställe daneben haben einen Anstrich von hellgrauer Farbe, während die vielen Ständer und Balken in den Wänden mit braunrothem Theer, die Thüren, Fensterrahmen und Läden aber mit grüner Oelfarbe angestrichen sind. Alljährlich zwei Mal wird dieser Anstrich, den der alte Famlienvater immer eigenhändig besorgt, regelmäßig erneuert und glänzt daher stets in den frischesten Farben, wie man überhaupt an dem ganzen Gehöfte nirgends die mindeste Spur von irgend einer Vernachlässigung oder Unordnung entdecken wird. Wie auf seinem Schiffe auf der See, so wird der tüchtige Seemann in seinem Hause auf dem Lande nirgends Unordnung und Verfall dulden. So etwas bessert er sich gewöhnlich selbst mit geschickter Hand aus, denn ein vielerfahrener Seemann pflegt fast immer dem Schiffszimmermanne die Handgriffe abgelernt zu haben, und Pinsel und Farbetopf ebenfalls geschickt zu gebrauchen.

Eine ziemlich hohe und starke Hecke von Weißdorn umgibt Haus, Garten und Hof und verleiht einigen Schutz gegen die heftigen Winde, die gar viele Tage im Jahre ihr Spiel hier treiben. Hohe Obstbäume trägt der Garten zwar nicht, denn der Boden ist für dieselben hier zu dürftig und der Wind zu heftig, aber Kohl, Kartoffeln und andere gewöhnliche Gemüse gedeihen vortrefflich in ihm und an den Seiten finden immer noch einige Blumenbeete Platz. Mit großer Sorgfalt ist dieser Garten angelegt und fruchtbare Erde aus der Ferne herbeigeholt worden, den Sandboden mehr zu verbessern. Schiffe, die Getreide nach Bordeaux bringen und dort nicht immer wieder volle Ladung bekommen können, pflegen mitunter Gartenerde als Ballast einzunehmen und nach dem heimischen Hafen zurück zu führen. Durch solche französische Erde ist theilweise auch dieser Garten auf der entlegensten Landzunge der norddeutschen Ostseeküste verbessert worden, während die Breter im Hause auf schwedischen Sägemühlen geschnitten, die Klinkersteine – mit denen der Fußboden ausgelegt und die Oefen erbaut sind – aber in holländischen Ziegeleien gebrannt wurden. Hier an diesen Seeküsten erscheint den Bewohnern das europäische Küstenland, was sie auf ihren Schiffen erreichen können, ungleich näher, als eine Binnenstadt, die vielleicht nur eine Meile landeinwärts davon liegt. Es gibt gar manche alte Schiffer, die alle Meere der Welt vielfach durchkreuzten, in ihrem ganzen Leben aber noch niemals nur einige Meilen landeinwärts gekommen sind. So auch die so eben geschilderte Familie, die es für schwieriger halten würde, mancherlei Bedürfnisse nur einige Meilen weit aus dem inneren Lande, als aus England, Holland, Frankreich und Schweden zu erhalten.

Schildern wir nun, bevor wir das Innere dieses so freundlich und behäbig aussehenden Hauses betreten, zuerst die am meisten hervortretenden Glieder der Familie, die es bewohnt. Zuerst den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_411.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)