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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 29. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der erste Fall im neuen Amte.
Vom Verfasser der „neuen deutschen Zeitbilder.“
(Fortsetzung.)


Ein Verdacht gegen den Ehemann der Verstorbenen mußte unter den angeführten Umständen mindestens angeregt sein. Bei mir um so mehr, als ich immer wieder an den Fremden in dem Wirthshause an der hannoverschen Grenze denken mußte.

Die Leiche befand sich in einer auf den Hof führenden Kammer des Hauses.

Der Arzt hatte nur kurze Zeit gebraucht, mich herbeizurufen. Der Kreischirurg hatte unterdeß den Mahler in der Stube zu halten gewußt. Wie er nachher mittheilte, hatte Mahler sich zwar äußerlich ruhig gezeigt, ihn aber doch zweimal mit einer Gleichgültigkeit, die desto verdächtiger erscheinen mußte, gefragt, ob nichts Verdächtiges in der Leiche aufgefunden sei. Der Chirurg hatte es verneint.

Ich vergesse nie den Moment, als wir in die Stube eintraten. Als die Thür sich öffnete, fiel mein erster Blick auf den Fremden in jenem hannoverschen Wirthshause. Ich erkannte ihn auf der Stelle. Es war der Fleischermeister Mahler. Er stand am Fenster, und wandte sich nach der Thür, als diese geöffnet wurde.

Ich hatte absichtlich den Kreisphysikus zuerst eintreten lassen; ihm folgte ich. Ich konnte so besser beobachten.

Mahler sah mit unruhig forschendem Blick den zurückkehrenden Arzt an.

Dann sah er auf einmal mich.

Sein Gesicht wurde kreideweiß. Er griff mit der einen Hand nach seiner Brust, als wenn er den Tod dort fühle. Mit der andern faßte er nach der Fensterbank; er mußte sich fest halten, wollte er nicht umfallen.

Hinter mir traten die Beamten des Criminalgerichtes ein, die er kannte. Es konnte ihm auch nicht mehr zweifelhaft sein, wer ich sei. Er warf einen Blick fürchterlicher Wuth auf die Leiche, die mitten in der Stube auf einem Tische lag. Es war der Blick des Mörders, der seinem Verräther tödtliche, vernichtende Rache droht. So psychologisch merkwürdig und doch so psychologisch wahr!

Das Alles hatte keine drei Secunden gedauert. Ich hatte in diesen drei Secunden eine schreckliche Ueberzeugung gewonnen. Sie drückte mich doppelt, denn sie war meine menschliche Ueberzeugung; ich mußte mich hüten, sie dem Criminalrichter aufzudrängen. Das hält schwer.

Indeß, Mahler war kein gewöhnlicher, wenigstens kein schwacher, charakterloser Verbrecher. Er hatte sich in einer Secunde gefaßt. Sein Gesicht war nur noch weiß; bleich war es immer. Aber er stand aufrecht, fest und er sah mit seinem gewöhnlichen melancholischen Blicke auf die Leiche, auf uns. Ich mußte ihm das gerichtliche Einschreiten und dessen Grund ankündigen.

„Nach der Anzeige des Kreisphysikus haben in der Leiche Ihrer Frau sich Spuren gezeigt, die den Verdacht einer Vergiftung begründen. Dadurch wird die gerichtliche Section der Leiche und weitere gerichtliche Untersuchung, auch Ihre Vernehmung nöthig. Sie werden anwesend bleiben und über Alles, wonach ich Sie befragen werde, vollständige Auskunft geben.“

Er hatte sich einmal gefaßt, und blieb vollkommen gefaßt. Keine Miene seines Gesichts veränderte, kein Glied seines Körpers bewegte sich. Er blieb nur bleich und melancholisch, wie ich ihn schon in jenem Wirthshause gesehen hatte.

Ich begann die gerichtliche Handlung mit der äußern Besichtigung der Leiche, und ließ dann die Oeffnung derselben fortsetzen. Ueber die Vergiftung blieb kein Zweifel. Schlund, Magen und Darmcanal zeigten sich in einer Weise entzündet, selbst brandig, die bewies, daß die Verstorbene eine ungewöhnliche, wie der Arzt sich ausdrückte, eine „unsinnige“ Masse von Gift müsse genossen haben. Auch die Species des genossenen Giftes ließ sich schon bei der Section selbst erkennen. In der Regel kann sie bei mineralischen Vergiftungen erst durch die künstliche Anwendung chemischer Reagentien dargestellt werden. Allein in dem Körper der Frau fand sich das erkennbare Gift offen vor. Bei seiner Auffindung verrieth Mahler noch einmal die ungeheure Angst seines Innern. In dem Magen hatten sich mehrere feste Körnchen vorgefunden. Wir besahen sie genau, aber schweigend. Schon dies war ihm unheimlich; sein Blick verlor den melancholischen Eindruck, und schweifte desto unsicherer umher.

Um unseren, meist nur durch Gebehrden ausgedrückten Verdacht, daß die Körnchen reiner Arsenik seien, zu verstärken, ließ ich eine brennende Kohle herbeibringen; auf die wurde eins der Körnchen gelegt; in demselben Augenblicke entwickelte sich der schneeweiße Dampf und der bekannte Knoblauchgeruch des Arseniks. Unsere Mienen verriethen unsere vollständige Ueberzeugung,

Mahler hatte unsere Operationen mit der gespanntesten Aufmerksamkeit verfolgt. Als er bemerkte, wie wir mit jener Ueberzeugung uns ansahen, erschien er wieder einen Augenblick innerlich vernichtet. Nur durch ein gewaltsames Aufschlucken konnte er sich Luft verschaffen.

Es war schon dunkel geworden, als die vollständige Obduction der Leiche beendigt war. Das zu Protokoll gegebene Gutachten der Aerzte sprach entschieden als Ursache des Todes der Ehefrau

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_413.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)