Seite:Die Gartenlaube (1858) 431.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

stellen darf. Glatt, schmuck und wie geleckt[1] fleht jetzt das Ganze vor uns, wie ein Soldat auf der Parade, und von all’ den gewaltigen Vorrichtungen, welche die Hauptarbeit erforderte – von all’ diesen Schuppen, Scheunen, Schienenhaufen, Werkstätten, Dampfmaschinen und Barracken, von all’ dem bunten und doch arbeitsamen, chaotisch ausschauenden und doch geordneten Treiben, das einst auf dieser Stätte wogte – ist kaum eine Spur noch übrig! Und doch ist gerade das Werden das Interessanteste, denn es ist das Leben; hinter dem Gewordenen, Fertigen lauert, wie ein blasses, unabwendbares Fatum, die Vernichtung. Auch die Weichselbrücke wird ihr zum Raube werden, denn sie ist ja das sichere Loos alles Irdischen; aber Jahrhunderte werden vergehen, ehe diese Katastrophe eintritt, Jahrhunderte lang wird sie das Staunen und die Bewunderung der Welt erregen; denn was so laut und eindringlich aus diesen gigantischen Eisenstäben, diesen kolossalen Pfeilermauern zur Jetzt- wie zur Nachwelt spricht, das ist die allbezwingende, an Alles sich wagende, vor Nichts zurückbebende Menschenkraft; ist jener Geist, der aus den egyptischen Pyramiden und den Werken der stolzen Roma spricht; jener Geist der Gottähnlichkeit im Menschen: der Geist des Ewigen in der Endlichkeit. Und so wird denn auch Dirschau’s Weichselbrücke ein ewiges Werk sein; denn seine Kunde wird dann noch leben, wenn vielleicht nach einem Jahrtausend kaum noch die verwitterten Trümmer des letzten Pfeilers aus dem Strome ragen![2]

G. J.


Mutterpflichten und Muttersünden.
Von einem Lehrer und Erzieher.
Muttersünden.


Wenn das Muttergefühl mit seinem ersten Entzücken den weiblichen Busen durchbebt, dann erheben sich wohl in jedem Mutterherzen heiße Wünsche für des Kindes Glück, Ahnungen von dem, was die Mutter sein kann, sein soll, und fromme Entschließungen, was die Mutter dem Kinde sein und werden will. Ein Bild malt sie sich aus voll Lust und Liebe. – Das ist das Werk der Natur, o würde nur ein Theil von diesen Phantasien Wirklichkeit! Allein Gewohnheit schwächt die Freude ab. Bald das tägliche Geschäft der thätigen Hausfrau, bald die Ansprüche des geselligen Lebens, die Convenienzen und die zerstreuenden Genüsse desselben verwischen jenen ersten Eindruck einiger heiligen Momente, entfremden die Mutter den Kindern, und dann ist das bedauernswerthe Verhältniß erreicht, welches leider zur Zeit immer mehr „modern“ zu werden und zum bon ton zu gehören scheint.

Nachdem die jungen Mädchen aus den Töchterschulen oder Töchterpensionaten entlassen sind, in welchen sie mit wenigen Ausnahmen einzig und allein für das „Erscheinen“ zugestutzt werden, so geht von Stund an ihr und ihrer eitlen Mütter Streben vornehmlich dahin, „Effect zu machen“ und zu „erobern.“ Zu dem Ende muß ihre „Erziehung“ hin und wieder noch „vollendet“ werden. Piano spielen und Singen, Tanzen und Malen, Unterhaltung führen, Putzen und Coquettiren sind unvermeidliche Kenntnisse und Fertigkeiten. Wehe dem Mädchen, dem sie fehlen! Ihr Loos ist Verachtung aller ihrer Schwestern. In minder anspruchsvollen Kreisen muß das erwachsene Mädchen eine Zeit lang „den Haushalt erlernen.“ Wie und wo aber wird das junge Weib für den Mutterberuf vorbereitet? – Unvorbereitet und mit Werth und Wesen dieser natürlichsten aller weiblichen Berufspflichten unbekannt, treten die meisten in den Ehestand, und glücklich sind noch die Kinder zu schätzen, deren Mutter sich durch ihr natürliches Gefühl leiten läßt. – Wir wollen nicht weiblichen Berufsanstalten („Universitäten“) das Wort reden, sie sind gefährlich. Aber für eine unabweisbare Pflicht müssen wir es erklären, daß das Mädchen sich auf den Mutterberuf vorbereite. Die Familie, das deutsche Haus, der Kinderkreis, die Kinderstube sind die geeignetsten Stätten, wo unter Aufsicht und Leitung einer gebildeten und verständigen Mutter das Mädchen sich vorbereiten kann, und einer solchen Mutter Lehre und Beispiel muß die reichen natürlichen Anlagen des Weibes zu duftigen Blüthen entfalten. – Auch unter den Erziehungsschriften gibt es Bücher, die im zugänglichen Gewände das Mädchen vorzubereiten vermögen, einige unter ihnen aus weiblicher Feder. – Wie selbst die Schule schon diesen weiblichen Beruf nicht unbeachtet lassen darf, hoffen wir später darzuthun. – Wenn aber Männer von wissenschaftlicher Bildung und pädagogischem Takte Vorlesungen hielten, und die Zeitschriften ihre Spalten diesem Gegenstande mehr öffneten, so wären auch damit mindestens Anregungen gegeben.

Eine an Genuß und Vergnügen gewöhnte Mutter, die schon seit ihrem zwölften Jahre die „Dame“ gespielt, alle Moden mit durchgemacht, von allen Freudenbechern genascht, thés dansants und Bälle besucht und die Huldigungen (pour ainsi dire) der Männerwelt empfangen hat; eine solche Mutter ist für die höchste und natürlichste Freude des Weibes, für die Mutterfreude verdorben. Mag sie eine solche bei Gelegenheiten affectiren, es ist rein äußerer Schein, wie Alles, was man an ihr sieht. Die tiefe, innige, beseligende, zum höchsten Opfer begeisternde Mutterfreude, Mutterliebe – wie sie jedem fühlenden Wesen der Natur eigen ist – kennt sie nicht, als aus Romanen; sie ist ihr eben auch nur romantisch; wirklich, selbst empfunden wird sie nicht. – Tritt sie in die Kinderstube hinein, da blüht ihr nur Verdruß statt Freude. Das Geräusch, das fröhliche Tummeln, das Weinen und das Jauchzen können ihre „zarten Nerven nicht vertragen“ und ihre Roben-Crinoline und eine ganze Reihe von Putzsachen können das Nahen der Kinder eben so wenig vertragen. Wenn die Aerzte dann klagen über Verwahrlosung der Körpers, so haben wir Erzieher noch weit mehr über geistige und sittliche Verwahrlosung zu klagen.

Wärterinnen und Dienstboten werden so oft mißachtet; ihr Betragen, ihre Sittlichkeit, ihre mangelhafte Bildung so sehr gerügt. Schränke, Keller und Cassen sind sorgfältig vor ihnen verschlossen. Die Kinder aber, den köstlichsten Schatz der Eltern, vertraut man ihnen unbedenklich an. – – Wir erachten es für unerläßliche Pflicht jeder Mutter, sich ihren Kindern ganz zu weihen, einen Theil ihrer Vergnügungen und Genüsse ihnen zu opfern, unter ihnen ihren Thron aufzuschlagen, ihre kleinen Freuden und Leiden zu theilen, die Eindrücke zu überwachen, welche die jungen Seelen empfangen, und mit ängstlicher Sorgfalt alle, auch die kleinsten Regungen ihres seelischen Lebens zu beobachten. Das Vertrauen und die ungeheuchelte Liebe der Kinder wird sie belohnen, jeder dazu verwandte Tag ihr höhere Befriedigung gewähren, als ein Tag des rauschendsten Genusses.

Die meisten Eltern und viele Erzieher wollen mit Worten erziehen. Sie ertheilen Befehle und Verhaltungsregeln, sie predigen und moralisiren, sie warnen, drohen und strafen fast ausschließlich mit Worten, mit Phrasen. Das ist eine traurige Täuschung. Erziehen heißt handeln. Die Thaten des Erziehers vollbringen die Erziehung und durch sie erhalten seine Worte erst Werth und Bedeutung. Wir müssen mehrfach hierauf zurückkommen.

Die erziehende Mutter verlangt Resignation Die Kinder sollen sich etwas versagen können. Sehr schön! Sie befiehlt, sie

  1. Das schmucke, frische Aussehen rührt namentlich auch von dem rothen Oelanstrich des ganzen Gitterwerks her, durch welchen das Eisen zugleich vor dem Rosten geschützt wird, während wieder das sämmtliche Holzwerk der Brücke zur besseren Conservirung mit Kupfervitriol getränkt ist und die Eisenbahngestänge mit Eisenblech beschlagen sind, um einen Brand zu verhüten, der etwa durch das Herausfallen von Cokes aus den über die Brücke sausenden Locomotiven entstehen könnte.
  2. Zum Schluß dieses Artikels sei noch angeführt, daß, so neu auch die Erfindung und Anwendung der Gitterbrücken ist – die beiden auf der Ostbahn (die Dirschauer und die kleinere bei Marienburg) angelegten sind bis jetzt noch die einzigen im preußischen Staate, und dürften auch im übrigen Deutschland nur wenig Colleginnen haben – man doch bereits die Erfahrung gemacht hat, daß sie sich durch Sicherheit beim Gebrauche und verhältnißmäßige Billigkeit der Herstellung vor den gewöhnlichen Brücken vortheilhaft auszeichnen. Aus diesem Grunde hat das königlich preußische Ministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten – in dessen Hand die Leitung der Staatseisenbahnen und die Oberaufsicht über die Privatbahnen dieses Landes liegt – denn auch kürzlich sich dahin entschieden, in der Regel für diejenigen Fälle, wo bei Anlage gewöhnlicher Brücken die Errichtung eines oder mehrerer Strompfeiler erforderlich wäre, Gitterbrücken, sowohl bei dem Neubau von Eisenbahnen als auch bei dem Umbau von Brücken auf schon bestehenden Bahnen, anzuwenden. Dieser Vorgang des das größte Eisenbahnnetz habenden deutschen Staates dürfte auch anderwärts in Deutschland baldige Nachahmung finden.      D. Verf.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_431.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)