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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

bot um so mehr die beste Gelegenheit, als sich einige recht hübsche Mädchen unter derselben befanden, die zwar begierig waren, das Schiff und die Türken zu sehen, aber vor letzteren gar zu große Angst hatten. Nach einigen Aufmunterungen der österreichischen Officiere, erstiegen sie alsbald die hohe Fallreepstreppe, und betraten mit verwunderten Augen das geräumige Deck. Der türkische Commandant empfing auch Alle recht zuvorkommend, nahm besonders die Damen, welche er genau musterte, freundlich auf, und befahl sofort einem sehr schmutzigen Officier, der aber einige Medaillen auf seiner Brust trug, die Gesellschaft im Schiffe herumzuführen.

Obwohl die große Anzahl der Truppen, die in den Batterien, im Deck und in den untern Räumen eng zusammengedrängt war, und die weite Reise in schlechtem Wetter einige Entschuldigungsgründe sind, so hätten die Fahrzeuge, besonders in den untern vollkommen dunklen Räumen etwas reiner, jedenfalls aber ordentlicher sein können. Aber da war Alles schmutzig und unordentlich, nirgends ein rechtes Zusammengreifen, wie es besonders auf einem Kriegsschiffe sein soll; und wie das Schiff, so die Matrosen. – Freilich war es der Tag nach der Landung und unmittelbar vor der Abreise. Man putzte, fegte und malte zwar überall herum, doch sah es noch schmierig genug aus. Ein Fahrzeug in allen seinen Theilen rein und ordentlich zu halten, ist eben keine leichte Sache, und die Türken werden wohl noch einige Zeit brauchen, bevor sie die ihrigen mit denen fremder Nationen vergleichen können.

Nachdem man sich das Schiff zur Befriedigung der neugierigen Mädchen genugsam angesehen, und Treppen auf. Treppen ab gestiegen war, ließ der freundliche Commandant in seiner geräumigen Cajüte den bei einem Besuche bei einem Türken unausbleiblichen schwarzen Kaffee serviren, und Tschibuks, mit gutem Tabak gestopft und mit kostbaren Ambraspitzen, wurden herumgereicht. Die Cajüte war reinlicher als das Schiff, aber mit keiner besondern Eleganz und ohne Geschmack eingerichtet. An den Wänden bunt gemalte Verse aus dem Koran in goldenen Rahmen, ringsum Divans und echte Smyrnateppiche auf dem Boden.

Nachdem der Kaffee getrunken, die Tschibuks geschmaucht und Jedem zum Abschiede die Hand gereicht worden war, verließ man das Schiff. Am Morgen des 26. mit Tagesanbruch lichteten beide Fahrzeuge die Anker und steuerten mit der Lucia aus der Bucht. Und der Achilles? Blieb da und begab sich wieder an seinen gewöhnlichen Ankerplatz im obern Theile der Bucht!

Ruhig, still und öde wurde es wieder hier, wo noch wenige Stunden vorher so reges Leben geherrscht hatte. Die Officiere des Achilles langweilten sich wieder, wie schon viele Monate vorher. Nichts zeigte mehr von den geschilderten Vorfällen, als ein Theil des türkischen Lagers am südlichen Ende der Bucht, wo einige wenige Kranke zurückgeblieben waren. Die Truppen hatten sich bereits in der Richtung gegen Gradacz und Trebigne in Marsch gesetzt.

Es kehrte die vorige Ruhe und der vorige Friede, höchstens durch das Geschrei der Seemöven unterbrochen, wieder über die Gewässer der Bucht, bis neuerdings in den ersten Tagen des April die Fregatte Feizi Bahri mit dem Gouverneur von Bosnien, Kiani Pascha und mit dem türkischen Commissair für diese Provinz, Kemal Effendi, am Bord, und dann später am 9. Mai wieder das Linienschiff Peïki Zaffer und der Seetransportdampfer Silistria, abermals mit 3500 Mann Landungstruppen unter Hassan Pascha, hier anlangten. Seit dieser letzten Ausschiffung aber scheint die Bucht an Wichtigkeit nicht mehr verlieren zu wollen, und von Tag zu Tag hört man neue, aber doch verschiedene Gerüchte von ernsten, blutigen Vorgängen an den türkischen Grenzen von Montenegro, und wieder spricht man von neuen bedeutenden Truppenmassen, die hier ausgeschifft werden sollen. Hoffentlich kann ich Ihnen in den nächsten Tagen Interessantes mittheilen.





Blätter und Blüthen.



Aus meiner Pilgertasche. Von Freiherrn v. Biedenfeld. Nr. 2. Herr von Senkenberg, der von seinem kleinen Gute bei Pforzheim oft in mein väterliches“ Haus kam und durch seine Frau mit uns in ferner Verwandtschaft stand, hatte mich für einige Tage nach Baden-Baden mitgenommen, wo damals zu dem jetzigen Glanz und Rumor noch gar viel fehlte. Ich war regierender Tertianer und wurde von drei Leidenschaften beherrscht: Vögel schießen und Schmetterlinge schonend fangen, daß mein Vater solche ganz naturgetreu malen konnte; Flöte spielen auf dem schönen Instrumente, welches Kammermusikus Ehrhardt in Karlsruhe für meine einzige linke Hand erfunden und gemacht hatte, und in irgend einem einsamen Winkel Schiller’s, Hölty’s, Salis’, Matthison’s Gedichte mit wahrer Andacht lesen. Ich liebte das einsame Herumstreichen, gewöhnlich ausgerüstet mit Allem zu abwechselnder Pflege dieser drei Passionen. Der alte Waidmann hatte meiner Schießlust ein würdiges Ziel angewiesen: ein dichtes anmuthiges Hölzchen am Abhange des Schloßberges, worin eine ganze Familie von Dorndrehern (Lanius minor) hauste und mit Vertilgung aller kleinen Sänger des Waldes drohte. Die Jagdlust gegen diese Wütheriche spiegelte sich in lebendigen und bilderreichen Träumen, erweckte mich vor Tagesanbruch, trieb mich unwiderstehlich hinaus. Die Jagd fiel äußerst glänzend aus: nach einigen Stunden des Rennens, Schießens, Laufens hatte ich drei der Mörder in der Tasche und fühlte mich unendlich glücklich in allerlei wachenden Träumen, Ich lehnte die Flinte an eine Eiche, ließ mich daneben auf einer Rasenbank nieder, blies „Freut euch des Lebens“ und „Guter Mond, du gehst so stille“ auf meiner Flöte, vertiefte mich alsdann in Schiller’s Gedichte und schlummerte am Ende der Götter Griechenlands selig ein.

Plötzlich weckte mich eine rauhe Stimme aus den süßesten Träumen, erschrocken fuhr ich empor, verstand noch halb im Dusel die Worte: „Aha, Herr Wilddieb, haben wir Dich!“ und vor mir stand in grauer Pikesche und mit grauer Mütze ein wohlbeleibter, stattlicher Mann von Mittelgröße, dessen Auge aus dem runden Gesicht auf mich herab wetterleuchtete, während seine Rechte mein Gewehr erfaßt hatte. Unwillkürlich fuhr ich danach, es ihm zu entreißen, aber er zog es rasch zurück und grollte:

„Damit ist’s nichts, junger Herr, Wilddieben nimmt man ihre Gewehre.“

„Ich bin kein Wilddieb, ich habe nur ein paar Dorndreher geschossen.“

„Dorndreher? Was ist denn das für ein Wild?“

„Da liegen sie ja, sehen Sie selbst,“

Beim Anblick der kleinen Vögel schnurrte er mich noch zorniger an:

„Wie, Bösewicht! Wir danken dem lieben Gott, daß er uns den Busch mit Singvögeln bevölkert hat, und Du läufst herum, die lieben Thierchen zu morden.“

„Die Dorndreher sind ja keine Singvögel –“

„Was sind sie denn anders?“

„Raubvögel, welche unsere kleinen Singvögel fressen, wenn man nicht sie selbst vertilgt. Da sagte mir nun der alte Förster, ich sollte früh Morgens hierher gehen und die Dorndreherbrut wegschießen, also darf man mir meine Flinte nicht nehmen.“

„Da hast Du sie wieder, ich wollte Dich nur erschrecken. Der alte Förster ist ein kluger Mann und Du scheinst ein braver Junge zu sein Aber wem gehörst Du?“

Ich nannte ihm meinen Namen.

„Dein Vater ist also der Major und Kammerherr in Karlsruhe?“

„Ja!“

„Das ist mir lieb, wir sind recht gute Freunde. Aber sage mir, wo steckt denn der Bursche, der Dir die Flinte ladet?“

„Ich lade sie selbst.“

„Du ladest sie selbst, armer Junge? Mit einem Arme?[1] Nun, das laß mich einmal sehen.“

Nicht auszudrücken vermag ich, wie wunderbar sich indessen seine Blicke, seine Züge, seine Stimme verändert hatten. Unaussprechlich rührend klang das „armer Junge!“ zwischen den Worten des heitern Wohlwollens hervor, sein Auge ruhte so wehmüthig und liebevoll aus mir, sogar die flachen silbernen Ohrringe, welche mir anfangs so seltsam vorgekommen, erhöhten nun den eigenthümlichen Eindruck dieser herzgewinnenden Erscheinung, – Mechanisch lud ich das Gewehr, wie gewöhnlich, sehr schnell. Er sah mir eifrig zu.

„Sehr gut! Und wie machst Du es mit dem Schießen?“

Ich zeigte ihm auch diese einfache Manipulation.

„Wer hat Dir das Alles gelehrt?“

„Niemand, ich habe es von selbst so gelernt.“

„Merkwürdig! Und dabei wollen die gelehrten Herren dem Menschen den Instinct absprechen. Hast Du, außer Deinen Dorndrehern, auch schon anderes Wild geschossen?“

„Ja, Hasen und Hühner und Wachteln.“

„Du bist ein ganzer Kerl! Aber,“ fuhr er lachend fort, „was thust Du denn mit der Flöte hier? Wartest Du auf einen Cameraden, der Dir was vorblasen soll, wenn Du da in dem Buche studirst?“

„Ich blase mir selbst etwas vor, es klingt so hübsch in den Büschen und Bäumen.“

„Du selbst, mit einer Hand?“

Er wendete und betrachtete die Flöte nach allen Seiten mit tiefem Sinnen, schüttelte zweifelnd mit dem Kopfe und reichte mir die Flöte mit den Worten:

„Seltsam! So etwas muß man selbst sehen, wenn man es glauben soll. Thu’ mir den Gefallen und blase mir eins, was Dir gerade einfällt.“

Mir fiel das „Blühe, liebes Veilchen“ ein und ich blies es mit der vollsten mir angeborenen Wärme. Er schien ebenfalls von dieser einfachen Melodie tief ergriffen zu sein, nahm mich am Kopfe, küßte mich auf die Stirn und sagte herzlichst:

„Nun, ein Veilchen bist Du eben nicht, aber blühe so fort, Du glücklicher Junge!“ Von der Rührung sich aufraffend, fuhr er hastig fort:

„Du Tausendkünstler, wie geht es denn mit dem Schreiben?“

  1. Herr v. Biedenfeld hat nur einen Arm. D. Redact.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_435.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)