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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Bitte, nicht blos an sich zu denken, sondern auch das Dasein mehrerer Austernfreunde zu berücksichtigen. Da er uns nun nicht zumuthen konnte, ihm zuzusehen, wir aber auch nicht verlangen konnten, daß er uns die Austern öffne und zusehe, so wurde beschlossen, jedem Mann ein Ei und dem alten Schweppermann zwei, d. h. jeder von uns erhielt nach der Reihe eine Auster und der Oeffner alle Mal zwei, was sich freilich sehr in die Länge zu ziehen drohte; da jedoch noch ein Helgoländer mit „schlachten“ half und ich die meinigen mit dem Bleistiftmesser sehr leicht öffnete, so ging es schneller und das Schlucken war bald allgemein.

Auf dem Austernfang bei Helgoland.

Ein Räthsel ist es, wie die Austern eigentlich in einem solchen Klumpen zusammen leben können, worin es doch den Mittelsten total unmöglich sein muß, ihre Schalen zu öffnen und Wasser und Nahrung zu erhalten, denn einige zwanzig Austern, die wir auseinander schlugen, hatten ganz die Festigkeit und Dichte eines Mauerklumpens. Freilich erzählt man von Kröten, die in Sandsteinen lebend gefunden worden sein sollen, und was eine Kröte im eingesperrten Zustande leisten kann, wird eine Auster wohl auch zu Stande bringen. Es müssen aber auf einer solchen Bank eine große Masse dieser Thiere übereinander gemauert sein, da das Wasser auf der Bank an 80 Fuß und neben der Bank 18–20 Fuß tiefer ist, welche Stärke also das Austernlager haben soll, wie ein Helgoländer sagte[1].

  1. Ueber die Austern und deren Fang veröffentlicht Julius Althaus in einer der letzten Nummern des Prutz’schen Museums einen Artikel, aus dem wir zur Ergänzung des Obigen einige Mittheilungen entnehmen.      Die Redaction.
    „Unter den Muschelthieren,“ sagt Althaus, „sind die Austern am allgemeinsten bekannt und wegen ihres pikanten Geschmacks geschätzt. Man findet die Austern gewöhnlich in großen Mengen zusammen; sie kitten sich durch Kalk und Sand an unterseeische Gegenstände, Felsen oder Thiere der eigenen Art fest. Die ungeheueren Dimensionen dieser Austernbänke, welche trotz des enormen Verbrauchs, der alljährlich davon gemacht wird, unerschöpflich sind, erscheinen nicht auffallend, wenn man die Art der Fortpflanzung dieser Thiere in’s Auge faßt. Die Austern sind nämlich hermaphroditisch, d. h. dasselbe Thier erzeugt Eier und Samenfäden.[450] Wenn die Eier reif sind, werden sie auch befruchtet und als Laich, der eine weißliche Flüssigkeit bildet, ausgestoßen. Millionen von Eiern werden durch einen kleberigen Stoff, den das Thier in der Brunftzeit absondert, in eine kugelige Maste vereinigt, und heften sich an einem Orte fest, wo sie sich ungestört entwickeln können. Man findet in älteren zoologischen Werken die Notiz, daß die Austern einen ruhigen Wasserstand lieben. Dies ist folgendermaßen zu verstehen. Die Austern kommen zwar in allen Meeren und an den verschiedensten Stellen vor; die größten Bänke aber sind in geringer Tiefe, ziemlich nahe an der Küste und vor allem in Buchten, welche vor starken Strömungen geschützt sind. Durch solche Strömungen wird nämlich der Laich der Austern, sowie er aus den Schalen derselben hervorgekommen ist, in's hohe Meer hinausgetrieben und bildet dann vielleicht an einem Orte, wo noch nie eine andere Auster gesessen hat, eine Bank. Wo aber ein ruhiger Wasserstand ist, bleibt aller Laich an den eigenen Austernbänken festkleben, so daß ein beständiges Nachwachsen dieser Bänke stattfindet. So erklärt es sich, warum z. B. die Austernbänke von Rocher de Cancale, am Ufer des Canals, zwischen St. Malo, Mont St. Michel und Cancale, trotz des enormen Verbrauchs, der hier seit 150 Jahren stattfindet, sich gar nicht vermindern. In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts brachen die Engländer in der Absicht, künstliche Bänke an ihrer eigenen Küste anzulegen, so bedeutende Massen von Austern in der Bucht von Cancale, daß man sich ernstlichen Befürchtungen für diese Bänke hingab; der Verlust war jedoch in wenigen Jahren ersetzt, Über den genaueren Vorgang des Anwachsens der Austern und über die Lebensdauer der einzelnen Tiere weiß man sehr wenig. Die Fischer von St Malo glauben, daß die Austern durchschnittlich zehn Jahre leben. Altersschwache Austern erkennt man daran, daß die Schalen im Verhältniß zum Thiere sehr groß sind. Werden die Austern nicht gebrochen, so gehen sie auf eine eigenthümliche Weise zu Grunde. Indem beständig neuer Nachwuchs stattfindet, ersticken die Jungen die Alten, indem sie das Wasser von ihnen abhalten und sie verhindern, ihre Schalen zu öffnen. Daß wir Austern brechen, ist also, gewissermaßen ein Act der Humanität. „Einige Arten von Austern leben in halb süßem, halb salzigem Wasser, in Flüssen nahe an deren Mündung in's Meer. aber immer nur so hoch, wie das Meerwasser mit der Fluth hinauf steigt, Bei der Ebbe bleiben die Thiere dann auf dem Trockenen sitzen. So wie sie fühlen, daß das Wasser sich zurückzieht, schießen sie ihre Schalen sehr fest und halten eine ziemlich beträchtliche Menge Flüssigkeit im Innern der Körperhöhle zurück. Dies befähigt sie, längere Zeit außer Wasser zu leben, so daß sie ziemlich weit transportiert werden können, ohne zu sterben - ein Umstand, der den Austernhandel sehr erleichtert. „Die Austern haben keine Spur von einem Fuß, Ortsveränderungen ist ihnen nicht gestattet und ihre willkürlichen Bewegungen beschränken sich ausschließlich auf Oeffnen und Schließen der Schalen Für gewöhnlich klaffen die Schalen, um dem Wasser und mit ihm den Nahrungsstoffen freien Zutritt zu gestatten. Die Nahrung der Austern wie aller Muscheln besteht ausschließlich aus Infusorien und kleinen organischen Theilchen, welche in halbaufgelösten Zustande in erstaunlicher Menge im Meerwasser suspendirt sind. Nicht selten findet man beim Oeffnen der Schalen Krebse, Schnecken und andere kleine Thiere zwischen den Schalen angeklemmt. Dies ist rein zufällig; es kommen nämlich hin und wieder solche Thiere in den Bereich der Auster, rühren vielleicht an die Fühler und veranlassen dadurch sofortiges Schließen der Schalen; aber nie werden sie von den Austern gefressen. Wiewohl ihre Mundöffnung groß ist, erlauben doch die weichen Ränder und Fühler des Mundes nicht, daß nur etwas consistente Nahrungsstoffe durchpassieren. In der That stoßen auch die Zähne der Gourmands niemals auf harte Stoffe im Leibe der Auster, wenn es nicht etwa eine unechte Perle ist, die sich zufällig im Mantel der Auster gebildet, und woran sich allerdings schon mancher die Zähne ausgebissen hat. Um solchen Unannehmlichkeiten vorzubeugen, ist es daher besser, die Auster auf einmal zu verschlucken, als sie zu kauen. Die Austern kommen nicht unmittelbar aus dem Meere[451] auf unsern Frühstückstisch. Zwischen ihrem natürlichen Zustand und dem Verspeistwerden liegt ein Intermezzo ihrer Existenz welches sie in den sogenannten Austernparks zubringen. Austern nämlich, die unmittelbar frisch von der Bank kommen, riechen gewöhnlich nach Schlamm, sind hart, zähe und haben einen unangenehmen Geschmack, den man verbessern muß, und auch schon in den ältesten Zeiten verbessert hat. Die Austern von Venedig, von den Dardanellen, von der britannischen Küste, welche von den Römern besonders geschätzt wurden, mästete man erst eine Zeit lang im Lucriner See, bevor sie auf den Tafeln der Gourmands erschienen. „In unserer Zeit beginnt die Austernernte, wenn man so sagen darf, Ende September, und hört im April auf in den Monaten, welche kein r enthalten, bricht man nirgendwo Austern, weit es ihre Laichzeit ist. Zum Brechen dient ein großes Schleppnetz, eine Art eiserner Harke, hinter der ein kupferner Behälter angebracht ist; dieser Apparat wird von einem Schiffe gezogen, das mit vollen Segeln fährt; das Netz rasirt die Oberfläche der Bank, und jeder Bruch bringt 1000 - 1200 Austern ein. Sowie sie gebrochen sind, werden die Austern in die Parks gebracht - große in Felsen oder Erde ausgehöhlte Reservoirs, worin man nach Belieben Meerwasser ansammeln und abfließen lasten kann. Diese Parks sind gewöhnlich, viereckig und ziemlich seicht; mit dem Meere stehen sie durch einen langen Canal in Verbindung, welche nach Belieben mittels einer Schleuße aufgehoben und wiederhergestellt werden kann, Während der Ebbe unterbricht man die Verbindung, mit dem Beginn der Fluth stellt man sie wieder her, um das Wasser zu erneuern. Sehr schädlich ist den Austern der Niederschlag von Schlamm; um dies zu verhüten, sind die Wände der Höhlung mit Kiesel oder Sand ausgekleidet; auch hält man deswegen in den Parks ein bestimmte Mischung von süßem und salzigem Wasser, welche erfahrungsmäßig dem Niederschlage von Schlamm entgegenwirkt. Auch spült man von Zeit zu Zeit die Wände des Parks ab, und gießt frisches Wasser auf die Austern, nachdem man sie vorher, einen Augenblick auf das Trockene gesetzt hat. Lebhafte Bewegung des Wassers vermeidet man soviel als möglich, indem dabei leicht Sandkörner in die Schalen kommen. Je zweckmäßiger die Austern in den Parks ausgelegt werden, je vorsichtiger man sie bewegt, je ängstlicher man den Niederschlag von Schlamm zu verhindern sucht, desto besser und preiswürdiger werden die Austern sein, welche man erzielt. Es schadet der Qualität der Thiere, wenn durch Regengüsse oder Ueberschwemmungen die Menge des süßen Wassers in den Parks zu beträchtlich wird. Auch scheuen die Austern sehr die Kälte, weswegen man sie in einer gewissen Entfernung vom Wasserspiegel halten muß. Dies hat auf der andern Seite wieder den Nachteil, daß man sie dann nicht so leicht inspiciren kann; und schnelles Aussondern der etwa gestorbenen Thiere ist von fundamentaler Wichtigkeit, da eine todte Auster, wenn sie nicht schleunig entfernt wird, einen ganzen Park verderben kann. Die Diagnose des Todes ist leicht zu stellen; wir wissen schon, daß die Schalen todter Thiere klaffen, wenn das Wasser abgeflossen ist. Durch die verschiedene Art und Weise des Wasserwechsels ist man ferner im Stande, die Beschaffenheit der Austern bedeutend zu modificiren, in Etretat, einem kleinem französischem Badeorte in der Nähe von Havre-de-Grace, der sehr reich an Austernparks ist, wechselt man das Wasser mit jeder Fluth – die Thiere werden dadurch hell, glänzend, dick, zugleich aber etwas hart und zähe, in Dieppe erneuert man das Wasser nur alle zwei Monate einmal, wodurch allerdings die Austern sehr zart werden, aber nicht ganz so frisch bleiben, wie in Etretat. Man sieht, daß ein taktvoller Gouverneur eines Austernparks sehr viel aus den seiner Obhut anvertrauten Thieren machen kann. „Sind die Austern in den Parks für den Handel reif geworden, so verlangt ihr Transport in's Innere des Landes noch manche Vorsichtsmaßregeln. Sie müssen in horizontaler Stellung liegen, mit der gewölbten Schale nach unten, damit sie so wenig als möglich von dem in ihnen befindlichen Wasser verlieren, welches ihre Kiemen bespült; auch bedeckt man sie mit nassem Seegras, um die austrocknende Wirkung der Luft zu verhüten, je schneller der Transport geschieht, desto bester, besonders bei warmem Wetter. Ein Versuch, den man neuerlich machte, die Austern in Schiffen voll von Meerwasser die Flüsse hinauffahren zu lassen, schlug gänzlich fehl, indem das wegen der darin enthaltenen, aufgelösten organischen Theilchen sehr zur Zersetzung geneigte Seewasser in Fäulniß überging. Das betreffende Austernschiff kam in Paris mit einer großen Menge todter Thiere an, welche sich schon von Weitem durch ihren Geruch so unvortheilhaft ankündigten, daß die Polizei sich veranlasst sah, die ganze Ladung zu versenken.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_449.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)