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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Fleiß, Kunsteifer, Ordnung sind die Begleiter der nationalen Sparsamkeit, höherer Arbeitslohn, reichlicherer Gütergenuß und Anwachs der Bevölkerung die erfreulichen Folgen der Ersparung neuer Capitalien. Nur dasjenige Volk, welches nicht Alles, was es erwirbt, dem Genusse opfert, sondern einen Theil aufspart, gelangt zum höheren Genusse seines Lebens, ein armes geht dessen verlustig und nur allzuleicht auch seiner Freiheit.

Der Luxus ist deshalb innerhalb maßvoller Grenzen eine segensreiche Folge der wirthschaftlichen Cultur, er ist satthaft und als sittlich veredelnd von großer Bedeutung für das innere Volksleben. Wenn die von der Capitalmacht geschaffenen Riesenwerke der Verkehrsmittel und großartigen Handelsanstalten den Wohlstand mehr und mehr heben, die Behaglichkeit des Lebens immer weiter auszudehnen ermöglichen, die höheren Zwecke des Daseins mittelbar in Kunst und Wissenschaft fördern, so ist der sich alsdann ausbreitende Luxus besonders deshalb so freudig zu begrüßen, weil auch die arbeitende Classe sich Genüsse verschaffen kann, die ihr Erholung gewähren, ihre Gefühle veredeln, ihre Denkraft üben und den Kreis ihrer Erkenntnisse erweitern, so daß sie ihre Arbeit nicht im bloßen dumpfen Hinbrüten mechanisch verrichtet. Das Denken steigert die Geschicklichkeit und nur der denkende Arbeiter arbeitet schnell, froh und gut zugleich.

Der Luxus eines blühenden Volkes richtet sich mehr auf solide Behaglichkeit des Lebens, als bloßem Scheinglanz und Flitter, mehr auf wahren Genuß, als bloßes Genügen der Eitelkeit, … Die goldgestickten oder mit kostbarem Pelzwerk ausstaffirten Kleider, Puder, Zopf, dreieckige, mit reichen Tressen versehene Hüte sind aus der Mode. Die Herrenkleidung ist im Vergleich zu früheren Jahrhunderten unendlich einfach. Steht man die durch die Herbeiziehung der Wissenschaft, der Chemie erzeugten Prachtfarben, welche jetzt unser Handel in seinen Artikeln auf den Markt bringt, so könnte man wohl einen Augenblick versucht sein, zu fragen, ob es nicht bedauernswürdig sei, daß die Kleidung des Mannes so wenig heitere Farben hat. Wir überlasten sie aber dem leichteren und veränderungsfroheren Sinne des Weibes, und tragen einen schwarzen Rock oder Frack und Hut und nur in der Feinheit des Stoffes liegt der mindere oder größere Aufwand. Es gilt deshalb für uns das Wort Shakespeare’s:

„Die Kleidung kostbar, wie’s Dein Beutel kann,
Doch nicht in’s Grillenhafte; reich, nicht bunt,
Denn es, verkündigt oft die Tracht den Mann.“

Man sehe alte Portraits aus früheren Jahrhunderten, und man wird sich der ungemein großen Vereinfachung dann recht bewußt werden.

Ein Muster ganz allgemeiner und solide Einfachheit ist England. Die französische Küche hatte eine Unzahl zusammengesetzter Saucen und Confituren. An ihre Stelle sind einfache, aber kraftvolle Fleischgerichte getreten. - Die Landstraßen sind vortrefflich unterhalten, wenn auch weniger breit. Im Innern der Städte finden sich Trottoirs und Alles dient, anstatt überflüssiger Zierrath zu sein, einem praktischen Zwecke. - Der rohe Wilde schmückt sein Haar noch mit bunten Federn und Farben, Lippen, Nase und Ohren mit Metallringen und Korallen. Im Mittelalter herrschte Bombast und Prunksucht, die auch die äußerste Unbequemlichkeit in Tracht und Steifheit, im Ceremoniell ertrug; erst auf höherer Culturstufe kehrt der Mensch zur natürlicheren Kleidung und Sitte zurück. Die Kleider passen sich den Formen des Körpers wieder mehr an, und feines Linnenzeug wiegt in der Haushaltung mehr als Goldstickerei und Spitzen. Selbst auf dem Gebiete der Künste ist diese Umkehr sehr entschieden und tief eingreifend. Ich erinnere hier auch an den Gartenbau. Welche Veränderung des Geschmacks ist in demselben eingetreten! Während früher alle Anlagen im Versailles-Harlemer Styl hergerichtet waren, hat jetzt die Vorliebe für die Schönheit der unverkümmerten Natur den englischen Styl in ganz allgemeine Aufnahme gebracht. Das Streben nach Einfachheit ist ein allgemeines. Die Athener legten in der Blüthezeit ihres Staates die sie sonst stets begleitenden Waffen ab und hörten auf, in den Haaren goldnen Schmuck zu tragen.

In dieser zweiten Entwicklungsperiode ist denn auch die Blüthezeit der Bürgertugenden. Die Sparsamkeit des Volles gibt ihm die Mittel an die Hand, einem edleren Luxus zu folgen, und so das ganze innere wie äußere Leben zu heben. - Die Zeit ist alsdann längst vorbei, wo der Fürst wohl gar das Vermögen und Einkommen Aller als eigentlich ihm gehörig ansieht, wie dies Ludwig XIV. ganz offen aussprach, und in den Grundsätzen seines Besteuerungssystem zu einem Theil in's Leben übersetzte. So erklärt sich auch sein Wort: „Ein König gibt Almosen, wenn er verschwendet.“ - Jetzt gehören die Früchte des Fleißes dem Bürger, der sie errungen hat. Die Schweiz, nach dem vorjährigen Berichte des belgischen Consuls, im Verhältniß ihrer Einwohnerzahl zu ihrer Industrie der erste Handelsstaat der Welt, auch England nicht ausgenommen, zeichnet sich durch eine nationale Sparsamkeit aus. Die reichste Stadt ist Basel, und ein dortiger Bürger läßt gegenwärtig, nach einem neulichen Zeitungsberichte, eine Kirche mit einem Kostenaufwand von drei Millionen Francs bauen. Es herrscht noch viel patriarchale Sitte, Selbst reiche Familien weisen ihre Töchter auf den Ertrag ihrer Weißstickereien, also den Ertrag des eigenen Fleißes anstatt des Taschengeldes an; die Söhne erhalten vom Hause wenig, und müssen sich meist erst durch eigne Thätigkeit ihren Hausstand gründen. Nach Tisch kehrt man ohne Scheu vor den Gästen die Krumen sorgsam zusammen, um sie noch anderweit zu Suppen zu verwenden. - Der Luxus dieser Periode sucht nicht nur das Gute und Dauerhafte, sondern verzichtet vor Allem auf den eitlen Alleinbesitz und das dünkelhafte Voraushaben vor Anderen. Dies ist eine wichtige Erscheinung für unsere ganze Industrie. Sie kann nunmehr die Erzeugnisse der Mode massenhaft und in gleicher Form, somit aber nicht nur billiger, sondern auch besser herstellen. Daher datirt theilweise der bei manchem Artikeln zum Verwundern niedrige Preis, wie denn mit dem technischen und mercantilen Aufschwung die Preise der bei weitem meisten Artikel eine entsprechende Erniedrigung erfahren haben. Dies hat die Lage der ärmeren Classen gegen frühere Jahrhunderte ganz bedeutend gebessert, Schuhe, Strümpfe, Tuchkleidung, Kaffee, Bett und ein wohnliches Zimmer sind heut zu Tage das Bedürfniß auch der Aermsten. Der Arbeiterstand hält jetzt Manches für unentbehrlich, was vor einigen Menschenaltern kaum der Reiche besaß und genoß. Deshalb ist auch jene Klage des älteren Geschlechts über das Verschwinden der „alten guten Zeit“ so töricht, das nicht ahnt, was Alles in den tausendfachen Verhältnissen des bürgerlichen Lebens unsere Voreltern entbehrten.

Der wohlfeile Luxus unserer Zeit durchdringt alle Bedürfnisse des Haushaltes, auch des Unbemittelten, Man nehme nur allein den wichtigsten Consumtionsartikel der niedern Clasen in heutiger Zeit gegen die Vergangenheit an: das Brod. Im Jahre 1700 gab es Frankreich nicht mehr als 33 Procent der Bevölkerung Weißbrodesser, im Jahre 1791 schon 37 Procent, im Jahre 1839 dagegen 60 Procent. in England aß unter Heinrich VIII. eigentlich nur der Adel Weizen. um 1758 gab es hier und in Wales etwa 6 Millionen Menschen, von denen 3 3/4 Millionen von Weizenbrod, 739,000 von Gerste, 888,000 von Roggen, 623,000 von Hafer lebten. In Irland rechnete man noch 1839, daß von 8 Millionen Einwohnern 5 Millionen Kartoffeln und 2 1/2 Mill. Haferbrod als Hauptnahrung genossen. Auch die alten Völker lebten auf der niedern Culturstufe meist von Haferbrod. Das Bier unserer Altvordern war ebenfalls aus Hafer gebraut.

Die Prunkgegenstände haben einen auch dem gemeinen Mann zugänglichen Ersatz durch plattirte Waaren, Argentan, Baumwollensammt etc. gefunden. Man denke an die tausendfache Vervielfältigung von Kunstwerken durch Stahl- und Holzstiche, durch Abguß in Gyps und Metall, durch Galvanoplastik und Lichtbildnerei. Unter dem veredelnden Luxus steht neben der Verbreitung gemeinnütziger, durch die Schnellpressen außerordentlich billiger Schriften die Musik obenan, Welche Ausdehnung haben die Gesangvereine gewonnen, zu welcher Pflege ist die Musik nicht durch die zahllosen Pianofortefabriken deren eine in London täglich 40 Stück Pianoforte liefert - gelangt! Es ist nicht nur für den Musikfreund, es ist auch für den Patrioten eine erfreuliche Erscheinung, daß das deutsche Volk bis in die kleinsten Gauen seine Meister kennt und der Name Beethovens auch auf Dörfern längst aufgehört hat, unbekannt zu sein, dass deutsche Musik die fremdländische zumeist verdrängt und jenseits des Rheins, jenseits des Canals und Oceans den Sieg bereits entschieden hat.

Mit dem Wachsen der Cultur, mit der Verbreitung des Luxus nimmt auch die Reinlichkeit des Volkes zu. Ein sehr beweiskräftiges Beispiel ist England. Noch zur Zeit des Erasmus wart dasselbe nach dessen Zeugniß, ein höchst schmutziges Land. Erasmus lebte dem Jahre 1467 - 1536. Erst im Jahr 1520 entstand daselbst die erste Seifensiederei. Heut zu Tage hat es die bedeutendste Seifenconsumption

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_459.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)