Seite:Die Gartenlaube (1858) 466.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

sie liebte, wurde abermals der Thee servirt und in ganz natürlicher Gedankenassociation verfiel der alte Herr darauf, sich angelegentlich nach dem „hübschen kleinen Fräulein, welches Pauline hieß,“ zu erkundigen und zu fragen, warum sie nicht mit Thee trinke.

„Die Kleine ist ja abgereist, Herr Schwager,“ entgegnete die Medicinalräthin in der Voraussetzung, er wisse jetzt, wem das Kind angehöre. „Die Mutter würde doch ihr Kind nicht hier lassen, und da die arme Therese von Ihnen eben nicht handgreiflicher aus dem Hause gewiesen werden konnte, so machte sie sich mit ihrer Kleinen natürlich so eilig als möglich davon.“

Dem Obersten ging es wie ein Stich mit tausend Widerhaken durch’s alte, verhärtete Herz, während er mäuschenstill zuhörte und aus den Erklärungen seiner Frau Schwester erkannte, daß die engelhübsche freundliche Kleine „sein Enkelkind, seines Sohnes Tochter“ gewesen sei. Zu seiner Qual war sein Gedächtniß nie treuer gewesen, als in diesem Augenblicke, wo des Kindes reizendes Lächeln, ihre Verheißung, ihn zu belohnen, weil er ein „guter Mann“ sei, ihr süßes Anschmiegen und ihre anmuthige Artigkeit wie ein bitterer Vorwurf vor ihn hintrat.

„Warum haben Sie mir denn nicht gesagt, daß Pauline meine Enkelin sei?“ fuhr er etwas unsanft auf.

„Was hätte das geholfen?“ warf die alte Dame ganz gelassen ein. „Pauline ist ihrer Mutter Tochter.“

„So, Dame Weisheit? Das Kindchen zeigte aber eine liebenswürdige Hinneigung zu dem alten Großpapa –“

„Die zeigte ihre Mutter auch,“ fiel die „Frau Schwester“ prompt ein, „sonst würde sie wahrhaftig nicht um die Liebe des Schwiegervaters, der sich nie liebenswürdig gegen sie gezeigt hatte, gebettelt haben. Die Sache ist vorbei, lassen wir sie ruhen.“

Zum ersten Male in seinem ganzen Leben war der Oberst mit diesem Beschlusse nicht zufrieden und schwieg dennoch. Das Bild des kleinen Mädchens, auf das er ein Recht hatte, das zu ihm gehörte, das sein Herz mit einem Gefühle voll süßer Frühlingsgedanken erfüllte, wie er sie seit seiner ersten Liebe gehabt zu haben sich nicht erinnerte, das Bild wich und wankte nicht aus seiner Erinnerung. Er sah sie sitzen und Thee trinken – sein Blick suchte die Stelle – da stand der kleine Polsterstuhl, worauf sie es sich so allerliebst bequem gemacht – jetzt hatte die große graue Katze der Medicinalräthin darauf Platz genommen und blinzeltle ihn mißtrauisch an, als er mit unzufriedenen Mienen zu ihr hinsah – er machte eine verscheuchende Gebehrde und schnitt ihr ein grimmiges Gesicht zu. Die Katze rührte sich natürlich nicht.

„Was hat ihnen denn meine Mieze gethan, Herr Schwager?“ fragte die alte Dame. „Lassen Sie doch das alte gute Thier in Ruhe.“

„Ach was – sie soll nicht auf dem Stuhle liegen, wo Pauline gesessen hat,“ brummte der Oberst beschämt.

„Was Sie doch herrschsüchtig sind,“ meinte sie und setzte sich neben ihn.

Er sah immerfort die Katze an – die Katze ihn ebenfalls. Zuletzt wurde ihm die Geschichte Ernst – er stand leise auf und näherte sich dem kleinen Stuhle. Die Katze hob mit naseweisem Zwinkern den Kopf zu ihm auf – patsch, hatte sie einen Schub, daß sie bis in die Mitte der Stube flog.

„Aber Sie sind doch der unerträglichste Tyrann auf Gottes Erdhoden,“ schalt die alte Dame, indem sie sich erhob und die Katze hinausjagte. Ihre Stirn stand dabei voller Donnerwetter. Der Oberst lachte herzlich.

„Nehmen Sie mir es nicht übel, Frau Schwester,“ rief er, „aber es war mir unmöglich, dies abscheuliche Katzengesicht da sitzen zu sehen, wo ich zuletzt mein herziges Paulinchen bewundert hatte. Stellen Sie den Stuhl fort. Ich will ihn nicht wieder sehen, will überhaupt an Nichts erinnert sein, was geschehen ist. Ertragen Sie mich nur die fünf Wochen lang, die ich hier bleibe, nachher nehemen wir Abschied von dieser Welt und sehen uns hoffentlich nicht wieder. Ich bin’s nachgerade satt auf der Erde – mein Abschied vom Dienst kann nicht lange mehr ausbleiben, dann kaufe ich mir eine Eremitage und thue Buße!“

„Ah bah,“ entgegnete die Dame. „Wenn Sie Buße thun wollen, so hätten Sie keine Eremitage nöthig, sondern könnten des Lebens Herrlichkeit im schönsten Familienkreise genießen!“

„Basta!“ schrie der Oberst mit gewaltiger Stimme.

Es wurde von dieser Zeit an bis zum Ende seines Aufenthaltes hier nicht ein Wort wieder gesprochen, weder von Pauline, noch von Therese und Eberhard.




IV.

Die Wohnungen am See vereinigten die Annehmlichkeiten eines Landhauses mit den Bequemlichkeiten städtischer Eleganz. Die Kaltwasseranstalt lag mitten in der Gruppe dieser Häuser und wurde nur von den ganz absonderlich leidenden Fremdem bewohnt, während die gewöhnlichen Cur- und Brunnengäste es vorzogen, den größeren Comfort in den Privatwohnungen zu genießen.

Am Tage nach der eben beschriebenen Scene erblickte der Oberst, der seine Leidensgenossen mit theilnehmender Artigkeit zu behandeln pflegte, ein paar Damen langsam unter den Acacien am Strande entlang promeniren, die er bis dahin noch nicht bemerkt hatte. Sie schienen einfach und solid zu sein, obwohl ihr Anstand jene angeborene Sicherheit aufwies, welche Damen aus den mittleren Lebensstellungen sich selten anzueignen wissen. Die ältere Dame war sichtlich leidend, sie trat unsicher auf und hielt den Arm ihrer Begleiterin als nothwendige Stütze umfaßt. Das junge Mädchen, in schlichten, grauen Stoffen, mit großem Kragen und breitrandigem Strohhute hatte ein Etwas an sich, was die Blicke der Menschen ganz unwillkürlich fesselt, obwohl es nicht auf bedeutender äußerer Schönheit beruht. Braunes Haar, braune Augen, blühende Farbe, purpurrothe Lippen und schön geformte Wangen mit einem Grübchen, die den ernsten Mienen einen wunderbaren Reiz mittheilten, das war ungefähr dasjenige, was dem prüfenden Auge sogleich auffiel. Es mußte im Geiste der jungen Dame liegen, daß sich diesen oftmals dagewesenen Reizen die Bedeutung einprägte, welche sie auszeichnete.

Die Damen gingen an dem Platze vorüber, wo der Oberst am Ufer unter den Bäumen stand und in Gedanken versunken die schöne Gegend betrachtete.

Er grüßte sie achtungsvoll, wendete sich aber, da er sie nicht kannte, ohne sie anzureden, wieder nach dem Wasser um.

Kaum hatte er dies gethan, so hörte er, augenscheinlich von der älteren Frau gesprochen, die Worte:

„Das muß er sein, Valeska.“

„Daran habe ich gar nicht gezweifelt, Mama, schon als ich ihn von fern erblickte,“ entgegnete die Tochter mit einem sonoren, wohlklingenden Organe.

Der Oberst hatte das Wechselgespräch ganz deutlich verstanden und sah sich befremdet nach den Damen um. Wer mochte das sein? Er tröstete sich, daß nicht vierundzwanzig Stunden vergehen würden, ohne seine Neugier zu befriedigen. Es sollte früher geschehen.

Rachdem die Fremden eine kleine Tour um den See, gleichsam nur, um sich an dem Anblicke zu erlaben, gemacht hatten, führte das Fräulein ihre Mutter wieder in das Kaltwasser-Curhaus zurück und kam eilig und entschlossenen Schrittes auf den Oberst zu, der sich eben auf eine Bank niedergelassen hatte.

Sie verneigte sich nochmals leicht mit den fragenden Worten: „Herr Oberst Hußlar, wenn ich nicht irre?“

Der Oberst, angenehm überrascht von dem leichten, gewandten Wesen und dem Ausdrucke des hübschen Gesichtes, bejahte mit ausgezeichneter Ritterlichkeit und sah dann erwartungsvoll in die braunen, lebhaften Augen des jungen Mädchens.

„Ich setze mich ihrem Tadel aus, Herr Oberst, indem ich es nicht dem conventionellen Herkommen überlasse, unsere Bekanntschaft zu vermitteln,“ begann sie, schnell sprechend und mit dem Bewußtsein geistiger Sicherheit. „Allein, da wir nicht viel Zeit haben, die Pläne zu verschieben, die nothwendig geworden sind, und da wir nur Ihretwegen Fürstenhall zur Cur meiner armen Mutter gewählt haben, so beeile ich unser Zusammentreffen. Ich bin Valeska Sundwihl und habe die Ehre, von Ihrem Sohne Lothar innig geliebt zu sein.“

Der Oberst, der am liebsten jetzt „rechts schwenkt“ gemacht hätte, entgegnete einige gewöhnliche Gesellschaftsfloskeln mit einer spöttischen Manier, die bedeutend gegen seine Empfangsfeierlichkeit abstach. Fräulein Valeska schien dadurch nicht im Geringsten beirrt zu sein. Sie fuhr eben so schnell fort:

„Sie sollen und müssen mich kennen lernen, mein Herr Oberst, und da dies auf keine andere Art zu bewerkstelligen war, so gab

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_466.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)