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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

die außerdem ein unaussprechlich glückliches Patriarchenleben führt, zu ebnen.“

„Würden Sie denn wirklich Wort halten, und Lothar nicht heirathen?“ examinirte die alte Dame zweifelnd.

Valeska gab ihr in einer sichtlichen Bewegung, mit erhöhter Feierlichkeit in Stimme und Gebehrde die Versicherung ihres ernsten Willens. Die alte Dame wiegte bedenklich ihr Haupt:

„Valeska – Sie stehen an einem Abgrunde – seien Sie nicht zu sicher – es gilt Ihr und Lothars Glück – bedenken Sie, was Sie thun! Weiß Lothar um diesen Entschluß?“

Das Fräulein bejahete diese Frage und fügte hinzu, daß er ihn billige.

„Auf das Risico hin, Ihnen entsagen zu müssen, wenn sein Vater Ihnen abgeneigt bleibt?“ fragte die Medicinalräthin frappirt. „Das ist ein sonderbarer Heroismus oder eine Selbstverblendung, indem er Ihnen einen ungetheilten Einfluß zutraut. Der Oberst hat, trotz seines Hanges zu Ironie und trotz seines gefährlichen Eigenwillens, den Sie ihm ganz in aller Ordnung vorgerückt haben, zwar ein gutes Herz, aber was diesen Punkt betrifft, so hat er darüber seltsame Ansichten.“

Valeska wurde ungeachtet der Bedenklichkeiten der Dame nicht wankend in ihrem hoffnungsvollen Glauben und sie versprach, am nächsten Tage wieder zu kommen, um zu hören, wie sich der Oberst gegen seine „Frau Schwester“ über die ganze Angelegenheit ausgelassen haben möchte.

Wohlgemuth spazierte Fräulein Valeska zurück zum Curhause, wohlgemuth pflegte und erheiterte sie ihre schwer leidende Mutter, wohlgemuth überließ sie sich Abends dem zauberhaften Eindrucke der himmlisch schönen Gegend und träumte von ihrer Zukunft, und wohlgemuth stand sie am andern Morgen früh auf, um einen Spaziergang am See zu unternehmen, bevor ihre Mutter das Bett verließ. Vielleicht wurde sie bei dem letzten Entschlusse von der Hoffnung geleitet, den Obersten zu treffen.

Sie täuschte sich auch nicht. Kaum hatte sie die Allee einmal durchschritten, so sah sie den alten Herrn, stattlich und vornehm, mit echt militairischem Anstande sich entgegen kommen. Schon von fern grüßte er mit einem weit freundlicheren „Guten Morgen“, als sie schon heute erwartet hatte.

An einem recht einsamen, pittoresk romantischen Flecke, wo die ersten Felsen mit schroffen und eckigen Abhängen weit über das dunkle Wasser hinwegragten, trafen sie zusammen.

„Mein Fräulein, Sie müssen diabolische Kräfte besitzen,“ rief er mit einem Humor, dem man einen gewissen Zwang anhörte, „denn Ihnen ist gelungen, was bis jetzt noch Jeder vergeblich versucht hat. Sie haben mir eine schlaflose Nacht bereitet.“

Das junge Mädchen richtete mitleidig ihre sprechenden, braunen Augen milde zu ihm auf, und sprach einige bedauernde Worte.

„Aber ich weiß, wie ich ferneren schlaflosen Nächten entrinnen kann,“ fuhr er, ihre sanften Beileidsbezeigungen nicht beachtend, fort. „Ihr solider Plan, den Sie zu meinem und zu Ihrem Besten entworfen haben, ist Schuld an meinem Elende gewesen. Sie haben mich damit in einen Belagerungszustand versetzt und Sie hoffen, daß ich eines Tages capituliren soll – mein Fräulein – la vieille garde meurt, mais elle ne se rend pas! sagt der Franzose, und das ist die einzige Gleichheit zwischen mir und diesem Volke, daß wir dieser Devise huldigen. Ich räume Ihnen ein, daß Sie Recht haben, aber ich verlasse in dieser Stunde Fürstenhall und gehe nach Steitenbach, um meine Cur ungestörter fortsetzen zu können. Leben Sie wohl!“

Fräulein Valeska glich einem schönen Steinbilde. Alles Leben schien aus dem blühenden Gesichte gewichen, kraftlos und schlaff hingen ihre Arme herab, und ihr Auge zeigte sich völlig glanzlos.

„Soll das mein Urtheil sein?“ brachte sie mühsam heraus.

„Nehmen Sie es, wie Sie wollen. Heirathen Sie meinen Jungen – ich habe nichts dagegen – leben Sie wohl!“

Valeska regte die Lippen, um diese Abschiedsworte zu wiederholen; es gelang ihr nicht – stumm neigte sie den Kopf, und blieb wie erstarrt stehen.

Der Oberst entfernte sich, mit großer Gefühllosigkeit frohlockend die Hände reibend. Nachdem er eine weite Strecke entfernt war, schauete er um. Valeska stand unverändert auf derselben Stelle, und starrte über das Wasser hinweg.

Er kam bei seinem Hause an, und blickte abermals zurück. Dieselbe Stellung, dieselbe traurige Unbeweglichkeit.

Er betrat sein Zimmer. War es Neugierde, sein Opfer zu betrachten, die ihn zu seinem sehr guten Fernrohre greifen ließ? Er stellte es und suchte die Dame, die sein Sohn liebte, die er jetzt unheilbar verletzt hatte.

Valeska hatte sich nicht bewegt, hatte nicht einmal die Lage ihrer Arme geändert – sie schien vergessen zu haben, daß sie noch lebte, und schien es nicht zu wissen, daß große Thränentropfen ihre Wangen hinabträufelten. So sah sie der Oberst, Dank seinem guten Fernrohre, und das Herz begann ihm mächtig zu klopfen. Unruhig schritt er auf und ab im Zimmer. Seine Augen glüheten vor innerer Bewegung, mehrmals stand er an der Thür – nahm er sein Fernrohr abermals – Valeska schritt ruhig und voll graziösen Anstandes die Allee herauf. Jetzt war sein Herzklopfen fort, und in einer Stunde saß er im Wagen, ohne seine „weise Frau Schwester“ eines Abschiedes gewürdigt zu haben.




VI.

Steitenbach lag sechs Stunden von Fürstenhall entfernt im flachen Lande, und die Heilanstalt befand sich in dem ärmlich ausgestatteten Städtchen, unter dürftiger Umgebung eines Krautgartens, nebst Rasenflecken unter alten Obst- und Lindenbäumen. Die ganze Anlage verrieth sich schon von außen als ein Hospital voll lahmgewordener Menschen, das Heilung für alle Fälle verheißt, und der Oberst sah schon vor seinem Eintritte in das mehr als einfache Curhaus ein, daß er sich selbst in’s Exil geschickt habe. Es vermehrte seine gute Laune nicht, als er sich in dem Zimmerchen sah, welches ihm als das beste eingeräumt worden war. Bunt bemalt, ohne Tapete, rothbunte Kattungardinen an den niedrigen Fenstern – es gemahnte ihn an seine Knabenjahre, wo er als Gehülfe seines Vaters in der Gaststube stand, welche von den Honoratioren seiner Vaterstadt als Niederlage benutzt wurde. Er glaubte sich fünfzig Jahre zurückversetzt zu sehen. Aber was half es? Wer trug die Schuld? Niemand als er!

Verdrießlich fügte er sich in’s Unabänderliche, weil ein Rückzug unmöglich war, und nahm seine Cur wieder vor.

Von Stunde zu Stunde drängten sich seinem Geiste Vergleichungen auf, die ihn verdüsterten. Dort in Fürstenhall Alles neu, Alles elegant, Alles behaglich – hier häßliche Gebäude, unfreundliche Wirthe und stöhnende Kranke.

Drei Wochen verflossen ihm unter den Höllenqualen eines Verdammten, der das Paradies aus Eigenwillen verließ, um seinen Wohnsitz so zu wählen, daß er durch jeden Sonnenaufgang an dasselbe erinnert werden mußte.

Es geschah während dieser Zeit gar nichts, was im Stande gewesen wäre, ihn zur Erkenntniß zu bringen. Es kam kein Brief, es kam keine Anregung, die ihn auf die Vergangenheit zurückführte, und doch standen die letzten Ereignisse seines Lebens in immerwährender Mahnung vor seiner Seele.

Die Zeit war da, wo sein Sohn Lothar von seiner überseeischen Reise zurückkommen mußte.

„Packe meine Sachen, Jean,“ befahl er eines Abends, nachdem er lange mit tief gerunzelter Stirn das altmodisch ausstaffirte Stübchen durchmessen und in die untergehende Sonne geschaut hatte, bis er geblendet bis zur Blindheit war. „Packe meine Sachen – besorge einen Wagen zur Station Bimberge.“

Der Bediente sah ihn groß an.

„Nach Bimberge?“ wiederholte er im bescheidenen Tone kluger Zurückhaltung.

Bimberge lag nördlich – sie mußten nach Süden reisen.

„Ja. Wir gehen über Berlin nach –“ Er ließ den Satz unvollendet, und spazierte von Neuem im Zimmerchen umher.

Die Dampfgelegenheit ist ein prächtiges Mittel, gute Gedanken schnell auszuführen, und wer einmal eingepackt in einem Coupé, mit der Weisung der Reiseroute von – – nach – – versehen, sitzt, der ist seinem Schicksale verfallen.

Vielleicht wäre der Oberst noch zehn Mal andern Sinnes geworden, vielleicht noch dicht vor der Station ††† umgekehrt, an deren Bahnhof die weltberühmte Maschinenfabrik von Harteberg und Compagnie angrenzte, aber Gott sei Dank, er kam richtig dort an, kletterte richtig aus seinem Waggon heraus, und sah sich ganz bedächtig das fürstlich schöne Haus an, das ihm ein Reisegefährte als das Wohnhaus des Fabrikbesitzers bezeichnet hatte.

Ohne Zögern stieg er die breiten Fliesenstiegen hinauf, die zu

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