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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


die beiden Herren – den alten beladen mit guten Vorsätzen, den jungen ausgestattet mit Beweisen seiner thätigen Tüchtigkeit, welche eine gefährdete Erbschaft gerettet hatte – vor das Haus, wo Sundwihl wohnte.

Der Präsident, schon benachrichtigt durch Depeschen, empfing Lothar mit Freudenbezeigungen an der Treppe – Fräulein Valeska hielt sich schüchtern hinter der Thür ihres Zimmers verborgen und wartete mit Spannung der Lösung des Räthsels, das ihr durch ihren zurückgesendeten Brief mit der vieldeutigen Unterschrift aufgegeben worden war.

Der Oberst trat hastig zu ihr ein, führte das leise zitternde Mädchen bis zum Fenster, um sie der hellsten Beleuchtung auszusetzen, legte beide Hände auf ihre Schultern und sah sie unverwandt an. Es mußte etwas in dem Ausdrucke seiner Augen liegen, was eindringlich zu ihrem Herzen sprach, denn sie neigte ihr stolzes Haupt und schmiegte es fest an seine Brust. Er umschlang sie lautlos, stark und innig und es verflog eine heilige und stille Minute, ehe er mit bewegter Stimme flüsterte:

„Du trotziger Mädchenkobold, der mir seit drei vollen Wochen den Schlaf meiner Nächte verkürzt, kannst Du denn wirklich ganz und gar meine Liebe entbehren, wie Du damals sagtest?“

„Es war ein vermessenes Wort, mein Vater,“ entgegnete Valeska mit gebrochener Stimme.

Weiter bedurfte es keiner Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Menschen.

Lothar hatte sich sein Glück errungen durch sein opferbereites Wirken jenseit des Meeres und es stand ihm jetzt nichts mehr im Wege, die Geliebte mit dem vollen Bewußtsein seiner fernern Seligkeit in die Arme zu schließen.

Wollte man zu erforschen suchen, welche von den Schwiegertöchtern dem Obersten die liebste sei, so müßte man tiefer hinter den Scherz und hinter den Ernst seines Benehmens zu blicken vermögen, um ein Urtheil geben zu können. Frau Therese ist der Gegenstand seiner fröhlichen Spöttereien, während sein Blick auf Valeska unverkennbar eine warme und ernste Huldigung in sich faßt.

Das aber ist gewiß, daß Pauline, das reizendste aller Enkelkinder, einen Thron in seinem Großvaterherzen erobert hat, den ihr Niemand streitig machen wird, und wenn ihm noch Dutzende von Enkeln gebracht werden sollten.

An seine „Frau Schwester“, die Medicinalräthin Schlesing, schrieb der Oberst eines Tages:

„Die Furcht, daß Sie mich auf dem Monde suchen könnten, nachdem ich spurlos aus Fürstenhall verschwunden bin, bringt mich zu der Nachricht meines Daseins in „Harteberghouse.“ Lachen Sie nur, Frau Schwester – ich lache auch über einen alten Kerl, der Hußlar heißt und von der Rolle eines Bären zu der Rolle eines – eines – na, Frau Schwester, es wird doch dem Menschen nichts schwerer, als seine Irrthümer einzugestehen, also nur heraus mit der Wahrheit – eines grundglücklichen Vaters, Schwieger- und Großvaters übergegangen ist! Kommen Sie und sehen Sie, damit Sie es glauben, daß der bärbeißige Hußlar, Ihr ehrenwerther Schwager, sich von Thereschen, des Schlossers Töchterlein, hätscheln läßt, daß er mit der muthwilligen Enkelin Pauline Galopp tanzt und daß er der stolzen Präsidententochter Valeska den Hof macht. In vier Wochen heirathet mein Sohn Lothar, und er erwartet, daß die Frau Medicinalräthin Schlesing in Crinoline und Steifseide Zeugin dieser großen Lebenstragödie – merken Sie wohl – Tragödie – sein wird. Schließlich versichere ich Ihnen, daß ich unverändert der alte Oberst Hußlar bin, der aber in „Harteberghouse“ eine Eremitage bezogen hat, wo er, mit Erlaubniß seiner weisen Frau Schwester, Buße thut.“

Es läßt sich erwarten, daß die Medicinalräthin nicht gezögert haben wird, einer Einladung Folge zu leisten, welche ihre liebsten Wünsche erfüllt, und es läßt sich voraussetzen, daß sie nicht ohne Spottreden vom Oberst Hußlar empfangen worden sei, die sie hoffentlich gebührend erwidert hat.




Die Fahrt nach dem Adlernest.

„Ja, Herr,“ sagte mein Führer, der mich vom Rigi herab durch das ganze Berner Oberland begleitete, ein eben so williger, wie gebildeter Mann[1], „es ist doch ein Unterschied zwischen Reisenden und Reisenden. Ich fahre (in der Schweiz nennt man das Reiten auf Saumrossen „fahren“) nun schon seit 20 Jahren Berg auf, Berg ab, ich habe Tausende von Engländern, Franzosen und Deutschen geführt, und spreche die drei Sprachen fast gleich gut, aber so gemüthlich geplauscht, wie mit Ihnen, Herr, hab’ i holt noch mit keinem. Und wenn man so Wochen lang in den Bergen umherschweift, still und ohne Lust an der Reise, da ist’s oft recht langweilig. Ich hab’s genossen. Der Sonderbarste aber,“ fuhr er fort, „der mir in meiner langen Praxis begegnet ist, war doch ein Engländer. Er mochte, weiß Gott wo, erfahren haben, daß ich früher mancher Gemse den Garaus gemacht und da drüben auf den tyroler Bergen verschiedene Adlernester ausgenommen, genug, er ließ mich plötzlich durch den Wirth aus dem Hotel Victoria in Interlaken auf 14 Tage engagiren, und eines Morgens rückten wir mit den ersten Sonnenstrahlen in die Berge, ohne ein Wort zu sprechen und ohne daß er meinen englischen Morgengruß erwidert hätte. Nach einer Stunde Wanderung aber stand er plötzlich still. Mit dem Alpstock auf das schneebedeckte Haupt des Silberhorns zeigend, und von dort weiter einen Kreis beschreibend, als wolle er damit andeuten, daß die ganze Gebirgskette zu durchwandern sei, sah er mich eine Weile schweigend an, und sagte dann langsam nur die beiden deutschen Worte: „Adler zeigen!“ – Dann ging er weiter. Von da ab ist während der ganzen Reise keine Sylbe über seine Lippen gekommen. Vierzehn Tage sind wir gewandert, durch Wind und Wetter, Schnee und Eis, haben alle Pässe, Höhen und Gletscher besucht, haben keinen Adler gesehen, aber ich habe auch kein Sterbenswörtchen mehr aus dem Munde dieses Menschen gehört, keine Klage, keinen Ausruf der Freude. Als wir nach 14 Tagen Abends spät wieder in Interlaken einrückten, zahlte er mir stumm in schönen Goldstücken den festgesetzten Lohn aus, nickte mit dem Kopfe und ging in sein Zimmer. Und Roß und Reiter sah’n sich niemals wieder.“

Die komische Geschichte stimmte mich sehr heiter, und lachend plauderten wir noch lange über das schweigsame Beefsteak, dessen Gestalt und Wesen mir der Führer sehr genau schilderte. Im Verlaufe des Gesprächs kamen wir natürlich auch auf seine früheren Gems- und Adlerjagden, über die er Vieles und Interessantes zu erzählen wußte.

„Ja, Herr,“[2] sagte er ernst, während wir die steinigen Pfade der Wengern-Alp hinaufkletterten, „seitdem da oben auf den Hirschhörnern, die von Gemsen wimmeln, mein Bruder hinabgestürzt ist – vor den Augen seines Sohnes, den er zum ersten Mal mit auf die Jagd genommen – seitdem habe ich das Gemsenspüren aufgesteckt, und bleibe daheim bei Frau und Kind. Es ist doch ein eigen Ding, den leiblichen Bruder da unten in dem Abgrund zu wissen, und dann wieder hinaufzusteigen auf dieselben Klippen und Felsen, von denen der Arme hinabgegleitet. Mit dem Adlerfang aber ist es schon aus, seit ich aus den tyroler Bergen zurückgekehrt und die weißen Haare mir geholt hatte.“

Ich sah den Erzählenden fragend an.

„Ja, Herr,“ lächelte er munter, „bei den Jägern in den Alpen kömmt es schon vor, daß Einer am Morgen hinaufsteigt auf die Berge, munter und frisch und mit vollen braunen Locken, und nach einigen Tagen zurückkehrt, bleich und matt und mit weißem Haar. So ist’s mir ergangen da drüben in Tyrol.“

Der steile Pfad hatte mich ermüdet, ich setzte mich auf ein

  1. Zu den vielen Nöthen einer Schweizerreise gehört auch die Noth um gute und rechtliche Führer, die nicht mit den Hotelbesitzern unter einer Decke spielen. Wir haben böse Erfahrungen gemacht, benutzen aber diese Gelegenheit, allen Reisenden den Führer Franz Eichhorn aus Arth (am Fuße des Rigi, Zuger See) als einen eben so dienstwilligen, bescheidenen, wie erfahrenen Begleiter in dem Gebirge zu empfehlen. Es vermehrt die Freuden der Reise, einen Mann an der Seite zu wissen, auf den man sich in jeder Beziehung verlassen kann. Die Redaction.     
  2. Es ist eine Eigenthümlichkeit der meisten Schweizerführer, daß sie auf jede Frage mit dem stereotypen „Ja, Herr“ antworten.   D. Verf.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_471.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)