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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

des Augenblickes selten beachtet. Indessen ist gegen diesen in der Bequemlichkeit der Menschen, in ihrer sinnlichen Erregbarkeit wurzelnden Hang schwer anzukämpfen. Ohne daher den sittlichen Werth einer geordneten Almosenspende in einzelnen Fällen dringenden Bedürfnisses, augenblicklicher, vorübergehender Noth bestreiten zu wollen, tritt der Unterzeichnete nur jeder directen und indirecten Unterstützung aus Privat- oder öffentlichen Mitteln alsdann auf das Entschiedenste entgegen, wenn es gilt, den dauernden, chronisch gewordenen Nothstand ganzer zahlreicher Gesellschaftsclassen zu heben. Hierzu ist die Subvention das allerverkehrteste Mittel, weil sie das Elend systematisch hegt und pflegt, anstatt es zu bekämpfen, die Massenverarmung förmlich decretirt, anstatt ihr entgegen zu treten.

Dem Arbeiterstande im Allgemeinen ein Recht auf Unterstützung zuerkennen, ihn an die Vorstellung gewöhnen, daß er durch eigene Thätigkeit sich seine Subsistenzmittel nicht vollständig verschaffen könne, ihn somit der Verantwortlichkeit für die eigne Existenz, der Hauptvoraussetzung alles gesellschaftlichen Zusammenlebens, entheben, ist das allergefährlichste und unausführbarste Experiment, der verderblichste Socialismus, der je dem Hirn eines Menschen entsprungen ist. Dadurch müßte die Gedankenlosigkeit und Trägheit, das Indentaghineinleben, in erschreckendem Maße gesteigert werden, und die Menge der Unterstützungsbedürftigen bald zu einem Haupttheile der Bevölkerung anwachsen, die für sie erforderlichen Mittel den Wohlstand der Gesammtheit verschlingen. Den besten Beleg, wohin man auf diesem Wege gelangt, bietet uns Belgien, das Musterland der Armen- und Rettungsanstalten, der Hospitäler und milden Stiftungen, welche, meist in geistlichen Händen, zusammen die ungeheuere Rente von 14 Millionen Francs jährlich consumiren, bei einer Bevölkerung von noch nicht 4 Millionen Seelen. Bereits erhält dort, ganz abgesehen von der gar nicht zu controlirenden Privatwohlthätigkeit, ein Viertheil der Bevölkerung, der je vierte Mensch Unterstützung aus öffentlichen Fonds, ein Verhältniß, wie es nirgends anders vorkommt. Wenn man bedenkt, welche ungeheure Summe hierdurch der Industrie, dem Fond, aus welchem die Arbeitslöhne bezahlt werden, verloren geht, und wie dieses Deficit mit den steigenden Forderungen der Armenpflege stetig wächst, eröffnet sich eine Aussicht, um welche man das gepriesene Land wahrhaftig nicht zu beneiden hat. Und was hier gilt, gilt überall, wo man den gleichen Weg einschlägt. Ueberall, wo die Subvention als Regel organisirt wird, geht nothwendig mit dem Sinken des allgemeinen Wohlstandes das Sinken der sittlichen und wirthschaftlichen Tüchtigkeit in der Arbeiterwelt Hand in Hand, was wiederum die Verschlechterung der gewerblichen Leistungen der Leute zur Folge hat.

Wie hierdurch einerseits die Productionsfähigkeit der ganzen Industrie, also die allgemeine Einnahme, geschwächt wird, wächst andererseits die Noth und das Bedürfniß der Unterstützung in den Arbeiterschichten, also die Ausgabe mittelst der Armentaxen, immer reißender, und mit den gesteigerten Ansprüchen in letzterer Beziehung sinkt das productive Capital des Landes, bis am Ende die Gesellschaft unter der unerträglichen Bürde zusammenbricht.

Die Selbsthülfe also, der streng durchgeführte Satz, daß durch vernünftigen Gebrauch der eigenen Kraft und gehörige Wirthschaft ein Jeder, auch der ganz Unbemittelte, sich eine angemessene Existenz sichern, sich emporarbeiten kann und soll, und daß Niemandem ein Recht auf fremde Unterstützung zusteht: mit einem Worte, die Selbstständigkeit und Selbstverantwortlichkeit auf dem Felde des Erwerbes, das ist die alleinige gesunde Grundlage, auf welcher der gesammte Haushalt der Gesellschaft beruht. Indem wir vorzugsweise die Bestrebungen für berechtigt erkannten, welche die Ermöglichung jener Selbstständigkeit für die Arbeiter förderten, kommen wir dahin, daß der nationale Standpunkt bei uns mit dem allgemein wissenschaftlichen, d. h. dem durch Vernunft und Erfahrung begründeten zusammenfällt, ein Umstand, auf welchen wir besondern Werth legen. So befinden wir uns recht eigentlich im Bereiche der Volkswirthschaft, und dürfen uns ungescheut den Volkswirthen, den Anhängern jener Wissenschaft beigesellen, von denen die erwähnte in Gotha stattfindende Versammlung ausgeht. Hat es doch die Volkswirthschaft mit Production und Handel, Arbeit und Lohn, Tausch und Werth, Eigenthum und Erwerb, also gerade mit den Fragen zu thun, die uns zunächst interessiren. Von allen diesen wichtigen Vorgängen im wirthschaftlichen Verkehrsprocesse der Menschheit sucht sie die natürlichen, aus dem Wesen der Sache selbst fließenden Grundbedingungen und Gesetze auf, von denen der Verlauf derselben abhängt und zum Heil oder Unheil für die dabei Betheiligten ausschlägt. Ohne gründliches Eindringen, ohne klares Bewußtsein von diesen Naturgesetzen des Verkehrs bleibt alles Eingreifen auf socialem Felde ein blindes Umhertappen, gleich dem Gebahren eines Quacksalbers, der sich mit Curen von Krankheiten abgibt, ohne den mindesten Begriff vom menschlichen Organismus zu besitzen. Mit dem bloßen guten Willen ist nichts gethan, und nirgends haben Unverstand und falsch verstandener Philanthropismus so geschadet, wie hier, wo solches verkehrtes Experimentiren schon hier und da beigetragen hat, ganze Gesellschaftsclassen jeder vernünftigen Einsicht in die eigenen Zustände immer mehr zu verschließen. Begrüßen wir daher die deutschen Volkswirthe, welche sich eine Erörterung der wichtigsten Fragen auf diesem Felde zur Aufgabe gestellt haben[1], als erwünschte Bundesgenossen, und helfen wir, ihrer Versammlung nach Kräften das nöthige Material zu übermitteln, betheiligen wir uns bei ihren Berathungen, um sie möglichst praktisch und fruchtbringend für das große Publicum zu machen. Nicht blos die Gelehrten, Erfahrenen, welche an den Debatten thätig Theil nehmen, zur Belehrung beizutragen vermögen, nein Alle, welche Trieb und Beruf in sich fühlen, sich über die einschlagenden Fragen aufzuklären und zu unterrichten, sind geladen, wenn sie den Ernst und die Hingebung mitbringen, wie sie die Sache erfordert. Dann erst, wenn von den verschiedensten Seiten sich die Theilnahme diesem ersten Versuche zuwendet: „eine große, tief in das Volkswohl eingreifende Angelegenheit in voller Oeffentlichkeit zu verhandeln und zur Nationalsache zu erheben,“ mag es geschehen, daß die in Gotha tagende Versammlung zu einem wahrhaften deutschen Congresse werde und ihre Berathungen, mit der ganzen Macht der aufgeklärten öffentlichen Meinung dahinter, eine Geltung erlangen, wie man sie gern und willig dem Verdict einer Jury von Vertrauensmännern der Nation zugesteht.

Mögen die rechten Männer und die rechte Weihe der Versammlung nicht fehlen.

Schulze-Delitzsch.[WS 1]


  1. Die Tagesordnung der Gothaer Versammlung enthält folgende Gegenstände: 1) die Reform der Gewerbegesetze; 2) das Associationswesen in Deutschland; 3) die Durchfuhrzölle des Zollvereins; 4) Spielbanken, Lotto, Lotterie; 5) die Wuchergesetze.




Allgemeiner Briefkasten.

St. in Dresden. Allerdings wird die Gartenlaube verschiedene Abbildungen der sächsischen Ueberschwemmungen bringen, und sind sofort zwei tüchtige Künstler nach Glauchau und Zwickau abgegangen, um an Ort und Stelle die nöthigen Aufnahmen zu machen. Nur erwarte man die Zeichnungen nicht in der nächsten Nummer. Wir achten unser Publicum zu hoch, um ihm improvisirte Schauerscenen und schlechte Holzschnitte zu bieten; zu guten Arbeiten aber gehört Zeit und haben namentlich unsere Leser noch zu berücksichtigen, daß bei der großen Auflage der Gartenlaube Satz und Druck einer Nummer vierzehn volle Tage wegnehmen. Ein schnelles Erscheinen dieser Abbildungen ist also unmöglich.

L. K. in Mhlhsn. Herr Wislicenus in Zürich wird sehr gern auf etwaige Anfragen wegen seiner Pension Auskunft ertheilen. So viel wir wissen beträgt das jährliche Honorar nicht über 200 Thaler.

Fr. Gß. in Amsterdam und Otto B… in Prag. Wie oft sollen wir wiederholen, daß Manuscripte von unaufnehmbaren Gedichten stets in den Papierkorb wandern. Wir bitten dringend, dies endlich zu beachten und uns nicht mit Reclamationen zu plagen.

Paul J–nickow in St. Petersburg. Bedauern, den gesandten Beitrag nicht acceptiren zu können. Die Gartenlaube bringt nur Originalartikel, keine Uebersetzungen. Wünschen Sie Ihr Manuscript zurück und auf welchem Wege?

G. H. in Prag. Ihre Erzählung: „die schwarzen Berge“, kann keine Aufnahme finden. Verfügen Sie gefälligst über Ihr Manuscript.




Bei Ernst Keil in Leipzig ist erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
A. Dräger, Lehrer am Domgymnasium zu Güstrow.
Die Natur des Hochgebirges mit besonderer Rücksicht auf die Gletscher.
Mit 4 lith. Ansichten in Tondruck und 5 Holzschnitten. – 12 Ngr.




Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Schultze-Delitzsch
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_480.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)