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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

an, aber er sprach, wie die Meisterin eben gesprochen, denn er sagte:

„Lieber Meister, wir wollen den Muth nicht verlieren.“

In die Augen des Meisters drängten sich Thränen, – die Meisterin hielt noch immer die Hand vor ihre Augen, – sie drückte sie fester vor dieselben, – dann sagte sie ruhig und bestimmt:

„Das können wir nicht annehmen.“

„Das ist zu viel,“ setzte der Meister hinzu, „zweiundzwanzig Thaler, – lieber Glogauer, –“

„Und wären es auch nur zwei, – wir könnten sie nicht annehmen,“ erklärte so ruhig, aber noch bestimmter, wie vorhin, die Meisterin.

„Wenn sich’s um Gesellenlohn handelt,“ sprach bittend der Arbeiter, ohne die Meisterin anzublicken, „dann ist es Sache zwischen Meister und Gesellen; – der Meister zahlt den Lohn.“

Die Thür ward geöffnet. Die Meisterin wendete sich und bedeutete den fremden Mann, der den Kopf hereinsteckte:

„Schon gut, – gehen Sie nur hinter an den Stall, – ich komme schon.“

Schnell nahm sie die Kreide und erneuerte auf der durchwischten Stelle: „Gesellenlohn 22 Thlr.“ – Dann verließ sie die Stube.

„Der Fleischer wird draußen sein, wird um das Schwein handeln,“ bemerkte der Meister; „haben’s aufgezogen und gepflegt seit dem Sommer, – wollten’s bald schlachten für uns, – nun muß es fort.“

„Auch ich will bald fort, lieber Meister, – kommt bessere Zeit, komme ich wohl wieder,“ sagte theilnehmend der Gesell. „Ich sehe hier das Exempel, das Sie schrieben, – und denke ich an den geringen Wollvorrath, den Sie noch auf dem Boden haben, –“

„Glogauer, guter Glogauer,“ fiel erschrocken der Meister ein, „thun Sie das nicht! Bleiben Sie wenigstens bei mir, so lange mein kleiner Vorrath an Wolle reicht. Und äußern Sie nichts gegen meine Frau, nichts davon, daß Sie fort wollen.“

„Nichts, nichts, wenn Sie nichts äußern, daß wir hierin einig sind,“ antwortete der Gesell und wischte von Neuem jenen Ansatz: „Gesellenlohn“ weg. „Sind wir einig hierin?“

„Wir sind’s, mein guter Glogauer, wir sind’s!“ versicherte Meister Friedel mit thränenfeuchtem Blick. „Sie schweigen, Glogauer, und ich schweige!“

Sie schüttelten sich die Hände.

Der Gesell wollte wieder hinter den Stuhl, an seine Arbeit, aber der Meister ließ ihm die Hand nicht los, sondern fragte:

„Wie stimmt das zusammen, Glogauer? Vorhin mahnten Sie: wir möchten den Muth nicht verlieren, – dabei meinten Sie sich doch selbst mit, – und bald darauf redeten Sie davon, daß Sie fort wollten?“

„Als ich vom Muth sprach, hatte ich noch nicht über jenes Kreideexempel nachgedacht.“

„O, lieber Gott, lieber Gott!“ klagte Friedel, „und denke ich an die Hypothek, die auf meinem Hause lastet, – was würde mir bleiben, wenn ich –“

Die Meisterin trat ein. Der Gesell ging schnell an seine Arbeit, der Meister löschte das ganze Exempel weg und setzte sich und sortirte Wolle.

„Machte sich der Handel?“ fragte er.

„Noch nicht ganz, lieber Mann,“ antwortete freundlich die Meisterin, „aber ich bin zufrieden mit der Aussicht, ich verlangte dreißig Thaler und der Fleischer ist hinaufgegangen bis auf achtundzwanzig.“

Da zuckte ein Freudenstrahl über des Mannes Stirn. Er dachte an des Glogauers zweiundzwanzig, – er addirte dazu die angekündigten dreißig, – bald aber sagte er betrübt vor sich hin:

„Das ist ja noch lange keine Rettung.“

Und betrübter noch wurde er; denn die Frau trat zu ihm und theilte nach und nach und schonend ihm mit, daß der Wolljude Wurm in der Stadt sei.

Gar schwer drückte diese Nachricht, welche der Fleischer mitgebracht hatte, auch auf der Meisterin Herz. Aber dennoch erschien sie äußerlich ruhig und gefaßt, – nur des Mannes wegen.

Sorgenvoller blickte ihr Auge nach dem Gesellen hin, – durch ihre Stimme zitterte es wie Tadel und Vorwurf, als sie sagte:

„Sie waren doch am gestrigen Abend auf dem Rathskeller, – dort logirt ja der Jude Wurm, – gewiß sahen Sie ihn, – Bernhard, Sie schwiegen davon?“

Der Gesell erröthete, und schwieg auch jetzt. Schneller und schneller ließ er den Schützen durch die Werfte fliegen, – wie träumend sah er nach der Decke, – wie Thränenglanz leuchtete es in seinen Augen.

„Lieber Gott, der Wollwurm, da kommt er!“ seufzte der Meister, während ihn zugleich der verdächtige Husten ergriff.

„Der Wollwurm!“ rief der Gesell.

Die Meisterin wendete sich ab, und eilte erschrocken nach dem Fenster, – der Gesell warf den Schützen bei Seite, dann stürzte er rasch zur Stube hinaus, – der Meister saß am Wolltische und hustete. Es schien, als habe Jeder nur mit sich zu thun, – und doch war es eigentlich nur ein zündender Funke, der in den Brennstoff der Gedanken Aller fiel, – die Gewißheit: der Wolljude kommt!

Und er kam, – er klopfte an die Thür. Der Meister hustete, er konnte nicht „herein!“ rufen. Die Meisterin wollte nicht rufen, – sie griff, als es klopfte, nach der Klinke, öffnete, trat hinaus.

Da steht sie nun vor dem Juden, die junge, schöne Frau. – Wie ganz anders steht sie, als sie drinnen stand in der Stube. Gebeugt ist ihre schlanke Gestalt, der Kopf gesenkt, so daß die vollen, dunklen Haarflechten hereinfallen bis zur Hälfte des Gesichts. Und über das Gesicht hin zuckt die Schrift, die jeder gute Mensch versteht, die Schrift der Bekümmerniß, und in den Augen das Kind der Bekümmerniß, der feuchte, schöne Glanz, der nahe daran ist, das Auge mit großen Tropfen zu füllen.

So steht sie, – und nach einigen Secunden spricht sie:

„Herr Wurm, mein armer Mann ist krank, – der Wechsel, der nach einigen Tagen zahlbar wird, – achtzehn Stück Tuche liegen da, – warten Sie, Herr Wurm, bis diese verkauft sind, – sein Sie nicht hart, – der Mann ist krank vor Sorge und Harm.“

„Werde doch hören den bösen Husten! Und muß ich gelten immer als hart?“ entgegnete Wurm.

„O, das wollte ich nicht sagen, Herr Wurm,“ sprach erschrocken und mit leiser Stimme die Meisterin, und nahm des Juden Hand, – „habe ich das gesagt?“

„Ob gesagt, ob nicht gesagt – soll ich’s untersuchen bei der hübschen jungen Frau?“ lächelte Wurm, indem er die zitternde Hand der Meisterin drückte.

Aber plötzlich verschwand sein Lächeln, er ließ die Hand der Meisterin los, er griff nach der Thürklinke. Ehe er letztere niederdrückte, sprach er gereizt:

„Schon gehört von dem Rathskeller? – gesagt, gesagt, getrompetet haben dort die Leute, daß ich sei hart, – daß ich ruinire die Tuchmacher, die Schuhmacher,“ –

Er drückte die Klinke, er trat in die Stube, er grüßte den Meister, er las in dem harmvollen Angesicht desselben, – las fort und fort, obgleich er dabei sprach: „Pleite, Pleite, – miserable Zeit! – Warum haben gestichelt die Leute auf mich? Sollten doch sticheln auf die Krisis, welche schier nun ruinirt auch die Tuchmacher und Schuhmacher, weil sie haben gekauft theure Wolle und theures Leder. – Hab’ ich’s gemacht theuer, hab’ ich’s gemacht wohlfeil? Hat’s nicht gemacht die Krisis in Wolle und Leder und allen Artikeln, mit welchen handelt der Mensch in Europa und Amerika? Wer hat gemacht die miserable Zeit, wo nirgends sich zeigt eine Nachfrage und überall wimmelt das Angebot, – Angebot im Großen und im Kleinen, in allen Artikeln? Soll ich tragen die Schuld, daß die Rohartikel standen so hoch im Preis, und die fertige Waare nun steht so niedrig im Preis? Schaff ich’s daß man die fertige Waare nicht begehrt, nicht haben will, selbst zu einem Spottpreis? – Unverstand, miserabler Unverstand, wenn die Leute auf dem Rathskeller sticheln nach mir, da ich doch nicht handle mit etwas Anderem, als mit einem Bischen von Wolle und Leder. Wir haben’s zu thun mit einander in Wolle, Herr Friedel,“ fuhr er jetzt ruhiger fort, indem er die Brieftasche öffnete, und einen Wechsel herausnahm, den er dem Meister vorzeigte.

„Fünfhundert und zwanzig Thaler,“ las laut aber mit angstvollem Ausdruck der Meister, während die Meisterin den großen Wandschrank aufschloß.

„Und hier sind die achtzehn Stück Tuche, von denen ich vorhin sprach,“ erinnerte ruhig die Meisterin, und deutete auf den geöffneten Schrank.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_483.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)