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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


„Schon abgemacht Alles? schon glatt und rund Alles?“ fragte der Jude nach dem geöffneten Schrank hin.

„Nein, Herr Wurm,“ antwortete die Meisterin, „wir haben noch die Spinnlöhne und andere Auslagen zu decken.“

„Lieber Gott,“ sprach ängstlich der Meister, als er sah, daß der Jude die Achseln zuckte, „wenn Sie nun Tuche nähmen, wenn Sie mir abkauften, Herr Wurm, – ich kann den Wechsel nicht mit Geld – Geld wird erst, wenn ich die Tuche absetze.“

„Hab’ schon gehört in der Stadt, was man that für ein Gebot auf ihre Waare, – ich weiß auch, daß sie gut ist, Ihre Waare, – könnte aber dennoch so viel nicht geben, als man schon bot auf die Waare. So dürfte es sein das Beste, wir machten kein Geschäft, – müßte Sie drücken, Herr Friedel, – drücken, selbst wenn ich nicht haben wollte einen kleinen Profit, – überall Angebot, nirgends Begehr, – aber nicht streng will ich sein mit dem Wechsel, will warten nicht heute nur und morgen, – will in Geduld stehen zwei Monate lang, Herr Friedel.“

„O Gott, lieber Gott, meinen Dank!“ rief der Meister.

„Unsern Dank, – o wir werden ja ehrlich bezahlen!“ sprach gerührt die Meisterin, und ging hin und gab dem Juden die Hand.

„Müssen eigentlich danken nicht mir,“ antwortete Wurm, „müssen danken Ihrem Tuchknappen, Ihrem Glogauer, – wird erzählt haben schon von dem Rathskeller, – und wo ist der brave Knapp, der brave Tuchknapp? Hat er erzählt gar nichts davon? So will ich erzählen.“

Der brave Tuchknapp aber befand sich arbeitend oben in der Wollkammer. Wir wissen, daß er schnell die Stube verließ, als der Jude sich zeigte. Da war er denn zuerst hinter gelaufen in den Hof, hatte Holz geordnet für die Meisterin, hatte den Hof gesäubert, das Schwein gefüttert, dann sich hinaufbegeben in die Kammer, wo noch einige Stein Wolle lagen, – der letzte dürftige Rest von dem letzten theuern Einkauf. – Die Arbeit in der Kammer war keine drängende, aber der Gesell wollte dem Juden ausweichen, wollte nicht zugegen sein, wenn derselbe den Wechsel präsentiren würde.

Braver Bursche, es wäre besser für Dich gewesen, wenn Du unten geblieben. Du hast Deine Sorge, Deine Angst ja mit hinaufgenommen in die dürftige Kammer, – Du sagst Dir, Du weißt es, der Jude wird keine Nachsicht üben, wird und will nicht in Geduld stehen. Hast Du ihn doch begrüßt darum, gebeten darum, innigst mit Deinem ganzen Herzen gebeten gestern, als Du seiner Dich annahmst auf dem Rathskeller, wo Viele durch Witz und zweideutige Reden ihn ins Gedränge brachten. Sprachst Du doch für den Mann mit Wärme, mit Kraft, mit voller Jünglingswürde. Brachtest Du seine Feinde doch zum Schweigen. – Und als Dich dann der Jude in einen stillen Winkel zog und Dir dankte, und Dir ein Goldstück in die Hand schob, und Du das Goldstück nicht annahmest, sondern Deine Bitte, Deine innigste Bitte für den Meister vorbrachtest, – – – guter, braver Bursche, das Alles geht jetzt durch Deine Seele, – der Jude schlug Deine Bitte Dir ab. – Du hast geschwiegen von Allem gegen Meister und Meisterin, – ach wie gern hättest Du erzählt, hättest Du Tröstliches ihnen mittheilen können! Du bist geflohen, als der Jude vorhin in die Nähe des Hauses kam. Wie gern wärest Du unten geblieben, wäre der Mann am gestrigen Abend nicht unerbittlich geblieben in dem stillen Winkel auf dem Rathskeller! – Gesell, wir wollen nicht mit Dir rechten, daß das Leid, welches Deine Seele füllt, auch durchflammt wird von Bitterkeit und Zorn.

Deine Arbeit in der dürftigen Wollkammer ist gethan. Du stehst – Du sinnst – Du greifst in Deinen tiefschwarzen Bart, – blickst düster auf das Häuflein schneeweißer Wolle.

Da ruft es unten aus dem Hausflur nach der Treppe hinauf:

„Bernhard, kommen Sie doch herunter!“

Hörst Du es nicht? – Ach, Du hörst es, Du kennst die Stimme, – Dein Gesicht wird roth, – einen Schritt thust Du vorwärts, dann trittst Du wieder zurück an das Häuflein Wolle, – Du bleibst. –

Zwei Minuten kaum, da ruft es wieder: „Glogauer, kommen Sie doch herunter!“

Du kennst die Stimme, würdest sie kennen auch wenn sie nicht begleitet wäre von einem Hüsteln.

Da sprichst Du: „Der Jude wird fort sein.“

Und Du gehst nun.

Der Jude aber war noch da.

Als der Gesell in den Hausflur gelangte, traf er auf den Juden und die Meistersleute zugleich. Der Jude aber öffnete die Stubenthür, und schickte die Meistersleute hinein, zog ein Goldstück aus dem Beutel und sagte: „Zuerst das hier, nehmen Sie, will nicht bleiben in Schulden!“

Der Gesell sah den Juden nicht an, drängte die Hand, die das Goldstück hielt, zurück, sagte keinen Gruß, kein Wort, – wollte nach der Thür.

Der Jude vertrat ihm den Weg.

„Herr Glogauer,“ hob er an, „hab’ Alles gefunden, wie Sie’s beschrieben auf dem Rathskeller, – hab’ daher erfüllt Ihre Bitte, – werde in Geduld stehen zwei Monate – bis die achtzehn Tuche verkauft sind, – kann ich mehr?“

„O, ist das wahr, ist’s wahr, Herr Wurm?“ rief laut und freudig und sich selbst vergessend der Gesell.

Und drinnen in der Stube klopfte ein Finger an die Thür, und zwei Stimmen antworteten zugleich: „Ja, es ist wahr!“

„Werde ich machen eine Lüge, eine Lüge gegen Sie?“ versetzte der Jude. „Haben Sie mir nicht geholfen auf dem Rathskeller, und müssen wir uns nicht gegenseitig helfen in der Krisis?“

Da warf sich der Gesell an des Juden Brust. Leise dankte er ihm, leise versprach er, ihm zu dienen, wie und wo er nur könne. Dann zog er ihn ein Stück weg von der Thür, hin an die entgegengesetzte Wand, und fragte ihn leise wie vorher, ob die Meistersleute ihm gesagt, daß die Frau nach Braunschweig wolle zur Messe, ob dort Absatz und höhere Zahlung zu erwarten, – was überhaupt für den Meister zu thun sei.

Der Jude sprach nun ebenfalls still. Er theilte ihm mit, daß die Meistersleule mit ihm geredet über den Besuch der Braunschweiger Messe, und wie er das billige und der Meisterin einige gute Adressen für diesen Meßplatz gegeben habe, – wie er aber für günstige Erfolge in der gegenwärtigen Zeit nicht stehen könne, – wie Alles bei solch einem Versuch auf’s Glück ankomme.

„Und was ist für Meister Friedel überhaupt zu thun? Was würden Sie thun, Herr Wurm, wenn Sie in des Meisters Lage sich befänden? Geben Sie mir guten Rath, Sie sind ein erfahrener Geschäftsmann, Herr Wurm. Kann die Meisterin etwas thun? Kann ich etwas thun? Was soll geschehen, wenn es in Braunschweig fehlschlägt? Ich dachte im Stillen schon an Frankfurt, denn einige Wochen nach Braunschweig ist Messe in Frankfurt an der Oder, – ließe sich dort nichts schaffen, Herr Wurm?“

Als der Gesell so gesprochen und gefragt, lächelte der Jude vor sich hin, und wiegte langsam den Oberkörper, ohne etwas zu erwidern.

„Also nichts mit Frankfurt?“ fragte der Gesell.

„Ist nichts zu machen in Braunschweig, wird noch weniger sein zu machen in Frankfurt,“ erklärte nun Wurm.

„Und was da zu thun? Wissen Sie nichts, Herr Wurm?“ drängte Jener. „Sie lächeln und geben doch keinen Rath, – wissen Sie keinen?“

„Wissen, wissen,“ entgegnete der Jude, „wenn ich überlegte, wie Alles steht, warum sollt’ ich nicht wissen? – Und wenn Sie nicht wären zu jung und zu brav, – aber weil Sie brav, brav, haben Sie mich ja geschützt gestern auf dem Rathskeller, und das war schön, – also nicht gestrichen werden, nicht wegbleiben soll das Brav, – doch sind Sie zu wenig Geschäftsmann noch, wissen noch nicht, daß man kann sein brav und doch auch Geschäftsmann, – also wenn Sie nicht wären zu jung und zu wenig braver Geschäftsmann, würde ich rathen –“

„So rathen Sie, Herr Wurm!“ bat der Gesell, „bin ich doch nicht zu jung, nicht zu wenig Geschäftsmann!“

„Wenn Sie mir versprechen, zu handeln brav gegen mich, wenn Sie sorgen dafür, daß bezahlt wird mein Wechsel, bezahlt unter allen Umständen.“

„Das verspreche ich! Dafür will ich sorgen!“ versicherte der Gesell, und gab dem Juden ehrlichen Handschlag.

(Schluß folgt.)




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