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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Geboren ward er am 20. Juni 1820 zu Elberfeld in einem kleinen, dem Geräusche der Stadt fernab gelegenen Häuschen. Sein Vater, Peter Schults, Seidenweber und später Werkführer in der Fabrik von Joh. Simons’ Erben, war ein schlichter Mann von schroffer Rechtschaffenheit und strengster kirchlicher Richtung; seine Mutter, eine Französin, die durch die Kriege der Republik zur armen Waise geworden, hatte das lebhafte, leicht erregbare Temperament ihres Volkes und zugleich eine den Stand ihres Mannes weit überragende Bildung. Wie in dem Charakter und dem Gemüthe eines jeden Dichters eine gewisse Weiblichkeit unerläßlich, und wie jeder Dichter diesen Theil seines Wesens von seiner Mutter überkommt, so auch bei Schults, dessen Empfänglichkeit, Weichheit und Reizbarkeit sein mütterliches Erbe. Die engen Räume reichten bald zum Tummelplatze vier munterer Knaben nicht mehr aus und der alte Schults bezog mit seiner Familie eine größere Wohnung, die, zwischen Gärten gelegen, von Wald und Bergen fern begrenzt, das aufknospende Dichtergemüth in unmittelbare Berührung mit der Natur brachte, deren Verständniß sich ihm bald auf’s Innigste erschloß und mit der er sein ganzes Leben lang in ununterbrochenem Verkehr geblieben, sowie eine tiefe Sehnsucht nach jenem grünumlaubten Paradiese seiner Kindheit ihn nie verlassen. In dieser fast ländlichen Zurückgezogenheit entwickelte sich aber auch jene Schüchternheit, die Schults nie überwunden, die ihn stets von der Welt fern gehalten, und die Ursache war, daß er der Realschule seiner Vaterstadt, in der er seine weitere Ausbildung erhalten sollte, gleich am ersten Tage entlief und trotz aller Vorstellungen nicht wieder zurückkehrte. So hat er seinen eigentlichen Unterricht nur in einer Elementarschule erhalten; Bibel und Gesangbuch, die ganze Bibliothek des väterlichen Hauses, waren seine ersten Bücher, seine ersten praktischen Versuche Nachbildungen alter Kirchenlieder. Obwohl schon früh der rege Geist und die ungewöhnliche Begabung des Knaben sich offenbart, rieth gerade der einzige Mann, der um deswillen Theilnahme ihm geschenkt, ein Prediger des Thales, davon ab, ihn studiren zu lassen, und so mußte er in seinem vierzehnten Jahre als Handlungslehrling in dem Hause eintreten, wo sein Vater Werkführer war, und hat – wie ein Freund, dessen Güte wir diese Notizen verdanken,[1] schreibt, – „von dieser Zeit an bis an sein Ende mindestens neun Stunden des Tages mit Abneigung und Ueberwindung als Comptoirist gearbeitet,“ zugleich aber auch mit Fleiß und Pünktlichkeit, denn er war ein Mann und füllte seinen Beruf, wenn auch mit Widerstreben, doch tüchtig aus. Seine einzige freie Zeit, die späten Stunden des Abends und der Nacht, opferte er dem rastlosen Drange, sich auszubilden; mit eisernem Fleiß und unerschütterlichem Muthe verfolgt er sein Ziel; sein eigener Lehrer und Schüler verdankt er Alles, was er geworden, sich selbst. In dieser Zeit entstanden auch seine frühesten Lieder, von denen Lewald’s „Europa“ im Jahrgang 1837 die ersten veröffentlichte. Einer anderen Nachricht zufolge soll das „Negerschiff“ das zuerst, und zwar in der „Didaskalia“, gedruckte seiner Gedichte sein. Gleiches Streben und ähnliches Loos führten ihm einen Freund zu, der bis zum letzten Augenblicke treu an seiner Seite blieb: Friedrich Röber, durch mehrere dramatische Dichtungen underdeß bekannt geworden.

Bald auch trat ein wichtiges Moment, eines der einflußreichsten in dem Leben eines Dichters, in das seinige: die Liebe. Sein vereinsamtes, im glühenden Drange wesenloser Gefühle überquellendes Herz suchte und fand den Gegenstand seiner unbestimmten Sehnsucht, die Verwirklichung seiner Träume in einem Mädchen, das häufig des Dichters Eltern besuchte, zugleich die erste und einzige weibliche Erscheinung, die diesem in seiner Zurückgezogenheit näher trat. Von ihrem Bilde erfüllt, wanderte er hinaus auf einen Waldhügel mit herrlicher Aussicht über das ganze Wupperthal, auf dem er zu träumen und zu dichten liebte. Dieser Minnefrühling war die letzte sonnenhelle Zeit seines Lebens, ein flüchtiger Kuß, den das Glück auf des Dichters Stirne hauchte. Der Sommer 1843 vereinigte ihn mit der Geliebten, die, obgleich acht Jahre älter und an Bildung unter ihm stehend, mit unermüdlicher Aufopferung, mit selbstlosester Hingebung sein Schicksal theilte, sein Trost und seine Stütze, und die er mit unverminderter Zärtlichkeit bis zur letzten Stunde geliebt, um so wärmer, je höher er sie achten und ihren Werth erkennen lernte. Mit seinem Herzblut ist das schöne Lied geschrieben: „O, mein Weib, wie hat das Leben Deine Bürde schwer gemacht!“ Und sie war schwer, für Beide! Gleich nach dem schönsten Tage ihres Lebens begann die Reihe der trüben. Mißhelligkeiten veranlaßten ihn, aus dem Geschäft, in dem er bis dahin gearbeitet, auszutreten. Damit kam ihm der Gedanke, des verhaßten Berufes sich gänzlich zu entledigen und den Weg einzuschlagen, den Neigung und Talent ihm anzuweisen schienen. Er redigirte eine Zeitlang stellvertretend die Barmer Zeitung, correspondirte für auswärtige Blätter, ohne jedoch bei dieser rein literarischen Beschäftigung ausreichendes Brod und innere Befriedigung zu finden. Die ihm angebotene Stellung eines Unterbeamten bei einer Eisenbahn widerte ihn noch mehr an, als seine bisherige kaufmännische, und so kehrte er verstimmter denn je auf das Comptoir zurück, dem er nun einmal verfallen war. Zu diesen Leiden der Seele gesellten sich auch noch körperliche: er stürzte bei einer Kahnfahrt in’s Wasser und war seit dieser Zeit mit peinlichen Kopfbeschwerden behaftet. Die nervöse Reizbarkeit des Hypochonders übertrieb in krankhafter Einbildung die Bedeutung dieses Uebels, das allerdings durch seine sitzende Lebensweise noch vermehrt wurde, er wähnte sich unrettbar. Eine im Sommer 1845 nach Homburg unternommene Badereise besserte nichts, da er seinen dortigen Aufenthalt weit über das Bedürfniß abkürzte: er fühlte sich in der Fremde noch unglücklicher, als zu Hause. Am Tage der Rückkehr starb sein Vater, den er mit glühender Verehrung geliebt und dem er blutende Lieder nachweinte. Diese allgemeine körperliche und geistige Verstimmung lähmte auch die schaffende Kraft des Dichters. Die „Blumenlieder“ hatten zuerst seinen Namene in weiteren Kreisen zur Geltung gebracht, dagegen entsprach der Erfolg seiner gesammelten Gedichte, die in erster Auflage bei Baensch in Magdeburg erschienen, seiner vielleicht etwas zu hoch gespannten Erwartung nicht ganz. Er wurde auch nach dieser Seite hin mißmuthig und verbittert und schwieg mehrere Jahre, bis erst gegen Ende 1846 mit einigen im Cotta’schen Morgenblatte abgedruckten Artikeln seine geistige Thätigkeit einen neuen Anlauf nahm. Das Jahr 1848, obschon es den unterdeß Familienvater gewordenen Schults eine Zeit lang außer Brod brachte, gab der Seele des Dichters neuen Aufschwung und regte ihn mächtig an. Nachdem er in einzelnen, meist sarkastischen Liedern, wie dem „Weberlied“, der lange in ihm angesammelten Bitterkeit Luft gemacht, dichtete er, durch die Schilderungen eines ausgewanderten Freundes begeistert, seine schwungvollen, kräftigen „Lieder aus Wisconsin“ voll glühender Begeisterung für die Freiheit und zugleich inniger Anhänglichkeit an das Vaterland. Ihre Frische und Lebendigkeit veranlaßte mehrfach zu dem auch in die biographischen Notizen einiger Anthologien übergegangenen Irrthume, daß der Dichter wirklich im Landes seiner Sehnsucht wohne. Eine Thatsache statt eines Urtheils. Kurz darauf entstanden die „Märzgesänge und Leierkastenlieder“, politische Schwärmereien, Kinder der damaligen Zeit und mit der Mutter zu Grabe getragen. Für alle Zeiten aber werden leben und den Namen des Dichters in hohen Ehren erhalten die „Lieder des Hauses“, die mit jenen beiden Cyklen zusammen erschienen und denen unsere gesammte Literatur nichts Aehnliches an die Seite zu stellen hat. Nach dieser so fruchtbaren Periode verfiel Schults wiederum in mehrjähriges, unthätiges Versunkensein. Eine angemessene Stellung, die ihm 1850 auf’s Neue im Simons’schen Hause wurde, gestaltete seine Verhältnisse freundlicher und ermunterte ihn zu ernsten und anhaltenden Studien auf dem Gebiete der epischen Dichtung, das er jetzt zum ersten Male betrat. Die nächste Frucht dieser Thätigkeit waren gediegene Vorlesungen über neuere Balladen- und Romanzendichter, zwei Jahre später in Elberfeld vor einem großen und gewählten Kreise mit bedeutendem Erfolge gehalten. Sie führten ihm auch jene jungen Poeten zu, die seitdem oft mit ihm als „Wupperthaler Dichterschule“ genannt sind: Gustav Reinhardt, Emil Ritterhaus und Karl Siebel. Ihr jugendliches Streben regte ihn an und bei und mit ihnen vergaß er oft der drückenden Sorgen, die seine allmählich zahlreicher werdende Familie täglich schwerer auf sein müdes Haupt häufte. Im folgenden Jahre, 1853, erschien sein erstes episches Gedicht „Martin Luther“ bei Brockhaus. Es fand vielen und verdienten Anklang und in rascher Aufeinanderfolge dichtete Schults drei ähnliche Epen: den „Huß von Genf“ (Servet), „Andreas Hofer“ und „Thomas Münzer“, die bis jetzt noch sämmtlich Manuscript geblieben, wiewohl sie der Veröffentlichung würdiger, als die meisten der goldgeschnittenen Reimereien, mit denen wir jeden Tag überfluthet werden. 1855 hielt er wieder öffentliche Vorträge über „Schiller und Goethe vom phrenologischen Standpunkte aufgefaßt“,

  1. Karl Siebel, der bekannte und geschätzte Wupperthaler Dichter.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_486.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)