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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

und gab bei Bädeker in Iserlohn den „Ludwig Capet“, ein größeres erzählendes Gedicht, heraus. Leider wurde es für ihn eine Quelle neuer Bitterkeit, die bis zu seinem Ende an ihm nagte. Er hatte das Epos nach der Vollendung in Elberfeld vor zahlreichen Hörern an mehreren Abenden vorgelesen und die Gemüther auf’s Tiefste ergriffen und erschüttert, der Verleger es um namhaften Preis gekauft, der Dichter auf hohen Erfolg gehofft. Die Kritik und das weitere Publicum aber, die ein großes, mit kräftigem Pinsel ausgeführtes Gemälde des welterschütternden Revolutionsdrama’s erwartet, fühlten sich enttäuscht, statt dessen nur die Leidensgeschichte des unglücklichen Königs zu finden, geschildert allerdings mit jener hinreißenden Gemüthswärme, mit jener überwältigenden Wahrheit, wie sie nur Schults, der selbst ein kummerschwerer Märtyrer, zu eigen.[1] Die Aufnahme war lau, die Hoffnung des Dichters geknickt. In diesem Jahre erschien bei Böhlau in Weimar die letzte Lieder-Sammlung von ihm: „der Harfner am Heerd“, eine würdige, unabgeschwächte Fortsetzung der Lieder des Hauses. Es herrscht darin oft eine glückliche, friedliche Stimmung, die wohlthun würde, wüßten wir nicht, daß sie leider nur die Stimmung des Dichters, nicht auch die des Menschen. Er war schon seit langer Zeit von neuem, anhaltendem Siechthum heimgesucht, dem er endlich am 2. April erlag, nachdem er wenige Tage vorher sein letztes Gedicht niedergeschrieben, das wir bereits mitgetheilt. Es ist ein erschütternder Schmerzensschrei seines müden Herzens, das die Sehnsucht nach dem erlösenden Tode zurückdrängt und noch weiter dulden will – des Weibes und der sieben Kinder wegen! Es brach. –

Und so haben wir ihn denn zur Gruft gesenkt, einen jener gegeißelten Könige des Gesanges, deren Purpurmanteel mit dem eigenen Herzblute getränkt ist, der Lorbeerkranz die Dornenkrone nicht verdecken kann, die ihre Stacheln tiefschmerzend in die bleiche, gramgefurchte Stirne drückte. Sein Tod hat die Menge wieder einmal aus ihrer Stumpfheit emporgerüttelt, die Achtung seiner Mitbürger die nächste Zukunft der Hinterbliebenen gesichert, die Zeitschriften bringen trauernde Artikel, man wird ihm vielleicht ein Denkmal setzen, irgend ein Papierspeculant wird ihn zum Helden eines „literarhistorischen Romans“ machen, gierig verschlungen von der Masse, die mit naiver Grausamkeit an den Leiden ihrer Lieblinge sich weidet, wie ein Kind den farbenprächtigen Schmetterling, das Ergötzen seiner Augen qualvoll sich zu Tode martern sieht, aber trotz alledem und alledem bleibt der Dichter todt, und was noch viel schlimmer, hat er in Elend und Unglück gelebt. Wieder einmal stehen auf dem Sarge eines verkommenen bedeutenden Menschen die fluchbeladenen Worte: „zu spät!“ dieses Mene Tekel unserer Zeit, die bei all ihrem athemraubenden Rennen und Jagen dennoch stets am Ziele blindlings vorbeischießt und erst dann umkehrt, wenn es eben zu spät ist. Wie viele eurer Besten mußten sterben, um von euch in ihrem vollen Werthe erkannt und gewürdigt zu werden, an zahllosen Bahren habt ihr leidtragend gestanden, schamgeröthet ob der Ueberzeugung, daß ihr hättet helfen, retten können, da es noch Zeit war! Fern sei es von uns, gleich dem jungen Frankreich, für jedes schiffbrüchige Talent, für jeden Verbrecher und jede gefallene Dirne mit declamatorischem Pathos die ganze Gesellschaft verantwortlich zu machen, mag sie gleich nicht immer ohne Schuld sein, vielleicht auch diesmal nicht. Aber den Druck der Verhältnisse wollen wir beklagen, der mit roher Faust die zarten Saiten dieses Dichtergemüthes zerriß, dem blinden Glücke fluchen, das dem edlen Todten die Gewährung so bescheidener Wünsche versagte, während es nur zu oft die erbärmlichste Gemeinheit vom leeren Schädel bis zu der Fußsohlen übergoldet!

Adolf Schults ist mitten in seiner Entwickelung uns entrissen worden, und wie war diese Entwickelung gehemmt! sie hat sich förmlich durch Felsen hindurchhauen müssen. Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, kann sich den kurzen Abriß seines einfachen äußeren Lebens, wie wir ihn oben gegeben, zu einer langen Leidensgeschichte voll verzweifelten Kämpfens und Ringens, voll trüber Tage und durchwachter Nächte, voll bitterer Enttäuschungen und gescheiterter Hoffnungen weiter ausspinnen. Wie ein armer Gefangener ohne Licht und Luft, verschmachete der unglückliche Dichter in den Fesseln des ihm aufgezwungenen Berufes, den er nicht verlassen konnte, nicht verlassen durfte, denn er wollte leben, mußte leben um Andrer Leben willen, und – die Poesie gibt ihren Kindern Alles, nur kein Brod, sie ist eine arme Mutter. Was er an Schmerz und Bitterkeit darob empfunden, hat er beredter und überwältigender, als wir es auf endlosen Bogen zu tun im Stande, in folgenden zwei Versen ausgehaucht:

„O, wäre mir gewiesen
Ein besserer Beruf!
O könnt ich flieh’n nur diesen,
Für den kein Gott mich schuf!

Von allen Götterbildern
Erblickt’ ich eines nur:
Auf bunten Krämerschildern
Den Handelsgott Mercur.

Das Herz möchte Einem brechen vor Wehmuth, wenn man sie liest! Schults war zum Dichter geboren und bestimmt; er vergaß, was ihn drückte und quälte, er war gesund, geistig und körperlich, wenn er dichtete. Müde und abgespannt von der Arbeit des Tages, sang er seine Lieder voll Duft und Frische, wie jene Blumen, die am Tage den Kelch ängstlich verschlossen halten, und nur in die stille, verschwiegene Nacht hinaus ihre köstlichen Wohlgerüche hauchen. Er schuf mit fast fiebernder Schnelle, seine umfangreichsten Dichtungen sind in wenig Wochen entstanden. Der Trieb und die Lust des Schaffens hielten ihn aufrecht; war ihnen genügt, dann sank er wieder in sich zusammen: ein kranker Mensch mit überreizten Nerven und verbittertem Gemüthe, das nur im Kreise vertrauter Freunde zuweilen in scharfschneidigen, geistvollen Sarkasmen sich äußerte. Ein stiller Dulder, hat er schweigend sein hartes Loos getragen, der Schmerz hatte ihn geläutert: er war einer der edelsten Menschen, die je gelebt und gelitten. Ohne Falsch, treu, brav und zuverlässig in allen Lagen und Verhältnissen, hat er den schweren Pflichten, die ihm auferlegt, bis zum letzten Augenblicke standhaft und ohne Murren genügt. Mit welch heißer, aufopfernder Liebe er Weib und Kinder umfaßte, erkennt sich am besten aus seinen Liedern, die das Gepräge wahrer Empfindung auf jedem einzelnen Worte tragen; was er seinen Freunden war, lehrt uns deren trostloser Schmerz. Sein Volk aber hat einen Dichter verloren, wie es deren wenige besitzt, der tief in ihm wurzelte, der für all seine Freunden und Leiden Gefühl und Wort hatte, der den trauten Heerd des Hauses mit den grünen Ranken seines Liedes schmückte. Keiner vor ihm hat den süßen Zauber der Häuslichkeit, das Glück und den Trost der Familie mit solcher Innerlichkeit erfaßt, mit so hinreißender Wärme und Wahrheit geschildert und verherrlicht, als Schults, und diese Seite seiner Poesie ist ihre größte und verdienstvollste. In einer Zeit, die an ihrer Aeußerlichkeit zu Grunde zu gehen droht, hat er uns auf die Schätze des Innerlichen aufmerksam gemacht, denen so Viele leichtsinnig und frevelhaft den Rücken kehren. Nichts bei Schults ist gemacht und gekünstelt, Alles wahr, einfach und schlicht, seine Empfindungen und seine Verse, die noch lange unser Stolz und Entzücken sein werden. Er hat keine Unterstützung genossen, keine Pension bezogen, kein Orden machte sich auf seinem schlichten Rocke breit, kein Titel hat sich angemaßt, seinem Namen Glanz und Würde verleihen zu wollen; dafür hat ihn das Volk in sein Herz geschrieben, das sich seine Dichter nicht aufdrängen läßt, sondern sie mit richtigem Gefühle und gesundem Urtheil sich selber auswählt. Einen Kranz auf seinen Hügel und Friede seiner Asche!

Albert Traeger. 




Die Nörgelsucht.
Vom Verfasser der „nervenkranken Damen.“ (Gartenlaube 1858. Nr. 13)

Mein Incognito hat mir Gelegenheit verschafft, die verschiedenen Urtheile und Gespräche zu belauschen, welche mein voriger Aufsatz im Publicum hervorrief. Bei dieser Gelegenheit hat ich unter Anderem wahrgenommen, daß man im Publicum eine Menge von Personen als „Hysterische“ oder „Hypochondrische“ betrachtet, welchen man durch eine solche Benennung viel zu viel Ehre

  1. Die Verlagshandlung (Bädeker in Elberfeld) verkauft jetzt Exemplare des Ludwig Capet für 15 Silbergroschen zum Besten der Hinterlassenen des Dichters.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_487.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)