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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Zwischen beiden Theilen waltete ein Verrufsverhältniß ob, das dann und wann recht unangenehme Auftritte herbeiführte, im Allgemeinen gingen aber die Dinge ziemlich glatt ab; man hatte gelernt, sich gegenseitig zu dulden, und unter der Hand verkehrten auch Hausburschen der feindlichen Parteien ganz gemüthlich miteinander. Mir persönlich haben die Extreme niemals zugesagt und so nahm ich denn auch keinen Anstand, mit einigen „netten Kerlen“ Umgang zu pflegen, obwohl sie andere Farben trugen. Ihre Versuche, mich zu „keilen“ und der Burschenschaft abwendig zu machen, scheiterten an der starken Neigung zu meiner Farbe.

Unter den Landsmannschaften, gab es ganz vortreffliche Burschen, ich fand sie gar nicht so „verrucht“, wie mir die Hallenser gesagt hatten, auch waren sie nicht so abgestumpft gegen vaterländische Dinge, wie ich mir eingebildet. Zwar blieb ich ein strenger Burschenschafter, aber ich legte einige Vorurtheile ab und sprach dann und wann mit Leuten, die blau-blau weiße, grün-roth-goldne oder schwarz-roth-weiße Mützen trugen. Unter diesen war auch der Thüringersenior, welcher auf der Johannisstraße dem Eichplatze gegenüber wohnte und den ich auch manchmal besuchte. Bei ihm ereignete sich Nachstehendes.

Ein Hallescher Märker, aus Potsdam gebürtig, war nach Jena gekommen und dort, ich habe vergessen, mit welchem Burschenschafter, auf krumme Säbel losgegangen. Sein Gegner hatte ihm einen fürchterlichen „Schmiß“ über die Nase gegeben, die nur mit großer Mühe wieder angeheilt wurde. Nun standen zwar die Halleschen Märker mit den Jenensischen Franken im Cartell, aber der Verwundete wurde der Sicherheit wegen in die Behausung jenes Thüringers gebracht und sah dort seiner Heilung entgegen. Sie war ihm langweilig, zum Zeitvertreib griff er oft an seine Nase, die dadurch viel schlimmer wurde, trank auch insgeheim, weil ihm alles Bier verboten war, Spiritus mit Wasser verdünnt, auch zum „Zeitvertreib“, wie er sagte; am Ende droheten seine Freunde, ihm die Hände an den Bettpfosten festzubinden, und nun wurde er folgsam. Als er mit der Jenaischen Hieroglyphe im Gesicht nach Halle kam, mußte er manche spitzen Worte hören, man sagte ihm zum Beispiel, daß eigentlich nicht mit dem Gesichte parirt werden müsse, sondern mit dem Schläger. Darüber fielen dann viele „dumme Jungen“ und jene Paukerei hatte in Halle ein halbes oder ganzes Dutzend Nachfolger. Dieser nun verstorbene Märker brachte es bis zum königlich preußischen Zeitungscensor und hat als solcher in Köln am Rhein viele Angriffe erfahren müssen.

Die Fremden, welche in Jena erschienen, um „Gastrollen“ zu geben, hatten, wenigstens zu meiner Zeit, schlechtes Glück. Ich erinnere mich sehr genau zweier Fälle, die uns viel zu lachen gaben. Um Pfingsten war damals, wie noch heute, der Zusammenfluß auswärtiger Studenten sehr stark; sie kamen von Halle, Göttingen, Leipzig, auch manchmal von Würzburg und Erlangen, und Alle wurden gastlich aufgenommen. Da fremden Landsmannschaften, gegenüber kein Verrufsverhältniß bestand, so freuten sich auch manche Burschenschafter auf Pfingsten, um sich dann einmal recht „ausleben“ zu können, und Paukereien blieben nicht aus. Die Einen wollten es den „Büchsiers“, die Anderen den „Landsknoten“ eintränken. Mit den Jenensern hatte freilich das Losgehen einen kleinen Haken, denn es galt der Stoßcomment, während die Hallenser und Göttinger nur mit Hiebschlägern umzugehen wußten. Deshalb suchten bei „Scandälen“ die Fremden es so einzurichten, daß sie die Reihenfolge der Waffen zu bestimmen hatten, und sie wählten natürlich immer die Hieber zuerst, in der Hoffnung, während der ersten sechs Gänge den Jenenser „abzuführen“. Gelang das nicht, und ich habe nie gehört und gesehen, daß es gelungen wäre, dann kamen freilich die spitzigen Dinger, die „Pariser“, Stoßschläger mit kleinen vergoldeten Glocken, daran, und der Fremde wußte schon, was ihm bevorstand. Sein Secundant mochte es noch so geschickt anstellen, um den Gegenpaukanten zu „geniren,“ es half nichts, der Pariser „saß“ und der Fremde konnte daheim nicht von gelungenen Thaten erzählen, er hatte in Jena Blut gelassen.

Während die Landsmannschafter, die sich untereinander immer in den Haaren und täglich auf der Mensur lagen, der gewöhnlichen Schläger mit großen Tellern sich bedienten und nur ausnahmsweise zu den ungleich gefährlicheren Parisern griffen, gingen die Burschenschafter mit anderen Burschenschaftern gewöhnlich, mit Landsmannschaften aber nur auf Pariser los, und niemals unter vierundzwanzig Gängen. Wir hatten aber auch viele tüchtige Schläger unter uns, die sich auf den Hieb verstanden, namentlich vormalige Rostocker, Kieler und Göttinger. Wenn nun die fremden Renommisten mit solchen anrannten, die beider Waffengattungen mächtig waren, dann waren sie doppelt im Nachtheil.

Zu Pfingsten 1830 war ein kleiner dicker Neoborusse aus Leipzig nach Jena gekommen, ein munterer, quirliger Kerl, dem man es ansah, daß er ohne ein paar Scandäle nicht zufrieden sein werde. Am ersten Festtag-Morgen war er mit einer Menge anderer Landsmannschafter mitten auf dem Markte; sie schlugen mit Glockenrappieren, und dieser kleine Leipziger B. „löffelte“ sich dabei ganz erklecklich. Etwa ein Dutzend von uns Burschenschaftern standen ein paar Schritte abseits und sahen dem munteren Spiele zu. Da wuchs dem quirligen Dicken der Kamm, er kam auf uns zu, suchte sich den Größten heraus und sprach zu dem langen M. aus Mecklenburg:

Willst Du vielleicht einen Gang mit mir schlagen?

Nun war der lange M., ein bildschöner, großer, breitschulteriger Bursch, die personificirte Ruhe, welche aber mit einer sehr nachhaltigen Kraft gepaart war. In seiner lakonischen Weise entgegnete er dem kleinen Neoborussen:

Mit Vergnügen,“ rückte seine Mütze zurecht, sagte leise zu uns auf Plattdeutsch: „den will ich dreschen,“ und nahm das Glockenrappier. Da der Lange dem Kleinen schon eine Viertelstunde lang seine obligaten Fechterstreiche abgesehen hatte, so war er darauf vorbereitet und sie konnten ihm nichts anhaben. Er ließ jenen erst recht in’s Zeug gehen, nahm dann seine Zeit wahr und gab ihm einen Schmiß über Schulter und Rücken, daß der kleine Quirl in die Kniee sank. Aber er hielt sich tapfer und verzog keine Miene. Es kam wieder ein Gang; schwapp! derselbe Hieb; und so ging es ein halbes Dutzend Mal hinter einander, bis der kleine üppige Neoborusse förmlich zermürbt war. Der lange M., welcher während dieser eisernen Drescherei auch nicht eine Sylbe gesprochen hatte, sagte dann mit äußerster Gelassenheit und ohne eine Miene zu verziehen:

Willst Du vielleicht noch einige Gänge mit mir machen?

Der Leipziger hatte indessen für jene Pfingstferien genug, wir aber erfreuten uns am zweiten Pfingsttage wieder eines gemächlichen Schauspiels. Wöllnitz bei Jena ist ein Dorf, das sich durch sein Bier und seine hübsche Lage empfiehlt; es war auch Sitz zweier Herzogtümer, die freilich im gothaischen Kalender nicht mit aufgeführt werden; es scheint, als ob sie bei anderen Potentaten nicht für legitim galten, wiewohl sie von den Fürstenthümern in Lichtenhain anerkannt wurden. Das eine Herzogthum war jenes der Franken, das andere wurde von den Burschenschaftern gebildet, und diesem letzteren hat viele Jahre lang der starkbärtige Morba, nun längst Hauptgewaltiger auf der lustigen Schmücke im Thüringerwalde, rühmlich vorgestanden. Er ist zwar Unterthan des Herzogs Ernst von Gotha, aber Se. Hoheit versteht, mit seiner bekannten Liebenswürdigkeit Talente und Größen zu würdigen und mag sie nicht fallen lassen. Deswegen hat der prächtige Mann auch den weiland Herzog Morba von Wöllnitz, ohne Zweifel in Anerkennung für dessen Regentenverdienste im Bierstaate Wöllnitz, auf die Schmücke erhoben und mit dieser belehnt. Seit der alte Joel dort das Zeitliche gesegnet, darf Morba sich oben als Alleinherrscher fühlen. Es muß nicht übel sein: als Student Herzog von Wöllnitz im Thale und als Philister Gebieter der Wolken auf der Schmücke!

Auf den Bergen bei Wöllnitz ist ein hübscher grüner Platz. Die Studenten sind der teleologischen Ansicht, daß derselbe von der Natur nur deshalb geschaffen sei, damit sie dort ihre Paukereien in aller Gemüthlichkeit, am liebsten Sonntag Morgens, abmachen können. Wenn ein gewisser Hofrath oder ein beliebiger Pastor die Ansicht hegt, das Gras sei nicht roth, sondern grün, damit der von Gott geschaffene Mensch sich die Augen nicht verderbe, so sehe ich nicht ab, welcher Mangel an Logik darin steckt, wenn der Jenenser Student meint, die Wöllnitzer Berge seien zum Pauken da. Gewiß sind sie bequem auch für die Zuschauer, denn die niedrigen Halden über der kleinen Tafelebene steigen langsam an und man kann das Schlachtfeld in aller Bequemlichkeit überschauen; auch fehlt es natürlich nicht an Platz für Kännchen und Stübchen, aus welchen man stärkende Züge nach Belieben trank; ohne dieses Letztere wäre jene Zweckmäßigkeitsansicht keineswegs gerechtfertigt.

Ein Hallescher Märker aus Hamburg hatte mit einem Burschenschafter aus dem braunschweiger Lande, der früher in Göttingen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_493.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)