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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

hervorheben, daß die Verbrüderung sehr innig war, denn ich sah Republikaner und Monarchisten umschlungen oder neben einander im grünen Grase liegen, guten Bieres voll. Der Wetteifer zwischen beiden Theilen ließ in der That nichts zu wünschen übrig, jeder blieb unbesiegt. Palmam, qui meruit, ferat.

Aber wem hätte man die Palme zuerkennen sollen, wo Alle und Einer und Einer und Alle gleich tapfer waren? Wie kühn strahlte Dein Blick, „schöner E–s“, als Du der Durchlaucht gegenüberstandest und Deine Kräfte mit ihm maßest; wie stottertest Du kecke Worte, „langer Itzig“, als Du den Wöllnitzern beweisen wolltest, sie seien „Kameele“! Und wie lebhaft declamirte der Philolog H. aus Anhalt, der längst in griechischer Erde den ewigen Schlaf schläft, ein Gedicht Anakreons nach dem andern, während der „Burggeist“ aus der Lausitz vom Kunec Luarin, der Völuspa und der Gudrun erzählte und Verse aus den Nibelungen sprach! War nicht auch die „Bierlatte“, jener ewige Student, der heute, Anno 1858, noch die Mappe trägt und Jena’s Pflaster tritt, schon damals seit sechs Jahren ein sehr durstiger Bursch? Und wer könnte es je vergessen, daß Z. aus Rudolstadt und Hobelmann aus Westfalen, diese zwei unverwüstlichen Kämpen, deren Einer den Andern nie in hundertfachem Wettkampf besiegt hat, damals beide zu gleicher Zeit „abfielen“ und dermaßen von der Bank heruntersanken, daß von Keinem etwas zu sehen war? Der Herzog sagte gemessen: „Schafft man diese Mannen nicht ins Burgverließ?“ worauf ein dienender Knappe, ein Ziegenhainer Bäuerlein, naseweis erwiderte: „Nä, ich will die beeden Herren lieber uf’s Stroh bringen.“ Was denn auch geschah, weil es sehr nöthig war.

Es war Sitte, daß man sich häufig auf den Stuben besuchte, und daß vier bis sechs nähere Bekannte zu Kaffee oder Chocolade kamen, um gemeinschaftlich gute Bücher zu lesen. Auf solche Weise bin ich z. B. mit Menzel’s Geschichte der deutschen Literatur bekannt geworden, welche damals manche von uns sehr beschäftigte. Gleich nachher wurde des Disputirens über Justinus Kerner’s Seherin von Prevorst kein Ende, welche der „kluge Mann“ aus Altenburg auf’s Tapet gebracht hatte. Andere wollten von dem „Geisterkram“ nichts hören und spielten lieber Schlauch; es machte ihnen mehr Vergnügen, wenn der „Consistor“, gerade weil er ein sehr solider und uns Allen äußerst werther Bruder Studio war, auf dem Burgkeller den Masaniello zum Besten gab. Er warf den Rock ab, streifte die Hemdärmel zurück, setzte eine rothe Mütze auf, schlang einen rothen Shawl um den Leib, und der leibhaftige neapolitanische Fischer stand vor uns auf dem Tische. Er stimmte das: „O seht, wie herrlich strahlt der Morgen!“ an, schwang dabei einmal sogar das große Tischmesser der Frau Vettern, und spielte seine Rolle ganz ausgezeichnet; deshalb erntete er auch allemal wohlverdienten Beifall. Dieser Consistor war der gewissenhafteste Mensch, den man sich denken kann, dabei ein durchaus reines, mildjoviales Gemüth. Als Seelsorger wirkt er seit vielen Jahren sehr wohlihätig und gehört zu jenen Predigern, die getrost ihrer Gemeinde sagen können: „Thut nach meinen Worten und nach meinen Werken.“

Im Jahre 1830 war durch ganz Europa große Aufregung in den Gemüthern, von welcher auch die Studentenwelt berührt wurde. In einem so zahlreichen Gemeinwesen, wie die Burschenschaft, wo so viele verschieden begabte junge Männer mit mannichfachen klaren oder verworrenen Anschauungen und oft abweichenden Bestrebungen mit einander in täglicher Berührung lebten, mußten nothwendig die Geister aufeinander platzen. Die Trennungen, von welchen die Geschichte der Burschenschaft Manches zu erzählen hat, liefern, meiner Ansicht zufolge, einen Beweis für den Ernst, der in den Bestrebungen selbst lag. Gewiß haben bei denselben nicht selten Eitelkeit und selbstsüchtige Beweggründe Einzelner in verhängnißvoller Weise mit hineingespielt; im Allgemeinen darf aber behauptet werden, daß geistige Gegensätze und Hinneigung zu verschiedenen Richtungen den Aufschlag gaben. So verhielt es sich auch mit der Arminia und Germania. In Erlangen, wo stets ein sehr reges, burschenschaftliches Treiben herrschte, war die sogenannte christlich-germanische Richtung zur Geltung gekommen, und hatte einzelne sehr rührige und begabte Vertreter nach Jena geschickt. Diese fingen sogleich an, für ihre Ansicht Proselyten zu machen, und einen Kreis von Leuten um sich zu schaaren, mit welchen sie dann eine Opposition zu Stande brachten. Wir hatten bis dahin sehr einträchtig gelebt, und waren vollkommen zufrieden; wir hielten uns für gute Burschenschafter, auch ohne daß man uns aus den jüdischen Büchern des Alten Testamentes den Beweis zu führen suchte, daß die Burschenschaft eine von Jehova angeordnete Einrichtung sei. Wir meinten, es sei genug, daß sie als eine Verbindung dastehe, deren Mitglieder darnach strebten, den Staaten des deutschen Vaterlandes einmal tüchtige und patriotische Bürger zu liefern. Da auch Katholiken und zeitweilig auch Israeliten zu uns gehörten, und die Protestanten theils lutherisch, theils reformirt waren, so wollten wir von einer specifischen sogenannt christlichen Auffassung als Burschenschafter nichts wissen, sondern überließen es getrost jedem Einzelnen, wie er sich mit seinem Gott und seinem Gewissen abfand, wenn er nur im Uebrigen ein ehrenhafter Kerl war. Wir fanden es lächerlich, bei Comment- und Studentensachen Beweise aus der Bibel hernehmen zu wollen. Mit einem Worte, als die „christlich-germanischen“ Erlanger Theologen erschienen, war es mit Frieden und Eintracht vorbei; wir hatten christlich-germanischen Zank. Begreiflicher Weise wurden jene, durch welche der Unfrieden gebracht worden war, verhöhnt; es gab scharfe Worte und die Pariser blitzten, auch wuchs die gegenseitige Verbitterung immer mehr. Diese Erlanger Richtung war die sogenannte „arminanische“, und die Hauptträger derselben mochten es wohl längst auf eine Trennung abgesehen haben, um nicht ferner in ihrem Wesen und Streben Widerspruch zu erfahren. Die andere Richtung war die „germanische“; jene verschwommen und idealistisch, diese realistisch und praktisch. Nachdem die Theologen einmal Pulver angehäuft und den Zunder hineingeworfen hatten, flog die alte Burschenschaft auf, und trennte sich in Arminia und Germania.

Ich lasse die Arminianer, unter denen ich übrigens einige liebe Freunde hatte, bei Seite. Nicht alle waren „verbohrt“, da außer jenen „christlichen“ Motiven manche Umstände mitwirkten, welche den Einen oder Andern veranlaßten, mit jenen zu gehen. Der trübselige „Wingolf“ kann als ein extremer Ausläufer der Arminia betrachtet werden.

Die Germanen waren vielleicht die merkwürdigste Verbindung, welche je auf einer deutschen Hochschule geblühet hat. Mindestens zwei Drittel waren bedeutende Menschen und sie sind, gleichviel, welchen Berufskreisen sie später angehörten, weit über die Gewöhnlichkeit emporgetaucht; die Uebrigen waren wenigstens „forsche“ Leute. Ihre Gesammtzahl betrug einige siebenzig Köpfe, sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel, und wurden von den Landsmannschaften als die Hälfte der Universität anerkannt, hatten auch in den Conventen allein so viele Stimmen abzugeben, wie die übrigen Verbindungen zusammen. Sie konnten in der That für eine wahre flos juventutis gelten. Welche Freude für diese alten „Germanen“, so viel ihrer noch übrig sind, sich nun in Jena wieder zusammenzufinden post tot discrimina rerum! Ueber jene alten Zerwürfnisse ist mehr als ein Vierteljahrhundert hinweggezogen, und so werden denn auch Manchen Becher zugetrunken werden, mit denen man früher Stiche gewechselt hat.

Die Nachrichten von der Julirevolution hatten die Gemüther noch mehr aufgeregt; sie waren wie ein Blitz aus heiterm Himmel gekommen. Auf dem Markte standen, wenn ich mich recht erinnere, am 1. August, viele Studenten in verschiedenen Gruppen wie gewöhnlich, plauderten und rappierten. Da kam plötzlich A–ee, ein Burschenschafter aus Braunschweig, der ein eifriger Schüler Luden’s war, und diesen Professor eben besucht hatte, aus der Leutragasse und hielt einen großen Zeitungsbogen in der Hand. Nachdem er mit Einigen ein paar Worte gewechselt, verbreitete sich plötzlich die Kunde, daß in Frankreich eine Revolution ausgebrochen und König Karl der Zehnte aus Paris verjagt sei. Diese Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt, Studenten und Philister strömten von allen Seiten herbei, und A. wurde nolens volens gepackt und auf den Marktbrunnen gehoben, von welchem herab er dann einem mit gespannter Aufmerksamkeit horchenden Auditorium, als improvisirter Professor der Politik, eine ganze Nummer des Constitutionnel verdolmetschte. Die Nachricht, daß General Lafayette an die Spitze einer provisorischen Regierung getreten sei, machte einen ungeheuern Eindruck. Diese politischen Mittheilungen wurden dann während der nächsten Tage vor einem stets anschwellenden Zuhörerkreise fortgesetzt, bis es dem von allen Seiten in Anspruch genommenen Professor wider Willen zu viel wurde; er verschwand plötzlich auf einige Tage, und ließ die Commilitonen mit den Pariser Zeitungen zurecht kommen, so gut sie konnten.

Einige Zeit nachher verließ ich die liebe Universität Jena und ging in’s Philisterium.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_496.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)