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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Bühnenpraxis Geschichten erlebt, die sich gar nicht erzählen, geschweige gar erklären lassen. Das Publicum ist ein vielköpfiges Ungeheuer.“

„Und was haben nicht Dichter und Schauspieler von der Kabale und den verwünschten Recensenten auszuhalten!“ bemerkte der feurige Schauspieler Grüner. „Die Kerle sollte man eigentlich alle hängen lassen.“

„Bis jetzt habe ich mich über die Kritik nicht zu beklagen,“ entgegnete bescheiden der Dichter. „Sie hat meine geringen Versuche mit einer anerkennungswerthen Nachsicht aufgenommen.“

„Wird noch kommen,“ brummte der erfahrene Ochsenheimer. „Mit jedem Erfolge wächst auch die Zahl der Feinde, aber trösten Sie sich nur, lieber Herr Körner! Mein Wahlspruch ist: besser Neider als Mitleider.“

Das erste Zeichen, welches jetzt der Inspicient gab, unterbrach die Unterhaltung, und sämmtliche Künstler eilten auf ihren Posten. Körner selbst stellte sich in eine Coulisse, und sah dem Treiben der Maschinisten zu, die noch mit dem Aufstellen der Decorationen beschäftigt waren. Die Bühne bietet hinter dem Vorhange dem Beobachter ein ganz verschiedenes Bild von ihrer gewöhnlichen Erscheinung dar. Der Zauber verschwindet, die Illusionen werden zerstört; die goldenen Paläste und bezaubernden Gärten verwandeln sich in der Nähe in grobe Pinseleien und Kleckse; die gediegene Pracht erweist sich als betrüglicher Flitter. Alles ist nur auf Täuschung aus der Ferne berechnet. Man sieht die grobe Schminke, die lügenhafte Pracht, den falschen Putz, welche durch die künstllche Beleuchtung erst ihre volle Wirkung thun. Die ungeschickten Statisten mit ihren nichtssagenden Gesichtern drängen und stoßen sich, die Schauspieler, denen der Dichter sein theuerstes Gut anvertraut, scherzen und lachen, reden von den gleichgültigsten Dingen oder treiben ihre Possen. Selbst die wahren Künstler sind nur mit sich und dem Triumph beschäftigt, den sie durch ihre Rolle zu erlangen hoffen. Das Ganze kümmert sie weit weniger, als der eigene Erfolg. Verlassen steht der Dichter voll banger Erwartung, ohne daß auf ihn die nöthige Rücksicht genommen wird. Er bleibt allein mit seinem Zweifel, seinen Hoffnungen und Befürchtungen.

Ein ähnliches Gefühl beschlich auch Theodor, je näher der entscheidende Augenblick herannahete. Er hörte das Brausen des sich immer mehr anfüllenden Hauses, die Unruhe des Parquets, die Ungeduld des sich drängenden Parterres, welches wie das Meer hin und her wogte, und sein Opfer zu verlangen schien. Zwar besaß er hinlänglichen Muth, aber in solchem Momente wird auch der Muthige verzagt, und die lebhafte Phantasie des Dichters erging sich wider Willen in schreckenden Bildern. Alle Schwächen und Fehler seines Werkes, die er selber nicht verkannte, die Einwürfe seiner Freunde, denen er es vorgelesen, fielen ihm jetzt ein, und hätte es noch in seiner Macht gestanden, so wäre die Aufführung wenigstens am heutigen Tage unterblieben. Er hatte sein Trauerspiel erst vor einigen Wochen den geistreichen Freunden seines Vaters, Wilhelm von Humboldt und dem berühmten Aesthetiker Friedrich Schlegel vorgelegt, die Beide sich äußerst vortheilhaft darüber geäußert hatten; aber selbst die Billigung dieser ausgezeichneten Kunstkenner vermochte nicht, in diesem Momente seine aufsteigenden Besorgnisse zu beschwichtigen.

Weit besser gelang dies einem reizenden Mädchen, das jetzt für die Rolle der „Helene“ vollkommen angekleidet aus der Damengarderobe heraustrat, und den ängstlichen Dichter mit einem vertraulichen Kopfnicken begrüßte. Es war dies die junge und höchst talentvolle Schauspielerin Antonie Adamberger, seit kurzer Zeit der Liebling des Wiener Publicums. Die anmuthige Künstlerin besaß in ihren Zügen, wie in ihrem ganzen Wesen, den Zauber echter Weiblichkeit, dem kein Herz, und am wenigsten das eines Dichters zu widerstehen vermochte. Sie war eine jener seltenen Erscheinungen im Theaterleben, welche in dieser geschminkten Welt voll Täuschung und Lüge sich die ganze Wahrheit und Unschuld einer ursprünglichen Künstlernatur zu bewahren wissen. Nicht der leiseste Flecken lag auf ihrem Leben, und die Verleumdung verstummte in ihrer reinen Nähe. Voll Begeisterung für ihren Beruf, hatte sie sich der Bühne gewidmet, einzig und allein ihrer Kunst lebend. Ebenso durch körperliche Reize wie durch ihr Talent glänzend, fehlte es ihr nicht an Verehrern und Bewunderern, aber noch hatte kein Mann einen Eindruck auf ihr Herz gemacht, und alle Bewerbungen um ihre Liebe wurden bald mit feinem Spott, bald mit würdigem Ernst von ihr zurückgewiesen. Sie lebte zurückgezogen unter der Obhut ihrer trefflichen Eltern und der alten Großmutter, welche von ihr mit rührender Zärtlichkeit gepflegt und verehrt wurde.

Was bis jetzt keinem Manne gestattet war, hatte sie Theodor erlaubt, sie in ihrem Hause zu besuchen. Sie war in einigen seiner Stücke mit dem größten Beifalle aufgetreten, und so mit ihm bekannt geworden. Natürlich fehlte es zwischen dem jungen Dichter und der reizenden Künstlerin nicht an vielfachen Berührungspunkten, aus denen nach und nach ein der Liebe verwandtes Gefühl erwuchs. Theodor achtete indeß Antonien zu hoch, um eines jener gewöhnlichen Verhältnisse anzuknüpfen, die in der Bühnenwelt oft eben so leicht geschlossen, wie gelöst werden.

Es war ihm heiliger Ernst mit seiner Neigung, und als er das Geständniß seiner zärtlichen Leidenschaft nicht länger zurückzuhalten vermochte, so bot er mit Bewilligung seiner vorurtheilslosen Eltern der überraschten Künstlerin mit seinem Herzen auch seine Hand, ohne sich um das Vorurtheil der Menge und um das Geschwätz gewisser Kreise zu kümmern, welche über die Verbindung mit einer Schauspielerin vornehm die Nase rümpften. Nur eine Bedingung hatte der Vater des Dichters dem Sohne auferlegt, nämlich mit seiner Verheirathung noch einige Jahre oder doch wenigstens so lange zu warten, bis er eine angemessene Anstellung gefunden haben würde, um sich und seine Braut hinlänglich zu ernähren. Die Liebenden fügten sich dem väterlichen Ausspruche, indem sie den weisen Grund vollkommen einsahen auf ihr gutes Glück bauten. Einige hochgestellte und einflußreiche Gönner des jungen Paares, welche mit seinen näheren Verhältnissen bekannt, bemühten sich im Stillen, ihm die vorläufig seinen Wünschen und seinem Talente ganz entsprechende Stelle eines kaiserlichen Hof-Theaterdichters mit einem nicht unansehnlichen Gehalte zu verschaffen. Zum Theil von der Aufnahme der heutigen Vorstellung hing das von ihm ersehnte Ziel und der Erfolg jener Bemühungen bei dem damaligen Intendanten, dem Fürsten Lobkowitz, ab.

Dieser Umstand und besonders der Stolz, seinen Eltern nicht länger zur Last fallen zu wollen, war ein zweites und bedeutendes Gewicht in der Wagschale der gegenwärtigen Aufregung. Zu dem Ehrgeiz des Dichters gesellte sich die Sehnsucht des Bräutigams, der sobald als möglich die Erwählte seines Herzens heimführen wollte.

In derartige Gedanken versunken, bemerkte er daher nicht eher die holde Künstlerin, bis ihn der Saum ihres Gewandes leise streifte und ihre Hand leise berührte. Er blickte auf, und ein unwillkürlicher Ausruf der Bewunderung entschlüpfte seinen Lippen. So schön war ihm seine „Toni“ noch nie erschienen. Sie war bereits für ihre Rolle vollkommen angekleidet; eine Tunika von weißer Seide umspannte ihre schlanke Gestalt, während der ungarische Kalpak mit wehenden Reiherfedern sich keck auf ihrem Lockenhaupte wiegte. Ein idealer Hauch umschwebte das anmuthige Mädchen, welches mit schwärmerischen, seelenvollen Blicken an den Zügen des Dichters hing. Sie schien in seinem Innern zu lesen und zu wissen, was in seiner Brust vorging.

„Muth, mein theurer Freund!“ flüsterte sie leise, ihm die Hand drückend. „Eine innere Stimme sagt es mir, daß der Abend für uns Beide ein schöner werden wird. Dein Trauerspiel muß dem Publicum gefallen.“

„Du bist eine bestochene Richterin,“ lächelte er ihr zu, „und überträgst die Liebe zu Deinem Dichter auch auf seine Werke.“

„Du irrst, mein geliebter Theodor! Wie oft hab’ ich nicht schon Deine Arbeiten einer strengen Kritik unterworfen und Dich getadelt. Die echte Liebe ist nicht blind, sie sieht die Schwächen und Fehler an dem geliebten Gegenstande; denn wenn sie nichts zu entschuldigen und zu vergeben hätte, so wäre ihr ja das schönste Vorrecht geraubt.“

„Und Du vergibst und entschuldigst so gern und viel. Toni! Du bist mein guter Engel.“

„Wenn ich der wäre, so würde ich heute bei dem lieben Gott ganz besonders für Dich bitten, daß er Dir einen glänzenden Erfolg schenkt.“

„Du wirst mehr thun. Du wirst auf den Schwingen Deiner Kunst mein Werk zum Himmel tragen und in Deinen Rollen das Publicum bezaubern, wie Du mich bezaubert hast.“

„Das will ich thun, so weit ich es vermag. Du sollst einmal sehen und selber urtheilen, wie ich die Helene spielen werde.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_510.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)