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verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

an Erlösung und Rettung wieder auf. Sofort nach dem Anbruche des Tages wurden die Kahnfahrten nach den in der oberen Stadt vereinzelt stehenden Häusern des Asches und der Lindenstraße wieder aufgenommen. Die Schiffer, deren Hülfe man am Abend vorher noch nicht gebrauchen zu können glaubte, wurden jetzt mit dem größten Verlangen erwartet und mit Freudestrahlen auf den bleichen Gesichtern begrüßt. In zehn Fahrten, die alle glücklichen Verlauf hatten, wurde der Asch fast vollständig geräumt und aus den neuen Häusern der Lindenstraße kamen Alle, die es wünschten, an’s Land. Gegen Mittag war hier das Rettungswerk, so weit es sich auf Menschen erstreckte, zu Ende; nur die Bewohner des Silberhofes mußten noch, weil der Zugang zu ihnen durch eine mächtige Barrikade von Langholz gesperrt war, weiter in ihren theilweise nicht unerheblich beschädigten Häusern aushalten, konnten aber doch wenigstens wieder Menschen sehen und wahrnehmen, wie die Fluth, zwar langsam, doch stetig sank.

In der inneren Stadt hatte man alle Hände voll zu thun, um in der Eile die dem Einsturz drohenden Häuser zu stützen. Der Stadtrath hatte zu diesem Behufe schnell Stammholz herbeischaffen lassen und Zimmerleute beordert, überall, wo nöthig, beim Stützen behülflich zu sein. Gar manches Haus würde ohne solche Vorsicht weit mehr beschädigt oder wohl ganz eingestürzt sein.

In der Leipziger Vorstadt, welche mit der inneren Stadt bis jetzt ganz ohne Verbindung gewesen war, ertönten Vormittags acht Uhr Nothschüsse und auf dem an dem linken Ufer der Mulde liegenden Stadtkrankenhause wurden auf dem Dache Nothfahnen aufgesteckt. Die Verbindung konnte, da erst noch ein großer Kahn vom großen Teiche hereingeschafft werden mußte, erst um die Mittagsstunde hergestellt werden und man fürchtete traurige Nachrichten; doch ergab es sich, daß die Menschen in den festen Häusern zusammengepfercht waren und daß meist Mangel an Lebensmitteln die Ursache zu den Nothsignalen abgegeben hatte. Diesem Mangel wurde denn auch so schnell als möglich, wenn auch in dem Stadtkrankenhause nur nach ziemlich gefährlichen Fahrten, abgeholfen.

Inzwischen hatte die Rettung von Menschen, deren Leben mehr oder minder gefährdet war, den ganzen Tag hindurch ununterbrochenen Fortgang und der Berichterstatter glaubt, den Lesern dieses Blattes eine nicht unwillkommene Gabe zu bieten, wenn er bei einigen Rettungen die näheren Umstände vorführt.

Nur wenig oberhalb des über die Mulde führenden Röhrensteges soll für eine neue Kohleneisenbahn nach Hohendorf und Reinsdorf eine Brücke über die Mulde gebaut werden. Als Bauexpedition ist auf dem rechten Ufer ein kleines Haus von Steinfachwerk errichtet worden. Darin wurden zwei Baubeamte von dem Hochwasser so überrascht, daß sie den Rückzug durch das Wasser nicht für räthlich hielten. Als sie die zunehmende Gefährlichkeit ihrer Lage erkannten, suchten sie durch verschiedene Zeichen die Aufmerksamkeit Anderer auf sich zu richten. Es gelang dies auch, indem sie in der etwa 300 Schritt davon liegenden Hering’schen Bierbrauerei bemerkt und verstanden wurden. Dort wurde sofort ein Floß, soweit sich Materialien dazu vorfanden, hergerichtet und ein Brauerbursche und noch einige Andere unternahmen es, auf diesem gebrechlichen Fahrzeuge, das von hinten her zu wenigstens einiger Sicherheit an einem Seile gehalten wurde, nach der im vollen Strome stehenden Bauhütte zu fahren. Als sie aber in die unmittelbare Nähe derselben kamen, zerbrach in dem starken Strome ihr Floß, sie stürzten in das Wasser und mußten nun auf ihre eigene Rettung bedacht sein. Der Brauerbursche rettete sich in die Bauhütte an einer Stange, die ihm von dort aus entgegengehalten wurde, und die Uebrigen gelangten glücklich wieder an’s Land. Nun waren in der Bauhütte drei Menschenleben gefährdet. Die Lage der Gefangenen fand namentlich in dem nicht fernen Hohendorf die regste Theilnahme.

Am Sonnabend war wegen der eingebrochenen Nacht nichts mehr zu thun. Aber am Sonntag wurde das Rettungswerk mit wahrer Begeisterung angegriffen. In verhältnißmäßig kurzer Zeit wurde ein festes Fahrzeug kahnartig hergestellt. Man besetzte dasselbe mit fünf kräftigen Männern und ließ es vom Fuße des Hohendorfer Berges aus, etwa 8–900 Ellen von der Bauhütte entfernt, an zwei aneinander gefügten langen Schachtseilen langsam hinaus in die Fluth. Die Männer kamen unter harter Arbeit und Gefahr hinunter bis zur Bauhütte, waren aber nicht im Stande, den zwischen ihnen und der Hütte befindlichen reißenden Strom zu überwinden. Unverrichteter Sache kehrten sie wieder zurück und mußten bei ihrer Erschöpfung die Weiterführung der Rettung fünf anderen noch vollkräftigen Männern überlassen. Diese nahmen bei ihrer Fahrt eine Leine mit und banden an deren Ende einen Stein. Glücklich erreichten sie dieselbe Stelle, an welcher der Versuch ihrer Vorgänger gescheitert war. Von hier warfen sie das durch den Stein beschwerte Ende ihrer Leine nach der Bauhütte, wo man es begierig auffischte. Von der Leine gehalten, vertraut sich einer der Gefangenen den Fluthen, wird kräftig durch den Strom gezogen und steigt gerettet in den Kahn, und ihm folgen glücklich die beiden Gefährten. Nachmittags fünf Uhr lief der Kahn mit den Geretteten unter allgemeinem Jubel im Hafen wieder ein.

Ein Maurerlehrling, ein kräftiger Bursche von achtzehn Jahren, der als vater- und mutterlose Waise schon seit Jahren Wohnung und Verpflegung im Armenhause hat, wollte am Sonntag gegen Mittag, nachdem er etwas vorwitzig in das Stadtkrankenhaus und von da in ein Haus der Leipziger Vorstadt, immer in tiefem Wasser watend, gekommen war, wieder in das Armenhaus zurückkehren. Als er sich aber diesem nähert, ergreift ihn der Strom und reißt ihn fort, bis er dem Armenhause gegenüber, etwa 12 bis 15 Ellen von diesem entfernt, an einem kleinen Apfelbaume wieder einigen Halt gewinnt. An diesem klebend, wird ihn der Aufseher im Armenhause gewahr und ruft ihm zu, am Baume in die Höhe zu klettern. Als er dies gethan hat, versucht man, ihm vom Armenhause aus Hülfe zu bringen; aber Stangen fehlen und den Strom kann Niemand passiren. Es muß gewartet werden, bis andere Hülfe erscheint.

Endlich kommt von der Leipziger Vorstadt her ein Kahn, geführt von einem jungen Manne, dem Zeichner der unserem Texte eingefügten Bilder. Der einsame Schiffer bemerkt bald das Rufen vom Baume her und richtet seinen Weg dahin. Die Strömung faßt ihn, aber noch zu rechter Zeit drängt er seinen Kahn seitwärts und legt an dem erstrebten Baume an. Der Lehrling jedoch, jedenfalls von der Nässe, Kälte und gezwungenen Haltung etwas erstarrt, zögert mit dem Einsteigen und muß nun sehen, wie der Kahn von der Fluth gepackt und ohne ihn niederwärts gerissen wird. Noch einmal gelingt es dem Schiffer, mit Aufbietung aller Kraft stromaufwärts zu kommen und an dem verhängnißvollen Baume anzulegen. Hier drängt er zur Eile, streckt ermuthigend die Hand entgegen; aber leider dieselbe Zögerung. Und wieder packt die Fluth den Kahn mit solcher Macht, daß an ein Halten nicht mehr zu denken ist. Wie ein Pfeil schießt er davon, und sein Führer gilt in den Augen derer, die ihn sehen, für einen verlorenen Mann. Aber dieser springt, als er über ein Kornfeld weggerissen wird, mit kühner Entschlossenheit aus dem verrätherischen Fahrzeuge, arbeitet sich mit Aufbietung der letzten Kraft, an zusammengerafften Kornähren einigen Halt gewinnend, aus der ärgsten Strömung heraus, erreicht endlich die höher liegende Straße, und kommt nach einer Stunde, bis zur Ohnmacht erschöpft, in einem zur Stadt gehörigen Gute an, wo er freundliche Aufnahme und Pflege findet.

Es ist nun schon die sechste Stunde gekommen, und unser armer Lehrling hängt immer noch auf dem Baume. Da kehrt ein Floß mit neun Zimmerleuten vom Stadtkrankenhause zurück, wohin sie Lebensmittel und Kohlen gebracht haben. Auch sie bemerken den auf dem Baume klebenden Menschen, und schlagen sofort die Richtung nach ihm ein. Doch auch sie werden von der Strömung fortgerissen, und können sich nur mit größter Mühe bis an einen dem Apfelbaum zunächst stehenden Kirschbaum wieder heraufarbeitene. Hier stemmen sie sich ein, halten dem Gefährdeten eine Ruderstange entgegen, fordern ihn auf, dem Floß zugewendet in die Fluth zu springen, und sobald als möglich die Stange zu fassen. Er läßt sich endlich bewegen, thut, wie ihm geheißen ist, es geht Alles gut, – er ist gerettet, nachdem er sechs Stunden auf dem schwachen Baume in Todesangst zugebracht hat.

Drei Männer gingen am Sonntag Nachmittag unterhalb der Bergkeller am Bergrand hin, um Kunde über das Schicksal der Erlmühle, von der es hieß, daß sie ganz verschwunden sei, einzuziehen. Da kommt es Einem vor, als habe sich in dem gerade gegenüber einsam am Muldenufer stehenden und schon arg beschädigten Würker’schen Hause noch ein Mensch am Fenster hin bewegt. Während sie nun scharf nach dem Hause hinblicken, kommt eine Frau desselben Weges und erzählt ihnen, daß allerdings noch ein alter Mann in dem Hause sei. Man habe schon versucht, ihn herauszuholen, aber es sei nicht gegangen, und der Schwimmmeister, der auch mit dabei gewesen sei, habe gesagt, man könne ihm tausend

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