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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


Thaler geben, er führe nicht mehr mit. Auf diese Rede kehren die Männer sofort um, steigen in den dort bereitstehenden großen Kahn, verstärken sich durch zwei andere Männer, worunter sich der Schwiegersohn des zu rettenden Alten befindet, und fahren hinunter nach den rings von den Fluthen umtobten Hause. Sie dringen in den Garten und gelangen, mit Macht kämpfend, unter einigem Schutze der Bäume bis in die Nähe des Hauses. Hier aber wird der Strom so reißend, daß mit dem Kahne kein Fortkommen mehr ist. Da springen drei der Männer heraus in die Fluth, und arbeiten sich, gegenseitig sich haltend und stützend, hinüber in das Haus. Oben finden sie den alten 72jährigen Mann, anscheinend ganz unbesorgt.

„Nun, Alter,“ wird er angeredet, „macht, daß Ihr mit fort kommt.“

„Iech kah net miet,“ antwortete er, „iech hoh kähne Stiefeln ah.“

Aber Zeit ist nicht zu verlieren, die Weigerung des eigensinnigen Alten wird nicht beachtet. Der Stärkste der Männer nimmt ihn auf den Rücken, die beiden Andern decken von hinten, der Widerstand des Alten durch Einstemmen in der engen Treppe und in der Thüre wird schnell überwunden, und der Strom bis zum Kahn, wie das erste Mal, mit vereinter Kraft glücklich durchschritten. Als der Alte gerettet das Land betritt, meint er: es sei doch gut, daß er nun aus dem Wasser sei, und zwanzig Minuten darnach war das Haus, aus dem er geholt wurde, ein Trümmerhaufen.

Wir könnten noch andere hochherzige Handlungen dieser und anderer Art erzählen; aber wir dürfen die Geduld unserer Leser nicht allzusehr auf die Probe stellen. Wir bemerken nur noch, daß den ganzen Sonntag hindurch das Wasser fortwährend langsam fiel. Die niederen Stadttheile waren zwar sämmtlich noch bedeutend überfluthet; aber neue erhebliche Unglücksfälle kamen nicht vor, und am Montag ging die Mulde beinahe ganz in ihr durch die Eroberungen der Fluth allerdings erweitertes Bette zurück. Von allen Hochwassern, die Zwickau erlebt hat, ist das gegenwärtige das größte gewesen; denn seine Höhe hat die der Fluth vom Jahre 1694, welche die größte in Zwickau vorher dagewesene war, um eine halbe Elle überstiegen.

Der Schaden, den diese Ueberschwemmung an Gebäuden angerichtet hat, ist sehr groß: 112 zur Stadt Zwickau gehörige Häuser sind beschädigt, darunter mehrere so arg, daß ihre Ruinen nur noch zum Abbruch taugen. Aber der Schaden an Ufern, Wehren, Brücken, in Gärten, auf Wiesen und Feldern ist ungeheuer.

Sehr erfreulich ist, daß trotz der vielen großen Verluste die Thatkraft der Leute nicht gebrochen worden ist. In den Häusern hat man sofort nach dem Rückzug des Wassers die Ausbesserung der Schäden kräftigst begonnen; auf den Straßen und Wegen verschwinden mit jedem Tage mehr und mehr die traurigen Spuren der Fluth; die gebrochenen Dämme sind nothdürftig wiederhergestellt, und theilweise sind die Mühlen schon wieder in Gang gekommen. Es wird nicht lange mehr dauern, so wird Zwickau sein altes Aussehen, vielleicht sogar etwas schöner und solider, wieder gewonnen haben. Nur die Fluren werden noch manches Jahr trauriges Zeugniß ablegen von der verheerenden Wasserfluth des Jahres 1858.

Das Würker’sche Haus am Muldenufer.



Blätter und Blüthen.


Ein bedecktes Grab. Erst jüngst in die Stadt S. gekommen, suchte ich, meiner alten Neigung folgend, einsame Spaziergänge auf, und so wanderte ich eines Tages wieder hinaus, um auf einem Höhenpunkte eine freundliche Aussicht zu gewinnen. Dunkle Kiefern umsäumten den Bergesabhang und rauschten düster-gedankenvoll zur Erde, während auf der andern Seite die Landstraße sich hinzieht, auf der schwer beladene Wagen langsam vorüberknarren.

Weiterhin tönt aus einem Garten Musik. Es athmet Alles ringsum Freude und Glück, nur hier oben ist es still, still wie bei den Todten, und bei denen sind wir in der That. Aber so still es hier ist, die Sonne ruht doch auch auf diesem verlassenen Fleck Erde und zittert warum und belebend um kaum bemerkbare Hügel. Aber keine Blume wiegt sich auf den kahlen, leicht hingeworfenen Gräbern, kein Denkmal der Liebe kündet die Namen derer, die hier einschifften zum fernen, uferlosen Ocean des Todes, denn es ist der Begräbnißplatz weiblicher Sträflinge.

Welche Kämpfe, welche Leidenschaften, welch’ wilde Fieberträume und Verbrechen deckt hier die kühle Erde!

Sonderbar, dort im Winkel, von einer Kiefer beschattet, liegt ein Grab, das gegen die andern kahlen Hügel freundlich absticht, es ist bedeckt, ein frisches Grün breitet sich darüber, ein mächtiger Rosenstrauch mit den schönsten weißen Rosen prangt auf dem mit Buxbaum eingefaßten Hügel, der einen eigenthümlichen Contrast bildet gegen die übrigen Sandhaufen.

Es blieb mir dieses bedeckte Grab lange räthselhaft, Niemand wußte mir Auskunft zu geben, bis mich der Zufall mit dem Prediger der Straf-Anstalt zusammenführte.

„Glauben Sie noch an Justizmorde, an bestrafte Unschuldige?“

„Offen gestanden, nein!“ entgegnete ich, „unsere jetzige Gerichtspflege –“

„Ich glaub’ es auch nicht,“ war seine Antwort, und er lächelte bitter.

Er erzählte:

„Vor einigen Jahren kam in unsere Anstalt ein junges Mädchen; sie war in ihrem National als ein heuchlerisches, verstocktes Geschöpf aufgeführt, die zwar verurtheilt, aber trotz aller Maßregeln nicht zum Geständniß hatte gebracht werden können. Ich las ihre Acten, wie ich dies bei neuangekommenn Strafgefangenen immer thue. Sie war wegen ersten, gemeinen Diebstahls zu zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt worden und obwohl sie, wie erwähnt, hartnäckig geleugnet, lagen zu viele Indicien vor, die ihre Schuld ohne Zweifel ließen. Marie Krauß war von armen, aber rechtschaffenen Eltern, sie hatte früh dienen müssen, und bisher einen unbescholtenen Lebenswandel geführt, ihre letzte Dienstherrin, eine verwittwete Baronin, war mit dem Mädchen sehr zufrieden gewesen, weil sie still und fleißig und, ganz gegen die Gewohnheit der übrigen Dienstleute, alle Vergnügungen gemieden, und von ihrem Lohne ihre Eltern unterstützte. Die Baronin hatte Mariens bescheidenes Wesen lieb gewonnen und ihr mehr Vertrauen geschenkt, als es für schwache, von der Gelegenheit leicht verführte Menschen räthlich ist. Marie durfte in den Zimmern bleiben, auch wenn sich die Baronin entfernte, selbst Geld aus der Cassette herbeiholen; und wenn Freunde die Baronin vor solchen Experimenten warnten, entgegnete sie ruhig: „Marie ist treu, ich verlase mich auf meine Menschenkenntniß.“ Diese Bevorzugung Mariens mußte natürlich bei ihren Mitdienenden Haß und Neid erregen, man verspottete ihr stilles Wesen, nannte sie eine Heuchlerin, eine Frömmlerin, die es faustdick hinter den Ohren habe, und die Frau Baronin werde es schon noch sehen. Der Kutscher allein, ein heimlich dem Trunke ergebener Mensch, hatte sie anfangs in Schutz genommen, weil ihm, dem wilden Gesellen, nach dem Gesetz der Anziehungskraft entgegengesetzter Pole, das hübsche, stille Mädchen gefallen, aber als Marie sein Werben entschieden zurückgewiesen und ihm seine brutalen Zärtlichkeiten vor dem ganzen Dienstpersonal mit einer Ohrfeige erwidert, war’s mit seiner Freundschaft vorbei. er wurde von seiner Umgebung so lange geneckt und verspottet, bis seine frühere Liebe in Haß übergegangen, denn er war es wenigstens, der den ersten Verdacht auf Marie lenkte.

„In Kurzem kamen mehrere kleine Diebstähle vor, zuletzt war aus dem Schlafzimmer der Baronin ein goldenes Armband und zwei Louisd’or entwendet worden. Die Baronin wurde unruhig, sie mußte unwillkürlich an Marien denken, aber so viel dies für sich hatte – denn Niemand anders war in das Zimmer gekommen, als sie – die gute Frau wollte dennoch ihren Verdacht unterdrücken, und verbot jedes Geschwätz hierüber, weil es ihr peinlich, ihre Hausangelegenheiten in dem Munde der Leute zu wissen. Ihr Dienstpersonal dagegen wußte unter sich um so mehr zu schwatzen. „Man wisse es schon,“ hieß es da, „stille Wasser seien tief, freilich dürfe man nichts sagen, aber die Sperlinge auf dem Dache zwitscherten schon

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_519.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)