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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Geliebten nicht zu kränken, bekämpfte sie diesen großen Schmerz ihres Lebens und verbarg die Thränen, welche sie nur im Verborgenen seinem Verluste weinte. Mit der ihr eigenen Besonnenheit sorgte sie von nun an fast ausschließlich für Theodor’s Ausrüstung und schaffte Alles herbei, was zu seiner Reise nöthig war. Die wenigen Tage, welche er noch in Wien verweilte, wurden durch Abschiedsbesuche ausgefüllt. Theodor besaß eine große Anzahl von Freunden und Bekannten, welche an ihm und seinem Geschick den lebendigsten Antheil nahmen. Viele hielten seinen Entschluß für jugendliche Schwärmerei und suchten ihn davon abzubringen, Andere, zu denen besonders Frau von Pereira und ihre schöne Cousine Marianne Saling gehörten, gaben dagegen unumwunden ihm ihre Bewunderung zu erkennen. Er mußte ihnen versprechen, noch einen Abend in ihrer Gesellschaft zuzubringen und von seinen Kriegserlebnissen fortwährend Nachricht zu geben.

Obgleich er am liebsten die freien Stunden bei seiner Toni zubrachte, so konnte er die dringende Einladung der befreundeten Familie nicht ablehnen. Das Haus des Herrn Pereira war eines der glänzendsten in Wien und in seinen Sälen versammelte sich die beste und vornehmste Gesellschaft, Staatsmänner, Diplomaten und die geistreichsten Schriftsteller wurden von der Großmuth des Mannes und der Liebenswürdigkeit der Hausfrau angezogen. Ein Kranz der schönsten Frauen umgab die ausgezeichnete Wirthin, welche eben so sehr durch ihre körperlichen wie durch ihre geistigen Vorzüge glänzte. Es herrschte in diesem Kreise der freie Ton einer heiteren Geselligkeit, dem durch die vorhandenen bedeutenden Persönlichkeiten eine höhere Weihe zu Theil wurde. Für einen jungen Mann, wie Theodor, mußte eine derartige Versammlung einen ganz besonderen Reiz zu jeder anderen Zeit haben; heute war er jedoch zu zerstreut und von dem nahe bevorstehenden Abschied ergriffen.

Deshalb verließ er die in jeder Beziehung auserwählte Gesellschaft so zeitig als möglich, nachdem er einige flüchtige Worte mit den Damen des Hauses und einigen Bekannten, wie Humboldt und Schlegel, welche ebenfalls zugegen waren, gewechselt hatte. Er wußte, daß Toni im Theater beschäftigt war, und richtete deshalb seine Schritte nach der Burg. Es war eine helle Mondscheinnacht, welche den ehrwürdigen Stephansdom mit lichtem Silberglanze umfloß und wie mit einer Glorie umgab. Vom Thurme schlug die mächtige Glocke die zehnte Stunde, als er vorüberschritt. Bei den feierlichen Klängen erfaßte ihn ein eigenthümlich wehmüthiges Gefühl. Der alte Stephansthurm mit seinen gothischen Pfeilern und Bogen war ja auch ein alter Bekannter, von dem er Abschied nahm. Wie oft hatte er voll Bewunderung seine schlichte Größe angestaunt und, wenn auch Protestant, den Drang gefühlt, in seinen heiligen Hallen niederzuknieen und bei dem mächtigen Brausen der Orgel sein Gebet zu sprechen. Er wäre kein Dichter gewesen, wenn er diesen frommen Riesen nicht jetzt wie einen alten Freund gegrüßt, den er im Begriff stand zu verlassen.

Das Strömen der Menge über den Platz verkündigte ihm, daß die Vorstellung im Theater zu Ende war. Er beeilte sich deshalb, um seine Braut noch anzutreffen. Da ihre Wohnung ganz in der Nähe war, so pflegte sie selten und nur bei schlechtem Wetter von einem Wagen Gebrauch zu machen. Meist ging sie in seiner Gesellschaft oder in Begleitung eines Mädchens, das ihre Garderobe trug, zuweilen auch ganz allein, da sie sich nicht fürchtete. Als Körner in eine der kleinen Seitenstraßen einbog, sah er eine weibliche Gestalt im hastigen Laufe auf ihn zukommen, gefolgt von einem Manne in fremder Uniform. Im hellen Mondschein erkannte er Toni, welche bei seinem Anblick einen lauten Freudenschrei ausstieß und fast athemlos seinen Arm erfaßte.

„Beschütze mich vor dem Zudringlichen!“ flehte die geängstigte Schauspielerin.

Theodor wandte sich nach dem Fremden um, indem er ihn zur Rede stellte.

„Was wollen Sie von meiner Braut?“ fragte er entrüstet.

„Ihre Braut?“ lachte dieser höhnisch. „Ich wußte in der That nicht, daß das Fräulein Ihre Braut sei.“

„So will ich es Ihnen sagen, um Ihren unanständigen Verfolgungen ein Ende zu machen. Ein solches Benehmen einem wehrlosen Mädchen gegenüber ziemt keinem Mann von Ehre.“

„Ich bin der Baron von Färber, und stehe in französischen Diensten,“ entgegnete der Unbekannte hochfahrend.

„Und ich heiße Theodor Körner,“ rief der Dichter in gereiztem Tone, „und verachte jeden Deutschen, der dem Tyrannen dient.“

„Wir sehen uns wieder,“ murmelte der Baron, indem er es für gerathen hielt, seinen Rückzug anzutreten, da der Streit bereits mehrere Zuhörer herbeigezogen hatte, welche für den Dichter offen Partei nahmen.

Bald war er im Schatten der naheliegenden Häuser verschwunden. Toni gab nun dem Geliebten nähere Auskunft über ihr so eben erlebtes Abenteuer. Seit einigen Tagen hatte sie schon in der Fremdenloge, so oft sie auftrat, das ihr widerwärtige Gesicht des Barons bemerkt, der sie unablässig mit seinen Blicken verfolgte. Er hatte es sogar gewagt, ihr anonym einen Brief, Blumen und allerlei werthvolle Geschenke zu überschicken, welche sie natürlich zurückgeschickt hatte. Wie die meisten Frauen von ihrem Stande, fand sie jedoch nichts Besonderes und Verdächtiges in solchen Aufmerksamkeiten, die Schauspielerinnen vielfach zu Theil werden. Auch wollte sie nicht Theodor durch voreilige Berichte in Unruhe versetzen. Dies war der Hauptgrund, weshalb sie bisher geschwiegen hatte. An diesem Abende verließ sie nach ihrer Gewohnheit das Theater gleich nach beendigter Vorstellung, um sich nach Hause zu begeben. An der kleinen Ausgangspforte, die nur für die Künstler der Burg bestimmt war, wurde sie von dem Baron erwartet, welcher ihr hier auflauerte. Anfänglich hielt sie ihn für ihren Bräutigam, und eilte darum auf ihn zu, um ihn freudig zu begrüßen; sobald er sie aber anredete, wurde sie ihren Irrthum gewahr. Sie ließ seinen schon ergriffenen Arm vor Schreck fahren, und entfernte sich in eiliger Verwirrung; eben so schnell folgte er ihr nach, indem er die leidenschaftlichsten Geständnisse seiner Liebe ihr zuflüsterte. Je rascher sie ging, desto mehr beschleunigte auch er seine Schritte, wobei er nicht abließ, sie mit seiner Neigung bekannt zu machen.

Trotzdem Theodor weit entfernt von jeder Eifersucht war, so verstimmte ihn Toni’s Erzählung. Bald aber schwanden die Wolken auf seiner Stirn vor ihrer unwiderstehlichen Liebenswürdigkeit. Er begleitete sie bis an die Thür, wo er mit einem zärtlichen Kusse von ihr Abschied nahm. Indem er die holde Gestalt an sein Herz drückte, fühlte er die ganze Größe des sich selber auferlegten Opfers; ein schmerzlich wehmüthiges Gefühl erfüllte seine Brust, und zitterte noch in seiner Seele nach, als Toni schon längst verschwunden war.

Er blieb noch einige Augenblicke unter ihrem Fenster stehen, und sah zu den weißen Vorhängen ihrer Wohnung empor. Ein leichter Schatten bewegte sich, und er glaubte das Profil der Geliebten zu erkennen.

„Gute Nacht!“ flüsterte er leise. „Gott behüte mir diesen Schatz, daß ich ihn wiederfinde, wie ich ihn verlassen.“

Er war zu aufgeregt, um nach seinem Hause zu gehen und die Ruhe zu suchen. Aus der Ferne tönte durch die stille Nacht die Lust des heitern Wiens. Die Kaffeehäuser waren alle noch hell erleuchtet und mit Gästen gefüllt; fröhliche Leute zogen an ihn vorüber und sangen lustige Lieder, von rothem „Ofener“ und kräftigem „Nußberger“ angeregt. Er fand darunter einige bekannte Schauspieler, die den Dichter mit österreichischer Herzlichkeit begrüßten und trotz seines Widerstrebens mit sich fortzogen. Seine nahe bevorstehende Abreise war bekannt geworden und wurde von Allen mit innigem Bedauern aufgenommen. Jetzt konnte er ihrer Einladung nicht widerstehen, mit ihnen noch ein Glas zum Abschiede zu leeren. Er mußte ihnen in das nächste Weinhaus folgen, wo bald der feurige Ungarwein wie flüssiges Gold in den Glasern funkelte.

„Es lebe der Dichter des Zriny!“ rief der Schauspieler Korn. „Auf ein baldiges und glückliches Wiedersehen!“

„Auf ein glückliches Wiedersehen!“ wiederholte der Chor der ihn verehrenden Gäste.

Die Gläser klangen so hell wie festliches Glockengeläute zu dem allgemeinen Wunsche der Anwesenden, welche Körner als Mensch und Dichter gleich lieb hatten und nur ungern scheiden sahen. Noch mancher Toast wurde auf sein Wohl geleert, bis er sich selber erhob, um den Freunden zu danken. Er sprach mit Begeisterung von der Kunst, der er stete Treue gelobte, wenn er auch gegenwärtig für längere Zeit freiwillig ihr entsage, um an dem Befreiungskampf seiner deutschen Brüder Theil zu nehmen.

„Dem Vaterlande gilt dies Glas!“ rief er laut, sein Glas erhebend. „Wenn erst diesem meine Schuld gezahlt, dann kehre ich zu Euch zurück, um einzig und allein der Kunst zu leben.“

„Und jetzt ein frisches Lied!“ ließ sich Ochsenheimer vernehmen, „ein Lied von unserem Körner!“

Damit waren alle Anwesende einverstanden und die trefflichen Sänger begannen nach einer ansprechenden Melodie:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_523.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)