Seite:Die Gartenlaube (1858) 525.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Die englische Kriegs-Werkstatt.
(Ein Besuch im Arsenale zu Woolwich.)

Die Engländer sind das größte Handelsvolk der Gegenwart. Sie sind aber auch das kriegerischste und zwar, wie sie vermeinen, zu Gunsten ihres Handels. Wer ihnen keine Waaren abnehmen will, den bombardiren sie, um dann zwischen Ruinen und Leichen Handelsverträge zu schließen. Dies ist aber der kernfaule Fleck in der Politik Englands. „Handel und Krieg vertragen sich nicht mit einander,“ sagte ihnen schon Thomas Roe, ihr erster Gesandter in Indien vor mehr als 200 Jahren, der sie ganz entschieden und wiederholt warnte, Ländereien in Indien zu erobern. Dafür rieth er ihnen die Handelsartikel, die sie schicken sollten und die einen guten Markt finden würden zum Austausch für prächtige Seidengewebe und Stickereien. Sie hörten nicht auf ihn, sondern sie eroberten ein Land nach dem andern und schickten Kanonen und Kanonenfutter statt der Handelsartikel. Die Folgen dieser Politik wurden bald sichtbar und können, da man von der Nemesis immer weiter, immer tiefer in den Widerspruch zwischen Handel und Krieg getrieben ward, dem stolzen England (stolz auch auf – Cherbourg?) noch das Leben kosten.

Was an dem Marke Englands ganz wesentlich zehrt, ist dieser überall herausgetriebene Widerspruch zwischen Handel und Krieg, weil es so weit gekommen ist, daß der Krieg und die gegen alle Völker zu erhaltende Kriegsbereitschaft immer mehr kostet, als der dadurch angeblich begünstigte und geschützte Handel jemals wieder einbringen kann, weil für den Krieg mehr producirt werden muß, als für den Handel. Die Production für den Krieg, die Fabrikation von Zerstörungsmitteln ist in England größer, blühender, vollkommener, als jede andere Production, größer, vollkommener, als in jedem anderen Lande der Welt.

Das königliche Arsenal bei Woolwich im Osten von London bedeckt mehrere Morgen Fläche mit den gewaltigsten und zum Theil wunderbarsten Dampfmaschinen. Die riesigen Eisenschafte, welche die Tod und Verderben producirenden Maschinen drehen, haben zusammen eine Länge von sieben englischen Meilen. Das Arsenal ist eine schnaubende, hämmernde, gießende, drehende, wirbelnde, Tag und Nacht mit flüssigen Metallen spielende ganze Stadt mit mehreren Tausenden der geschicktesten Arbeiter Englands, die alle stets Tod und Verderben im Großen produciren und glänzender dafür bezahlt werden, als die besten Arbeiter in productiven Industrieen.

Die englische Kriegswerkstatt zu Woolwich.

Es ist nicht leicht, Eintritt in diese größte Werkstatt der Welt zu erhalten. In der Regel brauchen Fremde specielle Empfehlungen von Gesandten oder ersten Chefs des Arsenals. Und auch dann bleiben ihnen noch gewisse Geheimnisse verschlossen. Mir gelang es, durch Bekanntschaft mit einem im Arsenale angestellten Artillerie-Officier Zutritt und manche interessante Mittheilung zu erhalten. Folgendes ist das Hauptergebniß meines Besuchs und der Notizen, die ich mir nach authentischen Belehrungen machen konnte.

Vom Haupteingange in die ummauerte Arsenalstadt kamen wir zuerst in die Kanonengießerei mit etwa zwanzig Arbeitern, die gerade bereit waren, vierzig Centner fließendes, weit um sich glühendes Kanonenmetall in zwei Haubitzen zu verwandeln. Alle waren sehr geschäftig, bis der Pfropfen des großen Steinkessels herausgestoßen ward und ein dicker, silberner Strom herausfloß und Alles um sich her zu zitternder, wallender, rother Gluth verwandelte und ein unbeschreibliches Geräusch von sich stieß, wovon mir alle Glieder bebten, während eine helle Flamme über den entsetzlichen Gluthfluß hin- und herleckte. Man sagte mir, daß hier zwanzig größere Arbeiter und zwölf Knaben jede Woche, Jahr aus Jahr ein, zwölf Kanonen gießen, außerdem noch eine große Menge metallene Bestandtheile für Kriegszwecke. Jede Kanone braucht zwei Tage zum Kühlen. Darauf wird sie mit Hülfe riesiger Hebemaschinen in die Kanonen-Drechselei gebracht und gebohrt, polirt und zu sofortigem Gebrauch fertig gemacht. In dieser Drechselei daneben sahen wir eine rohe Kanonenmasse sich binnen drei Viertelstunden glätten und abrunden. Die riesige Maschinerie, welche die Kanonen packt, dreht und mit verschieden geformten Meißeln selbst glättet, ausschleift, formt und polirt, kann ich ohne Zeichnungen nicht deutlich beschreiben. Auch hatten wir nicht viel Zeit, da eine ungeheuere Masse von Anstalten, Schmieden etc. in gegebener Frist besichtigt sein wollte.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_525.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)