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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Er blieb lange in dieser Stellung; dann schritt er plötzlich rasch dem Waldsaum zu, und richtete den düstern Blick mit Entschlossenheit nach seiner Wohnung.

Eine blaue Rauchsäule stieg aus dem niedern Schornstein empor, und wirbelte lustig in die kalte Novemberluft.

Er warf die Büchse, die Axt weg. Er rief mit weitschallender Stimme den Namen seines Weibes, seiner Kinder. Er sprang, wie ein gejagter Hirsch über die hohe Fenz und lief spornstreichs dem Blockhause zu.

Die beiden Jungen von zehn und zwölf Jahren sprangen ihm jubelnd entgegen. Die Frau trat aus der Thür, sie hatte das jüngste Kind auf dem Arme, ein kleines vierjähriges Mädchen führte sie an der Hand. Alle sahen frisch aus, wie die Waldblumen zur Zeit des indianischen Sommers.

Wer hätte nicht emporgeschaut in das reine Blau des Aethers über ihm in solcher Stunde? Der Mann that es und seine Augen strahlten von Dankbarkeit. Dann küßte er das Weib, die Kinder. Die beiden Jungen konnte er gar nicht satt werden, immer wieder von Neuem zu herzen. Er hatte sie so lieb, so lieb, die kräftigen Jungen, und wenn er daran dachte, in welchem Zustande er sie zu finden geglaubt – so hob er sie immer wieder hoch empor und drückte sie, bald weinend, bald lachend, an das schwellende Herz.

Aber welches Wunder war hier geschehen? Wovon hatten sie alle gelebt seit vierzig qualvollen Tagen?

Die Frau erzählte ihm dies Alles. Mit banger Sorge hatte sie den zurückgelassenen Vorrath schwinden sehen und mit wachsender Angst die Tage bis zu seiner erwarteten Ankunft gezählt. Als der Vorrath erschöpft war und er noch immer nicht wiederkehrte, hatten sie sich einige Tage mit den wenigen Maiskörnern gefristet, die sie aus dem zerstampften Felde ausscharren konnten. Dann hatten sie zwei Tage hindurch gänzlich gefastet und alle Qualen des Hungers und der Verzweiflung ausgestanden. Da war der Frau plotzlich in der ärgsten Noth eingefallen, daß noch einige Säcke voll Kleie, als Pferdefutter für den Winter bestimmt, da sein mußten, an die Keines von ihnen gedacht hatte. Ihr Jubel war unbescheiblich, als sie dieselben nach langem Suchen endlich vorfand. Sie hatten die ganze Zeit über davon gelebt und noch heute Morgen hatte sie das letzte Brod daraus gebacken, – aber auch das letzte.

Ihre Noth war jetzt zu Ende und auf keinem noch so glänzenden Hoffeste in der alten Welt konnte es am selbigen Novembertage fröhlicher hergehen, als in dem bescheidenen Blockhaus am Einfluß des Buffalo in den rothen Fluß.


Hacker gilt jetzt – nach dortigen Begriffen – für einen ziemlich wohlhabenden Mann. Die Handelsleute, die, vom Superior-See kommend, sich nach den rothen Pfeifensteinbrüchen begeben, wo alljährllch die Indianerstämme des Westens zusammenkommen, um ihre Bedürfnisse auszutauschen, rühmen seine Gastfreundschaft. So viel ist gewiß, er hätte nicht mehr nöthig, 160 Meilen durch die Wildniß nach Brod zu gehen, auch wenn den Indianerpferden der Gaumen nochmals nach seinem Welschkorne stände.

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Cherbourg und der atlantische Telegraph.

Zwei pikante, moralisch und materiell scharf entgegengesetzte Ereignisse bewegen gleichzeitig die Köpfe, Herzen, Zungen und Federn Englands und Frankreichs im Besonderen und der Welt im Allgemeinen – das vollendete Cherbourg und der vollendete atlantische Telegraph zwischen der alten und neuen Welt; ersteres eine aus grimmigem Mauerwerk mit dreitausend Kanonenaugen stierende, massive, feindselige Drohung gegen das drüben liegende England, und letzterer – der Telegraph – das über zweitausend englische Seemeilen lange Freundschaftsband zwischen zwei Erdtheilen, die doppelte Bruderhand, welche ferne, weite Völkermassen aus überoceanischer Entfernung und Entfremdung für alle friedliche, nützliche und Culturzwecke heranzieht zu freundnachbarlicher Gemeinsamkeit, der großartigste Sieg der Wissenschaft, Technik und industriellen Unternehmungskühnheit, ein Draht, gegen welchen alle Mauer- und Metallwerke von Cherbourg zu einer lächerlich drohenden Kinderfaust herabsinken. Ein bourbonischer Louis rühmte sich einst, daß er die Pyrenäen abgeschafft habe – für den Krieg. Amerika und England können sich einer nobleren That rühmen: es gibt keinen atlantischen Ocean mehr für Frieden, Freundschaft und deren segensreiche Thaten – wohl aber noch für den Krieg.

Noch ist’s nicht ausgemacht, ob das elektrische Freundschaftsband aushalten und sich bewähren wird. Aber die Thatsache wird ewig groß und richtig bleiben, daß es wirklich bis zum 5. August – dem großen Cherbourgfesttage – 2022 Meilen lang von Valentia in Irland bis zur Trinity-Bucht in Neufundland ausgestreckt und so durch den großen atlantische Ocean gelegt und versenkt worden war. Wir überschätzen diese welthistorische That nicht. Sie muß sich erst bewähren. Und wenn sie sich bewährt, spricht der Telegraph zunächst die Sprache der Börse, der Marktpreise, der Baumwollen- und Sclavenzüchter, der Twistspinner und Kattunfabrikanten – eine trockene, erbarmungslose Sprache mit Zahlen und Brüchen. – Beide Völker an den Endpunkten des Telegraphen haben sich jetzt nichts Gescheidtes, Menschenerfreuendes zu sagen; aber es werden andere Interessen aufsteigen und durch den Telegraphen reden. Und der Telegraph ist erst ein Anfang, wie die erste Entdeckung und grausame Eroberung Amerika’s (der Telegraph ist eine zweite, bessere, menschliche) ein Anfang für ganz andere große Erfolge in der Menschheitsgeschichte war, das Hauptband für eine längst von einem Deutschen speciell ausgearbeitete elektrische Umspinnung der ganzen runden Erdkugel, ein Werk, welches nun rasch über andere Theile des Meeres, durch das in neuer Cultur auflebende Sibirien u. s. w. fortgesetzt und vollendet werden wird, so daß wir bald jeden Morgen zu einem Thore hinausfragen können, wie’s den Völkern der Erde gehe, um jeden Abend die Antwort zum entgegengesetzten Thore hereinzittern zu sehen.

Ich glaube nicht, daß dann die Menschheit danach fragen wird, wie sich die dreitausend Kanonen und dreißig Festungen von Cherbourg befinden. Jetzt freilich, – während der pikanten Festtage mit der Königin von England – war’s die Frage aller Fragen, über die man selbst den atlantischen Telegraphen vergaß.

„Was glänzt, ist für den Augenblick geboren,
Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.“

Für den Augenblick, und beständt’ es aus dreißig Fuß dicken Mauern und dickem, dreitausendfachem Kanonenmetall. Wir tragen aber dem Augenblicke Rechnung und zeigen unsern Lesern zeit- und pflichtgemäß Cherbourg aus der Vogelperspective der Höhen dahinter, von welchen unsere Ansicht aufgenommen ward.

Cherbourg, ursprünglich „Cäsar’s“ oder der „Ceres“ Burg (beide Ableitungen bestehen nebeneinander), liegt in einer Bucht, der Insel Wight gegenüber und in fast gleicher Entfernung von den englischen Küstenstädten und Kriegshäfen Plymouth und Portsmouth, so recht als auserkorner, drohender Mlttelpunkt aller Gefahren, die dem sich Frankreich gegenüber weit ausbreitenden England von den französischen Gestaden entstehen können. Hinter Cherbourg und dessen Hügeln breitet sich die germanische Normandie aus, von welcher aus Wilhelm der Eroberer vor 792 Jahren nach England übersegelte, um es zu erobern und zu beherrschen bis auf den heutigen Tag. Die Aristokratie, welche Englands Boden und Vorrechte besitzt, wurde von Wilhelm dem Eroberer geschaffen. Die neue Eisenbahn, welche Cherbourg mit Paris und mittelbar allen Hauptmilitairstationen von Frankreich verbindet, bringt die bisher entlegene und obscure Stadl in nahe Verbindung mit den Militairgewalten, welche Frankreich jetzt noch mehr zu beherrschen scheinen, als Napoleon III. selbst.

Wir übergehen die vielfach sich windende Geschichte Cherbourgs, das ein Mal beinahe ein halbes Jahrhundert den Engländern gehörte, und beschränken uns auf Skizzirung seiner jetzigen Gestalt und Bedeutung.

Louis XIV. dachte zuerst an eine große, französische Flotte für seine brutalen Kriegs- und Eroberungszwecke, also auch an Häfen zur Beherbergung der Schiffe. Als man sich nach Häfen umsah, entdeckte man Cherbourg, das vom Jahre 1688 an befestigt und zu einem Kriegshafen vorbereitet ward. Man baute unter mancherlei Unterbrechungen fort. Stürme zerstörten wiederholt die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_531.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)