Seite:Die Gartenlaube (1858) 538.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Freundschaft überging. Sie fand schon in den nächsten Tagen Gelegenheit, ihm einen unter den damaligen Umständen sehr großen Gefallen zu erweisen. Die Einsegnung des Lützow’schen Freicorps sollte in feierlicher Weise vor sich gehen und sämmtliche Theilnehmer dabei im vollen Waffenschmucke erscheinen. Theodor hatte sich eine neue Uniform bestellt, um nicht hinter den Uebrigen zurückzubleiben. Unglücklicher Weise aber, erklärte der von allen Seiten in Anspruch genommene Schneider, die gewünschten Kleidungsstücke nicht zu der bestimmten Frist abliefern zu können. Umsonst verschwendete der ungeduldige Dichter seine ganze Ueberredungskraft, vergebens ließ er es nicht an Bitten und Beschwörungen fehlen, der vielbeschäftigte Kleiderkünstler blieb unerbittlich, indem er sich auf ältere Versprechungen berief. In seiner Noth wandte sich Theodor an die Majorin von Lützow und klagte ihr in verzweiflungsvollen Worten sein Mißgeschick.

Obgleich es schon spät und dunkle Nacht war, begab sich die gutmüthige Dame mit ihrem Schützlinge nach der Wohnung des Meisters, die drei Treppen hoch auf dem schmutzigen Hof lag. Muthig überwand sie alle Hindernisse und trat in die niedrige Wohnung des Schneiders, der nicht wenig von der Erscheinung der anmuthigen, vornehmen Frau überrascht schien und vor Verlegenheit mit einem Satze von seinem Stuhle sprang. Schnell wurde ein Sessel von ihm abgestäubt und herbeigerückt, worauf er nach ihrem Begehren fragte. Was weder den Worten, noch den Versprechungen Theodor’s gelungen war, glückte den liebenswürdigen Schmeicheleien und dem Zureden der Majorin, von deren Herablassung und Freundlichkeit der brave Meister so entzückt war, daß er den Schlaf einer Nacht zu opfern versprach, um zur gewünschten Zeit Theodor die Uniform abzuliefern.

Nach diesem kleinen Abenteuer wohnte dieser mit wahrhaftem Hochgefühle der feierlichen Begehung der Einsegnung bei, welche in der Nähe der kleinen schlesischen Gebirgsstadt Zobten stattfand. Dort versammelten sich zwölfhundert edle Jünglinge mit ihrem Führer und stimmten einen einfachen Choral an, den Körner für diese Gelegenheit gedichtet hatte. Nach Absingung des Liedes bestieg der würdige Geistliche des Ortes, Namens Peters, die Kanzel und hielt an die todesmuthige Schaar eine kräftige, allgemein ergreifende Anrede, wobei kein Auge thränenleer blieb. Es war ein wunderbares Schauspiel, hier Jünglinge, die kaum dem Knabenalter entrückt, neben bärtigen Männern und selbst grauköpfigen Greisen weinend zu sehen. Zum Schlusse erhob sich der Prediger und ließ all’ die anwesenden Krieger den Eid schwören, für die Sache der Menschheit, des Vaterlandes und der Religion weder Blut noch Gut zu schonen und freudig zum Siege oder Tod zu gehen. Höher schlugen all’ die Herzen und pochten gegen die muthige Männerbrust, die Augen flammten und die Lippen leisteten mit ehrfurchtsvollem Beben den versprochenen Eid auf die blanken Schwerter der Officiere.

„Mit Gott für König und Vaterland,“ tönte ein einziger gewaltiger Ruf zum Himmel empor, von dem Gewölbe der Dorfkirche wiederhallend, als leisteten noch Tausende ungesehen den heiligen Schwur neben ihnen.

Plötzlich ertönte ungeheißen und ohne Verabredung wie aus einem Munde: „Eine feste Burg ist unser Gott,“ begleitet von den brausenden Klängen der Orgel,

Das war die Einsegnung des Lützow’schen Freicorps im Angesicht des Zobtenberges und der blauen Höhen des Riesengebirges.

Und nun ging es in’s Feld; mit fröhlichem Horngeschmetter begann die „wilde verwegene Jagd“, an der Theodor lebendigen Antheil nahm. – Eines Abends nach einem beschwerlichen Marsche lagerte die kühne Schaar in der Nähe eines Waldes. Die jungen Birken streuten ihren Duft, welchen die milden Frühlingslüfte weiter trugen. Die Wachtfeuer flammten und beleuchteten mit ihrer rothen Gluth die malerischen Gruppen der muthigen Krieger und ihre blitzenden Waffen. Die Marketenderin, von Körner und seinen Freunden mit dem classischen Namen „Gustel von Blasewitz“ getauft, hatte so eben ein frisches Fäßchen angestochen und schenkte unermüdlich die leeren Gläser voll. Auf dem grünen Rasen saß der Rittmeister Fischer, ein zweiundsiebzigjähriger Greis, der unter Friedrich dem Zweiten bereits als Trompeter unter den sogenannten „Todtenköpfen“ gedient. Trotz seines Alters war er ein Mann von rüstiger Gestalt und Löwenstärke, mit Adleraugen, Habichtsnase, ein paar Fäusten, wie Geierklauen, und schwarzem, über die Brust herabwallendem Barte. Er erzählte den jüngeren Cameraden Soldatengeschichten aus den Tagen des „alten Fritz.“ Aus der Ferne tönte dazwischen der Ruf der ausgestellten Wachen und der Ablösung. Da traten an das Feuer Arm in Arm Theodor und sein neuer Freund, der edle Friesen, ein wahres Dioskurenpaar an kriegerischem Muthe und körperlicher Schönheit.

„Willkommen!“ tönte es von allen Seiten und die Hände wurden geschüttelt.

„Wo habt Ihr Teufelskerle denn gesteckt?“ fragte der Rittmeister, seinen langen Bart streichend.

„Wir sind im Walde gewesen,“ entgegnete Friesen. „Dort war es gar zu schön. Das grüne Laub drängt sich mit Macht hervor, Alles blüht und duftet.“

„Und hinter den Büschen lauern die Franzosen,“ brummte der alte Fischer, „und schicken Euch aus dem sichern Hinterhalt ihre blauen Bohnen in die Brust.“

„Daran haben wir gar nicht gedacht,“ entgegnete Körner. „Ich hab’ mich so wohl gefühlt und auch ein neues Lied gedichtet.“

„Na, man her mit dem Liede,“ rief der alte Rittmeister.

„Hier ist’s,“ antwortete Körner, indem er die mit Perlen gestickte Brieftasche, ein Geschenk seiner Braut, hervorzog. „Ich singe es Euch nach einer bekannten Weise und Ihr stimmt in den Chorus ein und singt den Rundreim mit.“

Und er begann:

„Was glänzt dort vom Walde wie Sonnenschein?
Hör’s näher und näher erbrausen.
Es zieht sich hinunter in düsteren Reih’n.
Und gellende Hörner schallen darein.
Und erfüllen die Seele mit Grausen.
Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt:
Das ist Lützow’s wilde verwegene Jagd.“

Der Chor wiederholte mit wilder Freude die letzten Strophen und die Hornisten fielen zur rechten Zeit mit ihrem Schmettern ein, daß das Echo in den nahen Bergen wach wurde und der grüne Wald wiederhallte. Als Körner das schöne Lied geendet hatte, da brach ein lauter, unerhörter Jubel los. Die Cameraden schlossen einen Kreis um ihn und kränzten ihn mit frischem Eichenlaub, das sie nicht weit zu suchen brauchten.

Von jenem Abende an war dies Lied der Lieblingsgesang der Lützower und Körner der populärste Mann im ganzen Heere. Seine Gedichte aber gingen wie Werbetrommeln durch das ganze Land und wo sie ertönten, da strömten Jünglinge und Männer zu den Waffen.

So diente er dem Vaterlande mit dem Schwerte wie mit seinem Geiste.




V.

Seit dem Ausbruche des Krieges waren bereits zwei große Schlachten und mehrere bedeutende Gefechte geschlagen worden, ohne eine Entscheidung herbeizuführen. Die verbündeten Preußen und Russen mußten trotz aller bewiesenen Tapferkeit sich zum Rückzuge entschließen, aber auch Napoleon fühlte, ungeachtet seiner Siege, das Bedürfniß nach Ruhe, um seine erschöpften Kräfte wieder zu sammeln. Man sprach allgemein von einem nahe bevorstehenden Waffenstillstande, der unter Vermittelung Oesterreichs zu Stande kommen sollte. Dies hielt jedoch den Major Lützow nicht ab, einen jener kühnen Streifzüge zu unternehmen, wie er sie liebte. Es handelte sich um einen Einfall in das südliche Deutschland, den er im Rücken des Feindes auszuführen gedachte. Mit vierhundert entschlossenen Männern brach er auf, nachdem er Körner zu seinem Adjutanten ernannt hatte. Die kleine Schaar brannte vor Begierde, sich mit den Franzosen zu messen, und setzte in der Nähe von Jena über die Saale, um über Plauen und Hof bis nach Augsburg vorzudringen. In dem altenburgischen Städtchen Roda stießen die Freiwilligen auf vierhundert Mann thüringischer Rheinbundtruppen, welche, trotzdem sie Deutsche waren, sich dem Heere Napoleon’s anschließen wollten, aber gerade keine große Lust bezeigten, sich zu schlagen. Lützow befahl seinen Truppen, Halt zu machen, galoppirte mit Körner und nur von zwei Husaren begleitet vorauf in die Stadt und commandirte, gegen die verblüfften Rheinbündler gewendet, die sich einen solchen Ueberfall nicht träumen ließen, „Stillgestanden.“ Sie standen mäuschenstill mit dem Gewehre im Arme.

„Herr Hauptmann,“ rief er dem überraschten Anführer zu, „befehlen Sie Ihren Leuten, das Gewehr zu strecken.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_538.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)