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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Tag der Weltgeschichte, welche meist nur von blutigen Siegen die Kunde auf die Nachwelt bringt. Auch dies ist ein Sieg, aber kein Tropfen Blut klebt daran, höchstens nur der segensreiche Schweiß der Arbeit, auch dies ist eine Eroberung, die jedoch kein Menschenleben kostete und statt Verwüstung und Schrecken Wohlstand, Segen und Ueberfluß um sich verbreitet. Der deutsche Fleiß darf sich jetzt kühn der englischen Industrie an die Seite stellen. Die größten Locomotivenbau-Anstalten der Welt, die von Stephenson und Gebrüder Charp in Manchester müssen jetzt die Borsig’sche Fabrik in Berlin als ihre ebenbürtige Schwester anerkennen. In der Stephenson’schen sind zwölfhundert, in der von Charp erst tausend und dreißig Locomotiven erbaut worden, wobei noch zu erwägen ist, daß diese englischen Bauanstalten nicht selber die einzelnen Theile anfertigen, während dagegen in der Borsig’schen Fabrik von der Zurichtung des Rohmaterials bis zur Vollendung jedes einzelnen Maschinenteils Alles selbstständig geschaffen wird. Mit Recht dürfen wir daher das „Fest der tausendsten Locomotive“ als ein deutsches, als ein nationales bezeichnen. – Dasselbe zerfiel in zwei Abtheilungen, gleichsam in eine ernste und eine heitere Feier.

Am Morgen des einundzwanzigsten August versammelten sich unter Anführung des Besitzers die eingeladenen Ehrengäste und das gesammte Personal der Fabrik, nahe an dreitausend Arbeiter, auf dem riesigen Hofe der großen Maschinenbauanstalt vor dem Oranienburger Thore, um die tausendste Locomotive „Borussia“, welche, mit Blumen und Kränzen geschmückt, wie eine Braut im hellen Festschmuck prangte, auf dem neuen Schienenwege nach dem Stettiner und von da auf der Verbindungsbahn bis zum Potsdamer Bahnhofe zu begleiten. Hier hielt Herr Borsig von der Locomotive herab eine kurze, passende Ansprache an die Anwesenden, welche von dem gegenwärtigen Handelsminister von der Heydt beantwortet wurde. Ernst und feierlich war die Stimmung der zahlreichen Menge, welche die große Bedeutung dieses Momentes vollkommen erfaßte; ein Gefühl von Andacht erfüllte die Seele der Zuhörer bei diesem Cultus der Arbeit und des Menschenfleißes. – Mit dem Nachmittage begann das eigentliche Fest, welches Herr Commerzienrath Borsig zunächst seinen Arbeitern gab, die an dem großen Werke, von seinem Vater begründet und von ihm in demselben Geiste fortgeführt, redlich und mit allen ihren Kräften mitgeholfen. Sie hatten wohl den ersten Anspruch auf eine Gastfreundschaft, die in solch’ riesigem Maßstabe weder in Berlin, noch an einem anderen Orte des ganzen Continentes von einem einzelnen Privatmanne geübt worden ist und so leicht nicht wieder geübt werden dürfte. Ganz Moabit, ein Ort von mehr als tausend Einwohnern, rings von Gärten umgeben und an den Ufern der Spree gelegen, hatte sich durch die Bemühungen des edlen Wirthes in einen einzigen, unermeßlichen Festsaal verwandelt, der mehr als dreißigtausend Menschen aus allen Ständen, vom Arbeiter der Fabrik bis zum Minister, in seine Räume ausnahm. Am Eingange erblickte man eine großartige und in ihrer Einfachheit imponirende Ehrenpforte mit Kränzen verziert. An ihrer vorderen Front zeigte sie die Bildnisse der berühmtesten Erfinder und Verbesserer der Dampfkraft, eines Watt, der die Dampfmaschine ihrer gegenwärtigen Vollendung näher geführt, eines Stephenson, dem wir im Jahre 1814 den ersten Dampfwagen zu verdanken hatten. Die Hintere Seite war dagegen mit den wohlgetroffenen Portraits des Geheimraths Beuth und des verstorbenen Commerzienraths Borsig versehen, als Beförderer und Schöpfer unserer heimischen Industrie. An der Spitze des Bogens prangte zu beiden Seiten die passende Inschrift: „Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis.“ Durch diese Pforte gelangte man in den eigentlichen Festraum, der in seiner Länge und Breite mehr als eine Viertelmeile einnahm. Längs der Chaussee ragten zahllose bewimpelte Mastbäume empor, zwischen denen für die abendliche Illumination tausend und abertausend bunte Lampen und Ballons hingen. In ähnlicher Weise waren alle Häuser mit Lampen und Blumenguirlanden geschmückt, was den freundlichsten Eindruck machte. Auf der Straße bewegte sich in bewunderungswürdiger Ordnung die ungeheuere Menschenmenge, darunter die Arbeiter der Borsig’schen Fabrik mit ihren Familien, sie selbst kenntlich an der festlichen Kleidung und der Medaille, welche Herr Borsig zu Ehren des Tages für sie prägen ließ und die sie jetzt stolz wie einen wohlverdienten Orden, ihres Fleißes trugen. Sämmtliche Fenster und Ballons waren mit Zuschauern besetzt, „die Damen im schönen Kranz.“ Ein großer Platz zur Rechten der Chaussee wurde ausschließlich für die Volksbelustigungen bestimmt; gedielte Tanzplätze wechselten mit Schaubuden, Puppentheatern, Carroussels und Kletterstangen ab, an denen Uhren, Tücher und volle Weinflaschen für die kühnen Sieger hingen; das Alles auf Kosten des freigebigen Wirthes, der auf das Beste für den Geschmack aller seiner Gäste zu sorgen wußte. Zwischen den schattigen Bäumen waren zu beiden Seiten Tribunen errichtet für die eigens dazu geladenen Gäste; in der Mitte befand sich unter einem tempelartigen Vorbau, mit der kolossalen Büste des verstorbenen Borsig geschmückt, die Rednerbühne, welche zuerst der Sohn des würdigen Vaters betrat, um ungefähr folgende Worte an seine Arbeiter und die übrigen Anwesenden zu richten:

„Hochverehrte Versammlung! Es war der Wille meines theuren, unvergeßlichen Vaters, daß der Ausgang der tausendsten Locomotive gefeiert werde durch ein Fest, das Allen, die mit ihm für ihn geschaffen, ein Fest sei der Freude und des stolzen Selbstbewußtseins. Als Erbe eines großen Namens, als Erbe der großen Ideen, die hier und in der Residenz aus glänzenden Schöpfungen zu Ihnen sprechen, als Erbe seines letzten Willens vollziehe ich hierdurch den Wunsch des theuren Vaters und habe Sie zu dem Feste geladen, das seine Augen leider nicht mehr erblicken durften. Es ist die schönste Erinnerungsfeier, die ich ihm weihen kann, es ist nicht nur ein Fest der von ihm gegründeten Fabriken, nein! ein Fest der preußischen Industrie, ein Fest von wahrhaft culturhistorischer Bedeutung. Ich habe nur geerntet, wo er gesäet, nur fortgeführt, was er begonnen, nur gebaut, wo er den Grund gelegt. Sein Andenken tragen nunmehr tausend Dampfrosse über eine Million von Meilen und weit hinaus über die Grenzen Deutschlands, seinem Andenken glühen Tausende von Flammen und ihm zu Ehren steigt der Rauch nicht nur aus den hohen Schornsteinen der Dampfmaschinen, sondern aus all’ den Hütten und Häusern der Arbeiter, wohin seine schöpferischen Gedanken Leben, Arbeit, Brod und Wohlstand getragen. Wo vor einundzwanzig Jahren auf träger Sandscholle kümmerlich Gras wuchs, da erheben sich heute Häuser und Werkstätten und kündigen die Hämmer bei Tag und Nacht vom Fleiße der Menschenhand und von den Thaten des Menschengeistes. Was vor einundzwanzig Jahren von uns angestaunt wurde als ein unübertreffliches Wunderwerk des Auslandes, das schaffen wir heute selbst, das geht aus unserer Werkstätte hervor, gediegen, – kunstreich und erprobt. Und neben und mit unserer Fabrik sind andere Industrielle emporgestiegen, ist die Industrie selbst zu nie geahnter Blüthe gediehen und hat sich neben und mit uns eine großartige Stätte des Gewerbfleißes, ein neuer Stadttheil erhoben. So ist das heutige Fest ein Fest der preußischen Industrie. Sie Alle, die hier versammelt, sind Zeugen und zum Theil Mitschöpfer dieses Triumphes. Sind nicht die Werke der Industrie lebendige Zeugnisse der Größe eines Staates? Hat nicht, zumal in Preußen, Wohlstand und Glück des Volkes im gleichen Schritte mit der Industrie zugenommen? Wer theilte heute noch das Vorurtheil, daß durch die Maschinenkraft die Kraft des Einzelnen, durch den eisernen Arbeiter die Arbeit des Menschenarmes gelähmt und Armuth erzeugt werde? Wer sieht nicht ein, daß durch die Industrie dem Capital der Boden zugeführt werde, auf dem es reiche Früchte tragen könne? Wer bestreitet, daß durch die Industrie Handel und Wandel an Umfang gewonnen haben und friedliche Eroberungen gemacht worden sind, größer und einträglicher als alle, welche jemals das Schwert gemacht? Wer muß nicht bekennen, daß durch die Industrie dem Bürger des Staates Arbeit zugeführt wird? und wo Arbeit ist, da ist auch Sittlichkeit, und je mehr Arbeit bei einem Volke, desto höher steht es in seiner Sittlichkeit, in seiner Achtung vor den Ländern und Völkern der Erde. Preußen steht im friedlichen Völkerkriege der Industrie obenan.“

An diese Worte knüpfte der Redner seinen Dank an die Regierung für den Schutz, den sie zu allen Zeiten seiner Anstalt gewährt hat, indem er ein Lebehoch dem Könige, dem königlichen Hause und dem anwesenden Handelsminister ausbrachte.

„Zum Schlusse,“ fuhr er fort, „aber sei mein Dank Ihnen Allen geweiht, die Sie durch Ihres Kopfes oder Ihres Armes Kraft mit meinem Vater, die Sie mit mir gearbeitet und das heutige Fest möglich gemacht haben. Sie Alle, die Sie treu, unermüdlich und strebsam mit uns ausgehalten in guter und in böser Zeit; Sie, meine Rathgeber, Verwalter und Beamten, Sie, meine lieben, braven Arbeiter! Nehmen Sie meinen herzlichsten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_542.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)