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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

No. 39. 1858.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Leyer und Schwert.
Historische Novelle von Max Ring.
(Schluß.)


„Mein Gott!“ rief eine der Damen, deren Kleidung und ganzes Wesen ihren hohen Rang verrieth. „Wenn ich nicht irre, so ist jener junge Mann mein Pathe Theodor Körner, den ich, wie alle Welt, als einen Todten beklagte.“

Unterdeß war der Dichter näher getreten, um die Gesellschaft zu begrüßen, welche aus der Herzogin von Kurland, ihren beiden Töchtern und ihrer Schwester, der bekannten Elise von der Recke, bestand. Bald sah er sich von ihnen umringt und mit wohlwollenden Fragen nach den letzten Ereignissen seines Lebens überhäuft. Die Herzogin von Kurland, eine der ausgezeichnetsten Frauen jener Zeit, war eine Freundin seiner Familie und zugleich in der That seine Taufpathin gewesen. Ihre beiden Töchter, von denen die eine an den Herzog von Dino, den Neffen Talleyrand’s, vermählt war, gehörten zu den hervorragendsten Erscheinungen der Aristokratie, gleich ausgezeichnet durch ihre Schönheit wie durch ihren Geist, während Elise von der Recke als Schriftstellerin und Beschützerin jedes Talents sich einen klingenden Namen erworben hatte. Auch der Herr in ihrer Begleitung war für Theodor kein Fremder, da er in ihm den Dichter Tiedge, den Verfasser der „Urania“, wiedersah, eines Buches, das in jenen Tagen auf keinem Lesetische fehlen durfte und von allen zarten und schönen Lippen laut bewundert und gepriesen wurde.

Der ganze auserwählte Kreis bewies für Theodor die freundlichste Theilnahme und Aufmerksamkeit. Die gute, sanfte Elise, deren ganzes Leben nur im Wohlthun bestand, hatte nicht ohne Besorgniß die bleichen Wangen und das krankhafte Aussehen des Jünglings bemerkt; sie rief deshalb sogleich den in der Nähe verweilenden Arzt herbei, der für die Wiederherstellung des Patienten Sorge zu tragen versprach. Damit nicht zufrieden, übernahm sie selbst mit mütterlicher Sorgfalt die Pflege des Verwundeten, der unter solchen Verhältnissen schnell genas.

Bald war er im Stande, einer Einladung der Herzogin zu folgen, die es ebenfalls nicht an vielfachen Beweisen ihrer Freundschaft und Zuneigung fehlen ließ. Es war ein in jeder Beziehung auserlesener Kreis, der sich in der Wohnung der hohen Frau versammelte. Ihr Rang und die gefeierte Schönheit ihrer Töchter zogen die vorzüglichsten Männer und Damen an. Fast vergaß Theodor in einem Wirbel von Zerstreuung seine Waffengenossen und vor dem Zauber, der ihn umgab, verblaßte selbst das Bild seiner geliebten „Toni“, wenn auch nur für kurze Zeit. – Nach den rauhen Scenen des Krieges und des Lagerlebens fühlte er sich doppelt angenehm berührt von einem Kreise, wo die höchste Bildung mit Feinheit der Sitten, Eleganz des Lebens und nie gesehener Schönheit wetteiferte.

Welch’ eine Welt that sich hier vor dem entzückten Jüngling auf!

Während in der einen Ecke des Salons Elise von der Recke mit Tiedge über die Unsterblichkeit der Seele phantasirte und die tiefsten Fragen der Menschheit verhandelte, versammelten an einem andern Theile die jungen, schönen Herzoginnen von Sagan und Dino die berühmtesten Diplomaten und Staatsmänner zu ihren Füßen, um mit ihnen die Angelegenheiten Europa’s, die Geschicke der Völker zu besprechen. Beide Schwestern zeigten sich schon damals als würdige Verwandte Talleyrand’s, da sie, wie er, mit meisterhafter Geschicklichkeit das Netz der Politik zu verschlingen und zu weben wußten. Ueber den berühmten Staatsmann trugen sie noch den Sieg davon, weil sie mit seinem Geiste die weibliche Anmuth und Liebenswürdigkeit verbanden, ihre Ansichten mit dem Feuer ihrer Augen, ihre Pläne mit dem gewinnenden Lächeln des reizenden Mundes unterstützten. Wer konnte einer solchen diplomatischen Armide widerstehen, zu deren Füßen die einflußreichsten Personen schmachteten?

Es war gerade damals der günstigste Zeitpunkt für politische Intriguen und Verhandlungen. Napoleon hatte, um sich der österreichischen Regierung gefällig zu zeigen, die Miene angenommen, als ob er geneigt sei, den abgeschlossenen Waffenstillstand in einen Frieden zu verwandeln. Im Grunde war es ihm jedoch nur darum zu thun, Zeit zu gewinnen und seine Verstärkungen heranzuziehen. In ganz ähnlicher Lage befanden sich die verbündeten Preußen und Russen, die ebenfalls neue Kräfte sammeln wollten. Beide Gegner gingen daher scheinbar auf die Wünsche des Wiener Cabinetes ein und beschickten eine Art von Friedenscongreß, der in Prag zu Stande kommen sollte. In der That erschienen auch in der alten, böhmischen Residenz die Gesandten der betheiligten Mächte, Wilhelm von Humboldt von preußischer, Baron Anstett von russischer und Metternich von österreichischer Seite. Dagegen ließen die französischen Diplomaten so lange auf sich warten, daß darüber fast die bestimmte Zeit verging und zum Aerger der kriegerischen Jugend und der wahren Patrioten der Waffenstillstand noch um einige Tage verlängert, der Beginn des neuen Kampfes verschoben werden mußte. Als endlich die französischen Gesandten eintrafen, ergab sich schon in den ersten Sitzungen, daß es ihnen nicht Ernst sei, indem sie mit unwesentlichen Streitigkeiten und Etikettenfragen hervortraten und die Zeit vertrödelten. Das Ganze glich einem Possenspiele, dessen Verantwortung ein Gegner dem andern zuschob.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 549. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_549.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)